Interview mit Freshtorge

"Wenn die Klicks sechsstellig werden, verliert man jedes Gefühl"

16. Juli 2015
von Börsenblatt
Schul-Sozialarbeiter Torge Oelrich ist einer der erfolgreichsten deutschen YouTube-Stars - und hat im Carlsen Verlag ein Buch veröffentlicht, das auf Wunsch vieler Fans entstanden ist. Das Börsenblatt hat sich mit dem Comedian über YouTube, Fanliebe und sein Buch unterhalten.

Erinnern Sie sich noch an das Gefühl, als Sie Ihren ersten Videoclip auf Youtube hochgeladen haben?Die allerersten Filme waren für Freunde. Das habe ich einfach so gemacht, ohne darüber nachzudenken. Zum regelmäßigen Veröffentlichen bin ich eigentlich durch Zufall gekommen. Das ist alles sehr langsam gewachsen.

Am Anfang war Freshtorge eine One-Man-Show. Wie viel Arbeit steckt denn in einem „samstorglichen" Videoclip?Die zeitliche Grenze ergibt sich automatisch: Durch meinen Beruf als Sozialarbeiter an einer Grundschule kann ich auch keine tagelangen Videos produzieren. Es muss schnell gehen. Seit mehr als zwei Jahren habe ich darum Hilfe: Mein bester Kumpel übernimmt den Dreh und das Schneiden. Früher habe ich das tatsächlich alles alleine gemacht, alle zwei Wochen ungefähr ist ein neues Video erschienen, das war wirklich sehr viel Arbeit.

Die Videos auf Ihrem YouTube-Kanal freshhaltefolie erhalten Klickzahlen im sechsstelligen Bereich und darüber. Viele werden millionenfach angesehen. Wie süchtig wird man nach den Klicks, den vielen Kommentaren? Wie oft checken Sie Ihre Zahlen?Samstags nach dem Hochladen gucke ich mir natürlich immer die ersten Kommentare an. Das ist sehr wichtig. Aber ich verfolge nicht ständig die Entwicklung, wie viele jetzt geschaut haben. Irgendwann macht es auch keinen Unterschied mehr, wenn die Klicks sechsstellig werden.

Haben Sie schon Bekanntschaft mit Trollen gemacht?Natürlich. Leute, die das toll finden was ich mache, kommentieren naturgemäß nicht so oft. Wer es gut findet, schweigt in der Regel. Teenager, die ihren Frust rauslassen, posten eher. Würde ich mir diese Negativkritik zu Herzen nehmen, könnte ich nicht weitermachen. Negative Kommentare blende ich einfach aus und versuche sie erst gar nicht zu lesen.

Auch ihre treuen Fans schimpfen Sie schon einmal, wenn sie etwas nicht lustig oder unter der Gürtellinie fanden. Wer hat mehr Humor: Sie oder die Fans?Ich habe eine breite Masse an Zuschauern – und Geschmäcker sind nun einmal sehr verschieden. Das gilt auch beim Humor. Glücklicherweise lebe ich meinen Humor vor allem über Charaktere aus. Die eine Hälfte mag diesen Charakter, die nächsten einen anderen. Ich krieg' nie mit einem Video alle Fans.

Sie produzieren nächstes Jahr einen Kinofilm mit dem Titel „Kartoffelsalat". Fakt oder Fake?Ja, wirklich. Das ist kein Fake. Komisch, viele Fans waren nämlich echt enttäuscht, weil sie dachten, ich nehme sie hoch. Aber es stimmt wirklich. Im August 2015 soll der Film voraussichtlich anlaufen. Auch die jüngeren YouTuber sind dabei.

Sie sind Jahrgang 1988 und zählen sich offensichtlich zur „älteren" YouTube-Generation?Ja, das stimmt. Verdammt, man wird schnell alt.

Was unterscheidet Sie denn von den jüngeren Kollegen?Heute passiert es häufiger, dass Videos explosionsartig geklickt werden, über einen extrem kurzen Zeitraum wird man populär. Bei mir hat das länger gedauert, ich konnte mich darauf einstellen, der Ruhm kam nicht über Nacht.

Wie gehen Sie mit der ganzen Fanliebe um?Es geht ganz gut. Natürlich ist es beeindruckend, wie viele Fans zu den Buchpräsentationen kommen oder mich auf der Straße erkennen.

