„Ministudie“ des LV Nord

Das Umfeld macht dem Buchhandel die größten Sorgen

11. Oktober 2023
von Sabine Cronau

Leerstände, Konsumflaute, Inflation: Wie geht es dem stationären Buchhandel in dieser schwierigen Gemengelage? Und wie entwickelt sich das Umfeld? Das hat der Landesverband Nord im Börsenverein in einer „Ministudie“ erkundet. Die Ergebnisse überraschen – positiv wie negativ.

„Ministudie“: So nennt der Landesverband die Befragung, die in Kooperation mit Nachhaltigkeitsforscher Constantin Alexander von der Leuphana Universität Lüneburg entstanden ist. Landesverbände und Bundesverband des Börsenvereins haben sich in den vergangenen Monaten im Rahmem von acht Veranstaltungen intensiv mit dem Thema „Frequenzbelebung in den Innenstädten“ beschäftigt. Die Ministudie bildet für dieses Jahr den Abschluss der Initiative.

231 Mitgliedsbuchhandlungen haben sich im Frühjahr an der Umfrage zur Ministudie beteiligt – und damit gut die Hälfte aller 425 Sortimente, die dem Landesverband in Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern angehören. Nicht alle Teilnehmer haben alle Fragen beantwortet, manchmal waren auch Mehrfachnennungen zugelassen. Deshalb weichen einige Ergebnisse von der Gesamtzahl ab.

Wie sehen Sie aktuell die Situation für den stationären Buchhandel?

Die Antworten auf diese Einstiegsfrage fallen sehr heterogen aus. „Mittelgute Stimmung mit negativer Tendenz“: So fasst Constantin Alexander das Ergebnis zusammen. Auf einer Skala von 1 bis 10 antworten nur 2 Buchhandlungen mit „sehr gut“, die meisten anderen verorten sich im (unteren) Mittelfeld.

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen des stationären Buchhandels?

Auf Platz eins landet mit 110 Nennungen die Entwicklung im Umfeld der Buchhandlung beziehungsweise der Frequenzrückgang bei den Passanten. Das Motto der Ministudie („Die Zukunft der Innenstädte…ist die unsere?!“) trifft damit genau ins Schwarze. Leerstände in der City oder auch die Schließungen großer Kaufhäuser haben gravierende Folgen für den verbleibenden Buchhandel.

  • Auf Platz zwei folgt das Konsumverhalten mit 109 Nennungen
  • Auf Platz drei die Wirtschaftlichkeit / Rentabilität des Geschäfts (mit 101 Nennungen)
  • Auf Platz vier landet der Internethandel mit 98 Nennungen

Neue Kunden in den Pandemie

Während diese vier Faktoren den Studienteilnehmern Sorge bereiten, hat das Gros der Buchhandlungen die Corona-Krise vergleichsweise gut überstanden. Immerhin geben 143 Befragte zu Protokoll, dass sie in der Pandemie neue Kunden hinzugewonnen haben, 71 Sortimenter:innen melden, dass sie ihre Öffnungszeiten nach Corona sogar erweitert haben. Von Disruption keine Spur, eher von Chancenzuwachs. Das hat den Nachhaltigkeitsforscher durchaus überrascht – schließlich war die Pandemie für die meisten anderen Einzelhandelszweige ein massiver Einschnitt.

Constantin Alexander

Man muss sich einfach kümmern... mit Fantasie und ungewöhnlichen Ideen!

Constantin Alexander, Nachhaltigkeitsforscher an der Leuphana Universität Lüneburg

Das lokale Umfeld schwächelt

Indirekt ist der Buchhandel allerdings dennoch von den Corona-Folgen betroffen. Denn Moderiesen wie H&M geraten ins Wanken, auch immer mehr inhabergeführte Fachgeschäfte in den deutschen Innenstädten schließen. Das hat sehr wohl Auswirkungen auf den Buchhandel, denn mehr als 77 Prozent der Befragten (179 Buchhandlungen) sehen einen direkten Zusammenhang zwischen der Entwicklung ihres Geschäfts und dem lokalen Umfeld.

