Leipziger Buchmesse 2022

Von Glutkernen und Rabattstaffeln

30. September 2021
von Nils Kahlefendt

Endspurt bei den Vorbereitungen für die Frankfurter Buchmesse – die Oliver Zille, Direktor der Leipziger Buchmesse, interessiert beobachtet. Ein Gespräch über die konkreten Planungen für Leipzig im März 2022 und darüber, welche Bedingungen Aussteller im kommenden Jahr in Leipzig vorfinden werden.

Noch zu Anfang des Jahres schienen Präsenzmessen in sehr weite Ferne gerückt. Nun startet am morgigen Freitag auf dem Leipziger Messegelände mit der „modell - hobby – spiel“ die erste Publikumsmesse seit 18 Monaten; verglichen mit 2019 sind noch ungefähr die Hälfte der Aussteller am Start. Dazu schaut die Buchwelt gerade gespannt nach Frankfurt, wo die Frankfurter Buchmesse das Messekonzept für 2021 vorgestellt hat (alles zu Hygiene und Programmgestaltung hier). Ein guter Zeitpunkt für ein Gespräch mit Oliver Zille, dem Direktor der Leipziger Buchmesse, über den Stand der Planungen für die Publikumsmesse im Frühjahr 2022. 

Herr Zille, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn sich die Messe-Tore jetzt wieder im Real-Life-Modus für echtes Publikum öffnen?

Oliver Zille: Wir freuen uns sehr auf den März, aber es wird noch immer eine besondere Buchmesse. Wir werden wahrscheinlich nicht die gleichen Ausstellerzahlen wie zu Prä-Corona-Zeiten erreichen können, hoffen aber auf den großen Zuspruch unserer Aussteller. Die Situation ist insgesamt schwer einzuschätzen. Frankfurt jetzt ist nicht Leipzig im März. Aber Leipzig im März 2022 ist auch nicht Leipzig im März 2019. Das Gefühl wollen wir uns jetzt mit der modell – hobby - spiel und, vor allem auf die Branche bezogen, mit der Frankfurter Buchmesse holen: Sind schon wieder alle dabei? Oder ist es ein erster Schritt in Richtung Normalität, auf den bald weitere folgen? Wir drücken den Frankfurtern extrem die Daumen! Eine gute Stimmung dort würde sich ja auch auf Leipzig positiv auswirken. 

Wie haben die Buchmesse und die Leipziger Messe GmbH die dramatischen Umsatzausfälle der Corona-Zeit verkraftet? 

Zille: Die Messegesellschaft ist von ihren Gesellschaftern, dem Freistaat Sachsen und der Stadt Leipzig, aber auch vom Bund finanziell unterstützt worden. Von Anfang an war aber klar, dass diese Hilfe nur zur Überbrückung dienen kann. Dass ein Strukturförderinstrument wie die Messe in Super-Krisenzeiten gestützt werden muss, war allen bewusst. Dennoch lastet jetzt ein ganz erheblicher Kosten- und Einspardruck auf uns. 

Wie wichtig ist eine möglichst ohne größere Corona-Restriktionen stattfindende Leipziger Buchmesse 2022 für das Gesamtunternehmen?  

Zille: Es ist generell wichtig, dass wieder Veranstaltungen stattfinden und sich in ihren Konzepten bewähren; die Buchmesse ist die größte Eigenveranstaltung, die unser Haus organisiert. Die Sichtbarkeit der Branche, die in Corona-Zeiten stark beeinträchtigt war, wieder zu erhöhen, ist unser oberstes Ziel. Über digitale Innovationen haben wir in der zurückliegenden Zeit viel erfahren. Nun gilt es, auch den Faden der analogen Begegnungen wieder aufzunehmen. 

Eine gute Stimmung in Frankfurt würde sich auch auf Leipzig positiv auswirken. 

Oliver Zille

„Ja, mach nur einen Plan…“ heißt es bei Brecht, eine Melodie, nach der wir alle seit fast zwei Jahren tanzen. Wie planen Sie konkret für März 2022? 