Hauptberuflich sind Sie Pädagoge und in der Schulsozialarbeit tätig. Sind da Rollenkonflikte und Stress mit den Eltern nicht vorprogrammiert?Ich war erst Youtube-Star und bin dann an meine Grundschule gekommen. Natürlich habe ich mir auch vorher überlegt, ob das funktionieren kann. Mein Job als Erzieher und Youtube haben aber nichts miteinander gemeinsam, das sind zwei Welten. Die Kinder merken natürlich auch, dass ich nicht den Kasper mache. Außerdem hilft es auch, an der Grundschule zu sein, dort kennen mich nur wenige Kinder schon vorher durch meine Videos.

Es gab nie Probleme?Einmal gab es ein Problem, bei einer Schulbegleitung, bevor ich meine aktuelle Stelle hier im Dorf angetreten habe. Ich hatte mich auf eine Stelle beworben, bei der ich an verschiedenen Schulen tätig gewesen wäre, darunter ein privates Gymnasium, eher elitär. Dort wurde ich erkannt. Einige Schüler baten mich auf dem Pausenhof um ein Autogramm, es herrschte aber kein Ausnahmezustand. Ich hatte nach dem Tag ein gutes Gefühl, aber am nächsten Morgen kam ein Anruf von der Schulleitung: „Sie halten die Schüler vom Lernen ab, Herr Oelrich." Ich habe dann selbst die Reißlinie gezogen. Wenn der Job schon so losgeht, habe ich mir gesagt, dann lasse ich es lieber bleiben. Zum Glück hat sich dann sofort die Möglichkeit an meiner Grundschule im Ort aufgetan.

Mit den jüngeren Kindern gibt es diese Probleme nicht?Mit den Jüngeren ist das alles leichter. Es sind wenige, die auch mal meine Videos schauen, aber natürlich verstehen die noch nicht alles. Viele glauben zum Beispiel wirklich, dass „Sandra" (Anm. d. Redaktion: eine Figur, regelmäßig dargestellt von Torge Oelrich) meine Cousine aus dem Schwarzwald ist, weil ich das mal erzählt habe. Total süß!

Sie haben ein Buch geschrieben, das sich erfolgreich verkauft. Was hat Sie gedrängt, Autor zu werden?Ich erhalte viele Fragen zu meinen Videos – die versuche ich auch zu beantworten, denn es gibt viele Fans, die selbst gerne Videos drehen möchten. Aber manche Fragen sind einfach zu umfangreich, um sie in einem Video zu beantworten, denn die müssen kurz sein, sonst funktionieren sie nicht. Außerdem ist die Aufnahmefähigkeit der jungen Leute heute auch nicht so groß. Also habe ich mir gesagt, das alles wäre doch am besten in einem Buch möglich, mit dem man sich gemütlich ins Bett kuscheln kann. Außerdem mache ich das schon echt lange auf YouTube und auch sehr gerne. Aber ich freue mich natürlich über neue Herausforderungen. Als dann der Carlsen Verlag auf mich zukam, hat alles gepasst. Am Anfang habe ich mir Sorgen gemacht, dass mein Humor aus den Videos nicht in ein Buch übertragen lässt. Aber das ging wunderbar.

Lob erhalten Sie normalerweise schriftlich. Wie ist das so auf Lesetournee?Ich habe mein Buch gerne präsentiert, da hatte ich sehr großen Spaß daran! Wenn man es selbst geschrieben hat, ist das ein tolles Gefühl. Wenn ich daran denke, wie andere Bücher verkaufen sollen, auf denen nur ihr Name steht … das stelle ich mir grausam und peinlich vor! Auf YouTube gibt es nur Zahlen: Wenn es Mal über 100.000 geht, verliert man jedes Gefühl, was das eigentlich heißt. Wenn zu einer Lesung „nur" 400 bis 500 Leute kommen, dann spürt man, was das eigentlich bedeutet: 500 Leute!

Wo war der Zuspruch am Größten?Wien war ganz toll – in der Buchhandlung Morawa waren die meisten Fans, damit hatte ich gar nicht gerechnet und was für nette Leute. Das will ich unbedingt noch einmal machen. Wien, immer wieder gerne!

 

Torge OelrichKünstlername: "Freshtorge"
Hunderttausende Fans, vor allem Teenager, abonnieren den Videokanal von "Freshtorge". Im Carlsen Verlag wird "Mein Tagebuch" des Comedians vermarktet. Im Sommer soll ein Kinofilm mit Freshtorge und vielen weiteren YouTube-Stars anlaufen, der "Kartoffelsalat" heißen soll.