Gespräch mit Fischer-Geschäftsführer Michael Justus

"Ich träume nicht einmal von üppigen Renditen"

11. November 2010
Redaktion Börsenblatt
Der S. Fischer Verlag will die Texte seiner Taschenbuch-Klassiker-Reihe als enriched E-Books herausbringen. Ein Gespräch mit Geschäftsführer Michael Justus über Preispolitik, Konditionen, Leseverhalten und Irrtümer.

S.Fischer bietet Standard-E-Books, enriched E-Books, Apps und Online-Datenbanken. Was vermuten Sie, worauf wird in Zukunft der Schwerpunkt liegen?

Justus: Wenn ich einmal zehn Jahre voraus blicke, dann werden die enriched E-Books innerhalb des digitalen Angebots möglicherweise 70 Prozent ausmachen. Aber sie werden von ganz anderer Art sein als wir uns das heute vorstellen, gerade bei wichtigen Titeln. Wie sie aussehen werden, weiß ich nicht.

Und die Apps? Justus: Die sind in der Entwicklung sehr teuer und werden daher wohl nur für einzelne Fälle die adäquate Lösung sein. Das sind dann Produkte mit Blockbuster-Zwang. Wir müssen auch aufpassen, dass wir uns nicht in direkte Konkurrenz zu Wettbewerbern begeben, gegen die wir nur verlieren können - Spiele-Produzenten etwa.

Ein enriched E-Book, wie Joseph Conrads Novelle „Herz der Finsternis", soll für 4,99 Euro zu haben sein, mit dabei der englische Originaltext und Einträge aus dem Kindler- und einem Metzler-Lexikon. Warum so preiswert? Justus: Conrads Novelle ist ein gemeinfreier Text, den man bei Gutenberg.org umsonst haben kann. Das entsprechende Reclam-Heft kostet 4,40 Euro. Als Fischer Taschenbuch ist „Herz der Finsternis" nur gemeinsam mit zwei weiteren Conrad-Novellen zu bekommen und kostet dann 9,50 Euro. Insofern erscheinen uns 4,99 Euro für diesen Einzeltext als angemessener Mittelwert. Ganz kurze Texte, etwa von Kafka, werden wir sogar zu 1,99 Euro anbieten. Sobald der Umfang des E-Books dem Umfang des inhaltsgleichen Taschenbuchs entspricht – etwa beim Sammelband sämtlicher Kafka-Erzählungen - verlangen wir für das E-Book den gleichen Preis wie für das Taschenbuch. Das gilt erst recht für Texte, über die S. Fischer exklusiv verfügen kann, zum Beispiel für das Werk Thomas Manns.

Der angemessene Preis wäre der, der nah bei dem für Taschenbücher liegt?

Justus: In diesem Fall: Ja.
Sie gehen davon aus, dass das E–Book-Geschäft auf jeden Fall zu Lasten des Print-Geschäfts gehen wird. Warum? Justus: Weil die Kollegen aus den Fachverlagen und den US-Verlagen bereits diese Erfahrung gemacht haben. Es ist eine Illusion zu glauben, eine relevante Zahl von Lesern werde verschiedene Formate eines Titels kaufen. Ich glaube auch nicht, dass mit den digitalen Angeboten neue Leserschichten gewonnen werden können. Lesen ist Lesen. Es wird kaum gelingen, durch E-Books einen 16jährigen Jungen vom Computerspiel zum Roman zu bringen.

Was bedeutet das für die Verlage: für Umsatz- und Ergebnisentwicklung? Justus: Einen Mehr-Umsatz wird uns das digitale Geschäft als solches auf Dauer nicht bringen. Wir müssen uns schon anstrengen, wenn wir unser Vollkosten-Ergebnis zumindest halten wollen. Schließlich möchten wir Print- und E-Geschäft noch lange parallel betreiben. Spätestens mit einem „Enrichment" liegen die auflagenfixen Entwicklungskosten für E-Publikationen auch höher als bei gedruckten Büchern. Und nur wenn wir unsere Arbeitsabläufe klug organisieren, werden wir die für das E-Geschäft zusätzlich aufzubauenden Gemeinkosten einigermaßen im Griff behalten können Ich träume deshalb nicht davon, durch E-Publishing die im Buchgeschäft meist nicht üppigen Renditen verbessern zu können. Im Gegenteil: Wenn wir ruhig in die Zukunft schauen wollen, müssen wir bei allen Konditionen rund um das E-Geschäft jetzt konsequent verhandeln.

Viele Autoren wollen mehr als die Verlage bieten ...
Justus: Das stimmt. Wir nehmen das auch niemandem übel. Nur das oft gehörte Argument, es fielen bei E-Books kaum Kosten und Arbeit an, ist nicht richtig. Fragen Sie mal unsere Verlags-Hersteller, was sie von diesem Argument halten! Ebenso wenig stimmt der Einwand, bei elektronischen Publikationen käme es auf den Verlag nicht mehr so sehr an. Ich glaube, hier sind die Anforderungen an Verlage, zum Beispiel in Lektorat und Herstellung, sogar noch höher als bei herkömmlichen Büchern.