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And he goes on and on …

5. November 2010
Redaktion Börsenblatt
Der Berlin Verlag und Autor William Boyd haben am gestrigen Abend die deutsche Erstübersetzung der fiktionalen Biografie "Nat Tate: Ein amerikanischer Künstler: 1928-1960" präsentiert.
Vielleicht hätten die geladenen Gäste sich des neckischen Brauches entsinnen sollen, den ihre europäischen Vorfahren einst mit nach Amerika brachten. Aber an jenem 1. April des Jahres 1998 nahm die gesamte Szene der Galeristen, Kunstkritiker und Sammler ernst, was der Sänger David Bowie und der Schriftsteller William Boyd in der Galerie Jeff Koons veranstalteten: Sie präsentierten die Künstlerbiografie eines früh verstorbenen, vergessenen Expressionisten namens Nat Tate. Der Clou: Tate und seine Biografie waren frei von Boyd erfunden; der Name Nat Tate leitete sich her von den beiden bedeutendsten britischen Galerien, der National und der Tate Gallery. Ein eingeweihter Journalist verriet die Sache einige Tage darauf in der Presse; die genarrte Kunstszene erboste sich.

Die deutsche Erstübersetzung des Werks präsentierten am gestrigen Abend der Berlin-Verlag und Autor William Boyd – natürlich im entsprechenden Ambiente der Galerie Sprüth Magers in Berlin-Mitte. Ein leiser Duft von Jubiläum begleitete die Veranstaltung; es ist das fiktive 50. Todesjahr des Künstlers. Und doch hat Boyds Werk nichts an Aktualität eingebüßt. Denn, so Moderator Holger Liebs (Chefredakteur des Kulturmagazins „Monopol“), „we‘re living in a fake culture“. Dem stimmte Boyd schmunzelnd bei.

„Nat Tate: Ein amerikanischer Künstler: 1928-1960“, bereits Boyds drittes Buch in einer Reihe fiktionaler Biografien, ist ein Spiel mit dem romantischen Bild des Künstlers: tragische Kindheit, Einsamkeit, Alkohol, Niedergang. Und eine derart offenkundige Parodie typischer Künstlerbiografien, dass uns Heutige erstaunen möchte, wie der Schwindel nicht ob des dicken Auftragens schon auffiel: „Geld und Alkohol flossen in Strömen, die gesamte Kunstwelt begab sich auf eine Sauftour.“ – „‘Er war ein guter Liebhaber‘, erzählte mir Peggy Guggenheim später.“ Neben derlei vermeintlichen Zeugenaussagen bekannter Zeitgenossen sind ebenso raffiniert eingestreut auch einige undeutliche Fotografien. Boyd schilderte höchst amüsiert, wie er sie aus Beständen irgendwelcher Familien erwarb, auf mögliche Ähnlichkeiten mit berühmten Zeitgenossen prüfte und gezielt untertitelte: „Tate bei Georges Braque und Frau“. Der Apparat der Biografie und des dokumentarischen Materials, diese reale Welt, in die der fiktive Nat Tate gestellt würde, machten die Sache glaubhafter. „It still works“, lachte der 58jährige Schriftsteller.

Sein „Versuch, mittels des Fiktionalen unsere faktendominierte Welt zu kolonisieren“ brachte mittels reiner Fiktion die Wahrheit über den Kunstbetrieb pointierter hervor als die Realität. Damals hätte ihn noch gereizt, Nat Tates wenige verbliebene Werke bei Christie‘s versteigern zu lassen, um zu sehen, wie viel er erzielt hätte. Das wäre dann allerdings nicht Tates künstlerische Approbation gewesen, sondern die seines Erfinders Boyd, der seine eigenen malerischen Interessen bis heute als „Liebesaffäre“ betreibt.

Die deutsche Vorzugsausgabe des Berlin-Verlags, eine auf 220 Exemplare begrenzte Schmuckbox, enthält denn auch Originalgrafiken Tates alias Boyds.

Weitere Bilder des Abends können Sie in unserer Galerie betrachten. 

 

Elisabeth Grün