Zille: Wir kommen gerade von einem mehrtägigen Workshop, wo wir noch einmal sehr detailliert geschaut haben, was im kommenden Jahr aus unserer Sicht möglich, sinnvoll und zu tun ist. Wir gehen fest davon aus, dass es einen deutschlandweiten Lockdown nicht noch einmal geben, sondern dass man Modi finden wird, mit der Pandemie auch bei Großveranstaltungen umzugehen. Deshalb wird auch die Frankfurter Buchmesse noch einmal besonders interessant sein – zu schauen, wie sich die Dinge fügen. Nicht nur organisatorisch, sondern auch psychologisch: Wie handeln die Akteure? Wir haben bislang Hypothesen, Modellierungen, aber noch kein Beispiel. Die Leipziger Buchmesse wird vom 17. bis 22. März 2022 stattfinden, es wird auch keinen Ersatztermin Richtung Mai geben. Wir wollen im kommenden Frühjahr so nah wie möglich an das Konzept der Leipziger Buchmesse als Leser- und Autorenmesse anknüpfen. Die tragenden Kernprojekte werden erhalten. Da wir uns zugleich sehr stark auf das Pandemie-Management konzentrieren müssen, werden wir jetzt aber nicht jedes letzte liebgewordene Messe-Detail mitnehmen können. 

Was ist dieser Kern? 

Zille: Ganz klar die Idee von „Leipzig liest“! Lesungen, Diskussionen auf dem Messegelände und in der Stadt. Genauso wie der Bildungsteil und die Leseförderung. Im Sommer haben wir evaluiert, wie es unseren langjährigen Veranstaltungspartnern und -orten geht, wie deren Lernkurven in der Pandemie ausschauen, was sie unter den aktuellen Bedingungen der Sächsischen Corona-Schutzverordnung leisten können. In Leipzig haben wir etwa 350 Orte in unserem Pool.

Bisher galt: Wer sich als Aussteller anmeldet, hat freie Fahrt bei „Leipzig liest“. Bleibt das so?
Zille: Unter den pandemischen Bedingungen ist unsere Handlungsfreiheit auch hier eingeschränkt. Wir tun aber das Mögliche und kommunizieren dazu klare Regeln an unsere Aussteller.

Wie wichtig war „Leipzig liest extra“ Ende Mai?
Zille: Es war ungemein wichtig! Wir haben getan, was zum damaligen Zeitpunkt möglich war - mit ein bisschen Glück und sehr viel Schweiß. Auch für die Psychologie der Mannschaft war es wichtig, wieder etwas Aufbauendes zu tun - und nicht nur Abwicklungsarbeiten durchzuführen. Diese Tage haben uns aber auch die Gefahren und Bruchkanten eines „Leipzig liest“ ohne Messe aufgezeigt: Normalerweise liegt der „Glutkern“, die Bindungskraft der Gesamtveranstaltung auf dem Messegelände, von dort aus bestimmt sich letztlich auch, was in der Stadt passiert.  

 

 

 

Der 'Glutkern', die Bindungskraft der Gesamtveranstaltung liegt auf dem Messegelände, von dort aus bestimmt sich letztlich auch, was in der Stadt passiert. 

Oliver Zille

Wie nutzen Sie die Förderung durch das Programm Neustart Kultur?

Zille: Dank der Förderung durch das BKM sind wir in der Lage, die Standbeteiligungen für 2022 deutlich zu rabattieren. Bei Ständen bis acht Quadratmeter sind das 50 Prozent, ab neun Quadratmetern 30 Prozent. Und auch die Stornobedingungen können wir, analog zu Frankfurt, noch einmal erleichtern: Bei einer Messe-Absage durch uns oder einer kurzfristigen Absage der Aussteller aufgrund einer pandemischen Lage werden wir auf Messerücktrittsgebühren verzichten.

Auch wenn das ein wenig nach Blick in die Glaskugel klingt: Von welchen Besucher-Zahlen gehen Sie - Stand heute - aus? 

Zille: Aktuell ist laut sächsischer Corona-Schutzverordnung ein Besucher auf vier Quadratmetern Fläche erlaubt. Das gesamte Messegelände belegt rund 100.000 Quadratmeter, das macht zirka 25.000 Besucher pro Tag, bei vier Messetagen wären das 100.000 Besucher. Im letzten regulären Veranstaltungsjahr hatten wir rund 200.000 Besucher auf dem Messegelände – es wäre also ungefähr die Hälfte. Alle Besucher müssen sich - wie auch Aussteller und Dienstleister - messetäglich online registrieren, damit eine Kontaktnachverfolgung möglich bleibt. Wir planen, alle Hallen zu belegen. Im Gegensatz zu anderen Messen wird jeder Stand an der Frontseite zur gebuchten Fläche noch einen Meter „Kommunikationsfläche“ bekommen, die nicht bebaut werden, aber bespielt werden darf, ohne auf den Gängen zu stehen. Bei einer Gangbreite von vier Metern gibt es also insgesamt sechs Meter Abstand zwischen den Ständen - es wird großzügiger. In den Hallen ist neue Luftumschlagtechnik installiert. Es gilt die 3-G-Regel und Maskenpflicht auf dem Messegelände.