„Wobei dieses Umfeld aus Sicht der Teilnehmenden tendenziell wenig gesund bzw. funktionstüchtig ist“, so Constantin Alexander in der Auswertung: „Dies passt zur Wahrnehmung der Herausforderungen und der allgemeinen Veränderungen der (Innen-)Städte und Dorfkerne.“

Ganz wichtig, aber immer rarer: Parkplätze

Damit das Umfeld überhaupt funktioniert, müssen aus Sicht der befragten Buchhandlungen vor allem folgende Standortfaktoren erfüllt sein:

  • Parkplätze (180 Nennungen)
  • Einkaufsstraße oder Einkaufszentrum (169)
  • Schule oder andere Bildungseinrichtungen (140)

Haben Sie im vergangenen Jahr überlegt, Ihr Geschäft zu schließen?

Die Reaktionen auf diese Frage sollten der Branche zu denken geben. Zwar antworten 178 Buchhändler:innen mit „Nein“, aber 61 Teilnehmer haben durchaus mit dem Gedanken gespielt, das Geschäft 2022 aufzugeben. Auch die Gründe dafür wurden abgefragt:

  • Auf Platz 1 steht mit 34 Nennungen die Rentabilität. Hier machen sich die Folgen der Inflation bemerkbar: Sie hat die Kosten auf vielen Ebenen in die Höhe getrieben.
  • Auf Platz zwei und drei folgen die Gründe Alter / Gesundheit (16) und Personal (11). Die dritte Antwort macht deutlich: Der Fachkräftemangel ist auch im Buchhandel angekommen.

Für Volker Petri, Geschäftsführer des Landesverbands Nord, sind diese Zahlen alarmierend. Er fürchtet, dass sich Buchhandel auf kleinerer Fläche angesichts massiver Kostensteigerungen bald gar nicht mehr rechnen könnte.

Die Schwierigkeiten bei der Nachfolgesuche und der Fachkräftemangel würden zwar genannt: "Es besteht aber die Gefahr, dass wir diese Fragen angesichts aktueller Probleme verdrängen und es in letzter Konsequenz zum schleichenden Prozess eines Flächensterbens kommen könnte."

Volker Petri bei der Präsentation der Studie

Volker Petri bei der Online-Präsentation der Studie

Der Buchhandel kann die Herausforderungen, die vor ihm liegen, mit breiter Brust angehen.

Volker Petri, Geschäftsführer des LV Nord

Trotzdem gibt es Grund für Optimismus.

Das zeigen die folgenden Ergebnisse der Ministudie:

  • Die meisten Buchhandlungen (172 Nennungen) pflegen enge Kontakte zu Entscheidern vor Ort, in der Politik, in der Verwaltung, im Marketing.
  • Der Großteil der Sortimente (170) hat das eigene Portfolio längst erweitert und bietet neben dem Buchverkauf noch weitere Produkte oder Services an – etwa Events / Aktionen (87), Kartenvorverkauf (84), Geschenkartikel / Spielwaren (58), Büro- und Schreibwaren (50). Denn klar ist: Je weniger Fachhändler es vor Ort gibt, desto mehr Lücken kann der Buchhandel mit seiner Produktpalette schließen.
  • Aus Sicht der meisten Befragten sind Lesungen ein besonders wichtiger Teil des buchhändlerischen Angebots. Immerhin 85 Umfrage-Teilnehmer bieten mittlerweile wieder ein Veranstaltungsprogramm auf Vor-Corona-Niveau an.

Damit, so Volker Petri, verfüge der stationäre Buchhandel letztlich über alles, was er brauche, um auch in Zukunft bestehen zu können: Er kenne seine Kunden, er kenne die Entscheider auf kommunaler Ebene und habe sich durch vielfältige Veranstaltungen ein Renommee als Ort der Kultur erarbeitet.

Der Handelsverband Deutschland beschäftige sich im Moment damit, wie der Einzelhandel kulturell aufgewertet werden könne, berichtete Petri – etwas, was der Buchhandel längst leiste: „Wir können die Herausforderungen, die vor uns liegen, mit breiter Brust angehen.“ Constantin Alexander bringt es in der Studie so auf den Punkt: "Man muss sich einfach kümmern... mit Fantasie und ungewöhnlichen Ideen!"

Zum Download der "Ministudie"

Die Ergebnisse sind hier im Mitgliederbereich des Landesverbands Nord abrufbar. Das Video von der Präsentation finden Sie hier:

Aufzeichnungen von einzelnen Veranstaltungen des Börsenvereins und seiner Landesverbände zum Thema Innenstadtentwicklung und Frequenzbelebung finden Sie hier.