Gastspiel

Hausgemachte Probleme

8. März 2012
Redaktion Börsenblatt
Wenn die Filialisten ihre Buchhandelsfläche zurückbauen, dürfte vor allem Amazon davon profitieren. Meint Georg Rieppel.

Als vor 33 Jahren Heiner Hugendubel das erste große Buchkaufhaus am Marienplatz in München eröffnete, wurde er von allen Branchenteilnehmern als Visionär gefeiert. Die Frage, ob die Großflächenpolitik schon früher oder gar von Anfang an für das Buchgeschäft als illusionär hätte eingeschätzt werden müssen, ist in meinen Augen eine akademische; eine solche Debatte hilft nicht weiter. Ich möchte jedenfalls nicht in der Haut der Verantwortlichen von Thalia oder Hugendubel stecken, die jetzt auf eine äußerst schwierige ökonomische Lage reagieren müssen.

Die Frage, die uns alle beschäftigt, ist: Wie geht es weiter? Und spätestens hier muss erforscht werden, welche Fehler vermeidbar waren beziehungsweise künftig sind. Ich versetze mich in einen Kunden, der eine Großflächenbuchhandlung auf der Suche nach interessantem Lesestoff betritt. Was findet er in der Regel? Natürlich die Bestseller, massiv und oft gleich an mehreren Orten präsentiert. Neuerdings muss der potenzielle Buchkäufer aber zunächst Kaffeetassen, Plüschtiere und weiteres "Spielzeug" überwinden, will er zu den Büchern vordringen.

Macht unser Kunde Entdeckungen? Nicht oder wenig bekannte Bücher, von den Sortimentern bewusst ausgewählt und großflächig spannend inszeniert? Manchmal ja – einige große Flächen sind hier auch heute noch vorbildlich –, aber immer seltener. Wenn der Sortimentsbuchhandel (als Ganzes betrachtet) Glück hat, geht dieser Kunde in seine Stadtteilbuchhandlung oder in ein Geschäft, das sich ein klares Profil erarbeitet hat. Die jüngere Entwicklung zeigt ja auch, dass es vielen dieser Läden wieder besser geht.

Auch regionale Filialunternehmen, die eine kluge Sortimentspolitik betreiben und bei der Flächenexpansion vorsichtiger waren, sind keineswegs so massiv von der Krise betroffen. Nur werden diese Verlagskunden auch nicht ansatzweise den massiven Umsatzverlust im Sortiment ausgleichen können, der uns durch die Flächenreduktion der Großen droht – noch dazu mit dem von Thalia genannten Ziel eines "Non-Book"-Anteils von bis zu 40 Prozent. Das Klett-Cotta-Programm setzt sich zurzeit sehr gut durch. Aber was geschieht auf Dauer mit den vielen literarischen Werken und Sachbuchtiteln von hoher Qualität, die keine Bestseller sind?

Was wird also unser Kunde zukünftig tun? Er bestellt noch mehr bei Amazon. Über die letzten zehn Jahre gesehen, nahmen die Auflagen der Nicht-Bestseller ab, aber nicht ansatzweise so dramatisch wie deren Präsenz speziell bei den Großflächen. Amazon hat bei diesen Titeln mittlerweile einen Anteil von 40, manchmal sogar über 50 Prozent. Erst recht beim Fachbuch, das vom Sortiment zum größten Teil in den letzten Jahren komplett aufgegeben wurde.

Am Rande vermerkt: Wenn es die Hauptaufgabe von Verlagen ist, für den optimalen Absatz der Bücher ihrer Autoren zu sorgen, ob gedruckt oder in elektronischer Form, dann sollte sich niemand wundern, wenn der Anteil des Direktumsatzes speziell im Fachbuch steigt.

Es ist also keineswegs so, dass unsere Kunden nicht mehr das Besondere, Nicht-Alltägliche suchen, ihre Wünsche werden nur oft nicht mehr im stationären Buchhandel erfüllt. Und diese Entwicklung ist, so meine Meinung, zu einem großen Teil hausgemacht. Der Online-Umsatz alleine kann nicht die Lösung sein. Die Sortimentspolitik vor allem der Großen muss korrigiert werden, und in der Programmplanung der Verlage ist eine noch stärkere Fokussierung auf unverzichtbare Titel (das gilt für hohe und kleinere Auflagen gleichermaßen) die Konsequenz.

Georg Rieppel ist Marketing- und Vertriebschef bei Klett-Cotta.