Der chinesische Buchmarkt
Seit der wirtschaftlichen Öffnung der Volksrepublik China im Jahr 1978 entwickelt sich der chinesische Buchmarkt in großen Schritten. Offiziell ist lediglich von den Fortschritten der Verlage die Rede, im Verborgenen wächst jedoch eine Gruppe von privaten chinesischen Publikationsorganisationen, trotz der politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten, rasch. Man erfährt von dieser Gruppierung nur durch manche verschwommene Quellen. Ende 2009 gab es insgesamt 580 staatliche Verlage; es wird angenommen, dass es zehnmal so viele private Publikationsunternehmen wie staatliche gibt. Im Jahr 2008 betrug der Gesamtumsatz des Buchbranche 155,70 Milliarden ¥ RMB (Renminbi (RMB) ist die Währung in China. Die Grundeinheit des RMB ist der Yuan (¥). Der Wechselkurs von Euro zu RMB ist 1:8,98305. 9 Yuan ergeben ca. 1 Euro. Stand: 16. November 2010). Nach Schätzungen von Brancheninsidern beträgt der von privaten Publikationsunternehmen erwirtschaftete Umsatz mehr als die Hälfte dieser Zahl. Allerdings dürfen in Ermangelung politischer Genehmigungen solche Unternehmen ihre Bücher nicht offiziell produzieren und sogar die Begriffe „Publizieren“ und „Verlag“ sollten in den Unternehmensnamen möglichst vermieden werden. Deshalb gibt es bis heute offiziell keine privaten Verlage. Das bedeutet, dass alle Publikationsunternehmen, die den Namen „Verlag“ tragen, staatlich sind. Die schätzungsweise mehr als 5000 privaten Unternehmen, die Bücher publizieren, sind ein verdeckter wirtschaftlicher Zweig in der Buchbranche.
Die Problematik
Für das Verständnis der Lebensweise und der Grundkonzepte des Marketings privater chinesischer Publikationsunternehmen soll ein wichtiges Phänomen, das den chinesischen Buchmarkt charakterisiert, aufgezeigt werden, und zwar das „ISBN-Problem“. In den meisten Ländern ist es leicht, einen Verlag zu gründen. In China ist der Buchmarkt streng kontrolliert. ISBN werden nur an die 580 staatliche Verlage vergeben. Private Publikationsunternehmen haben selbstverständlich kein Recht auf die Zuteilung von ISBN, so dass sie auch kein Buch selbständig publizieren dürfen. ISBN sind deswegen künstlich verknappte Ressourcen.
Kooperationsmodelle des ISBN-Marktes
Viele private Publikationsunternehmen verfügen über gut ausgebildete Angestellte, eine moderne Unternehmungsorganisation und eine effizienten Finanzkraft, können aber trotzdem nicht ohne staatliche Verlage existieren, da sie von den Staatlichen ISBN beziehen müssen. Deshalb sind auf dem „ISBN-Markt“ verschiedene Kooperationsmodelle entstanden. Die Weitergabe der ISBN geschieht nicht unentgeltlich, sondern nach üblichen Preisen. Solche Geschäfte sind zwar dem Gesetz nach illegal, werden aber von der ganzen Branche akzeptiert. Der Preis einer ISBN schwankt je nach Größe und Bekanntheit eines Verlags, und beträgt durchschnittlich 10 000 bis 30 000 ¥ RMB (ca. 1000–3500 Euro). Da es bestimmte Gepflogenheiten in der Branche gibt, dürfen die Preise nicht willkürlich geändert werden. Informationen kann man sogar im Internet finden. Wenn man „Shuhao“ (ISBN) bei Suchmaschinen wie Google.com oder Baidu.com eingibt, findet man Werbung der ISBN-Verkäufer. Diese Werbung kommt von Handelsunternehmen oder sogar ganz unverblümt von „mutigen“ staatlichen Verlagen. Bei manchen Verlagen können die Einnahmen aus den „ISBN-Geschäften“ die Hälfte des Gesamtumsatzes bilden. Für die privaten Publikationsunternehmen stellen diese Gebühren einen bedeutenden Teil der Kosten dar. Der Staat verbietet einerseits den ISBN-Handel mit deutlichen Vorschriften, wie z.B. der „Bekanntmachung über das Verbot gegen ISBN-Handel“ von der GAPP (General Administration of Press and Publication, die Verwaltungsinstitution der Volksrepublik China) im Jahre 1993, andererseits toleriert er ihn.
Andere Verlage verkaufen nicht einfach ISBN, sondern kooperieren mit privaten Unternehmen beim Publizieren von Büchern. Ihre bekannten Marken und Vertriebskanäle tragen auch zum Erfolg der Bücher bei. Lektoren ineffizienter Verlage müssen selbst Käufer für ISBN suchen. Manche Programme wiederum, die staatliche Verlage nicht anzugehen wagen, werden von privaten realisiert. In diesem Fall ist das „ISBN-Geschäft“ der einzige Zusammenhang zwischen beiden. Es ist praktischer für die privaten Publikationsunternehmen, ein reines ISBN-Geschäft einzugehen als von staatlichen Verlagen kontrolliert zu werden.