Dank der Förderung durch das BKM sind wir in der Lage, die Standbeteiligungen für 2022 deutlich zu rabattieren. Bei einer kurzfristigen Absage aufgrund einer pandemischen Lage werden wir auf Messerücktrittsgebühren verzichten.

Oliver ZIlle

Gibt es nach den Erfahrungen der letzten 18 Monate Überlegungen, die in Richtung eines Hybrid-Konzepts gehen? 

Zille: Es gibt keinen hybriden „Plan B“. Es ist Teil des Konzepts, auch digitale Veranstaltungen anzubieten. Höhepunkte wie die Eröffnung im Gewandhaus oder der Preis der Leipziger Buchmesse werden gestreamt, also Veranstaltungen, die wir selbst initiieren. Dazu wollen wir Streaming-Angebote als Dienstleistung für Verlage in ausgewählten Messe-Foren anbieten. Auch die Zuschaltung von Autorinnen und Autoren, die - aus welchen Gründen auch immer - nicht physisch an Veranstaltungen teilnehmen konnten, haben wir als echten Mehrwert erlebt. Die hybriden Verlängerungen sollen beibehalten werden. Und natürlich soll man Bücher künftig auch online kaufen können, nicht nur in der Messebuchhandlung oder am Stand. Die Fördermittel aus dem Konjunkturpaket Neustart Kultur in Höhe von zwei Millionen Euro werden zum überwiegenden Teil für die Aussteller-Förderung ausgegeben, fließen aber auch in digitale Projekte und Corona-Schutzmaßnahmen.   

Stichwort Messebuchhandlung: Ist Hugendubel weiter als Partner am Start?

Zille: Ja. Sie glauben an die Zukunft der Leipziger Buchmesse und ein buchkaufwilliges Publikum, genauso wie wir. Es wird zwei große Buchhandlungen geben: Eine Kinder- und Fantasy-Buchhandlung und ein allgemeines Sortiment. Darüber hinaus wird Hugendubel in ausgewählten Fällen sicher auch als Verlagsdienstleister auftreten. Der Buchverkauf ist ja freigegeben - eine nachgeholte Premiere aus dem März 2020. 

 

Und natürlich soll man Bücher künftig auch online kaufen können, nicht nur in der Messebuchhandlung oder am Stand.

Oliver Zille

Gehört die Manga-Comic-Con auch zu den definierten Kern-Projekten? 

Zille: Ja, auch die MCC wird 2022 wieder fester Teil der Leipziger Buchmesse sein.

Kommen auch die Leipziger Hotels den Buchenden für März 2022 mit großzügigeren Storno-Regeln entgegen?  

Zille: Die Messe hat für ihre Kunden dazu Gespräche geführt. Von einem Großteil unserer Partnerhotels gibt es das Signal, dass die Stornobedingungen deutlich kurzfristiger gefasst sind.

Das scheint generell eine Herausforderung der Arbeit in Pandemiezeiten zu sein? Alles ist schneller getaktet...

Zille: Ja, auch bei unseren Dienstleistern: Alle Bestellungen laufen kurzfristiger, wir müssen schauen, wie wir das intelligent abwickeln. Viele leiden momentan unter großer Personalnot. Wir als Buchmesse sind immerhin in der glücklichen Lage, dass wir nach einigen Wechseln wieder eine Mannschaft fest zusammenhaben, mit der wir die aktuellen Herausforderungen angehen. Um ganz praktisch herauszufinden, wo unsere Dienstleistungs-Partner stehen, brauchen wir die Erfahrung nächster Veranstaltungen hier auf dem Messegelände. 

Wo werden Sie am 17. März 2022 um 16 Uhr sein? 

Zille: Ich stehe vor Publikum auf der Bühne der Glashalle und begrüße alle zur Verleihung des Preises der Leipziger Buchmesse.

Leipziger Buchmesse + Manga-Comic-Con (MCC) und Leipziger Antiquariatsmesse

  • Termin: 17. – 20. März 2022
  • Gastland der Leipziger Buchmesse 2022: Portugal
  • Schwerpunktregion 2020-22 der Leipziger Buchmesse: Common Ground: Literatur aus Südosteuropa 
  • Preis der Leipziger Buchmesse: Neue Jury unter der Leitung von Insa Wilke 
  • Leipzig liest: in der Stadt und auf dem Messegelände 

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