Auswirkungen
Das „ISBN-Geschäft“ schadet den staatlichen Verlagen deutlich, da es nur ein „Ausweg“ ist zu überleben, ohne sich auf notwendige Reformen zu konzentrieren. Die Verlage sind „ausgehöhlt“. Die Fähigkeit zum selbständigen Erstellen von Verlagsprogrammen hat durch diese Praxis immer mehr abgenommen. Die Verhandlungen mit den Verlagen verlangsamen den Produktionszyklus und rufen einen unnötigen finanziellen und personellen Aufwand hervor. Da die Bücher unter dem Namen der staatlichen Verlage veröffentlicht werden, ist es für die privaten Unternehmen schwer, eigene bekannte Marken aufzubauen. Hinzu kommt, dass die Unsicherheit der Geschäfte, die Besitzer der privaten Unternehmen dazu verleitet, den Gewinn eher für den eigenen Konsum zu verwenden, oder ihn in andere Branchen, statt in das Buchgeschäft zu investieren. Dadurch wird die Buchbranche von kurzfristigen Zielen beherrscht, und Steuerhinterziehung und Raubdrucke werden gefördert. Eine nachhaltige Entwicklung des Buchmarkts wird behindert.
Eine ISBN für viele Bücher
Da die ISBN-Gebühren die privaten Unternehmen schwer belasten, war es üblich, dass eine ISBN für mehrere Bücher zugleich verwendet wurde. Manchmal teilten sich sogar über hundert Bücher eine ISBN. Bibliographische Informationen wurden wegen der falschen ISBN-Verwendung durcheinander gebracht. Der Informationsaustausch zwischen Verlagen, privaten Publikationsunternehmen und Buchhandlungen wurde erschwert. Der Lizenzhandel ist von anderen Problemen betroffen. Da die Zugehörigkeit der Bücher oft nicht klar ist, ist es auch schwer für die Privaten, eigene Rechte zu schützen.
Lösungen?
Das Problem ist seit langem in der Branche bekannt und wird entsprechend angeprangert. Jedoch gibt es erst seit Juli 2008 einen Versuch zur Lösung. In einigen Städten wurde ein „Beantragungssystem mit echten Titeln“ zuerst probehalber, dann ab dem April 2009 an allen staatlichen Verlagen eingeführt. Nach der „Verwaltung des Beantragungssystems mit echten Titeln (probeweise Anwendung)“ der GAPP müssen alle staatlichen Verlage für jedes Buch eine ISBN beim zuständigen Publikationsamt beantragen. Dieser Antrag muss den endgültigen Titel und andere Informationen wie Seitenzahl, Schriftzeichenzahl, Name des Autors, Preis usw. enthalten. Die Antragsstellung wird über das Internet durchgeführt. Nach einer dreimaligen Prüfung bekommt das Buch eine gültige ISBN. Das neue System bringt zwei Auswirkungen mit sich. Zunächst werden die ISBN nicht mehr einmalig pro Jahr, sondern jederzeit vergeben. Das bedeutet, die Zahl der ISBN ist nicht mehr beschränkt. Solange die gesetzlichen Vorgaben befolgt werden, können Bücher theoretisch in beliebiger Zahl veröffentlicht werden. Zweitens werden Publikationskooperationen stärker reguliert. Normwidriges Verhalten, wie die Vergabe einer ISBN für mehr als ein Buch, ist nicht mehr möglich. Staatliche Verlage haben nun eine echte Verwaltungsfunktion bei Kooperationen mit privaten Publikationsunternehmen inne. Alle Eigenschaften der zu publizierenden Bücher müssen den staatlichen Verlagen bekannt sein, andernfalls droht Strafe. Private Publikationsunternehmen sind gezwungen, mit den staatlichen eng zu kooperieren, anstatt einfach ISBN zu kaufen. Dadurch sind die Privaten gewissermaßen in das Publikationssystem integriert. Im neu eingeführten System erhalten die Privaten zwar keine Gleichberechtigung, denn sie sind nach wie vor von staatlichen Verlagen abhängig, aber ihr teilweise marktschädliches Verhalten wird rechtlich reguliert. Die Buchbranche entwickelt sich insgesamt in eine positive Richtung, was den Privaten letztlich zu Gute kommt. Natürlich erwartet man noch mehr grundsätzliche Reformen in der Branche, aber ein effizienter Informations-austausch, Markttransparenz und eine gültige Bibliographie verhelfen den Privaten, die zurzeit quasi als die Hauptkraft des chinesischen Buchmarkts gelten, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln.