Verleger Jürgen Horbach über Titelsperrungen in Online-Shops

Die Freiheit zur Verweigerung

4. August 2020
von Börsenblatt

Üben Buchhändler*innen Zensur aus, wenn sie einzelne Titel im Online-Shop sperren? Im Gegenteil, meint Verleger Jürgen Horbach, im Börsenverein Sprecher der IG Meinungsfreiheit. Eine Betrachtung über die Freiheit zur Verweigerung - als Akt der Ausübung von Meinungsfreiheit.

 

Wie findet das Buch eines speziellen Autors Eingang in das Programm eines Verlages?

Vielleicht gibt es persönliche Kontakte zum Autor, vielleicht erreicht das Manuskript den Verlag über eine Agentur, vielleicht gibt es eine Empfehlung. Der Verlag sichtet den Inhalt des Manuskriptes, bewertet Inhalt und Form, spricht und diskutiert mit dem Autor und entscheidet dann, ob er das Manuskript dieses speziellen Autors in das Programm aufnimmt.

Entscheidungskriterien sind die Qualität des Manuskriptes und der Sprache, die Themenrelevanz. Passt das Manuskript zum inhaltlichen Profil des Verlages? Auch die Persönlichkeit des Autors kann ein Entscheidungskriterium sein. Der Verlag kommt damit seiner Selektions- und Auswahlfunktion nach. Er entscheidet aus einer Vielzahl von Angeboten, welches Buch erscheinen wird. Ein Verlagsprogramm ist immer nur eine Auswahl aller Angebote.

Der bewusste Buchhändler geht bei der Zusammenstellung seines Sortiments vergleichbar vor. Auch er wählt aus den Angeboten der Verlage – hunderttausende Titel jährlich – die aus, die er in seinem Sortiment vertreten sehen will. Die Auswahlkriterien sind ähnlich derer im Verlag: Qualität, Themenrelevanz, Form, Bekanntheitsgrad des Autors, Marketinggesichtspunkte. Auch hier kann die Persönlichkeit des Autors ein Entscheidungskriterium sein.

Es gibt für einen Autor kein Menschen- oder Meinungsfreiheitsrecht, sein Manuskript in einem speziellen Verlag veröffentlichen zu können, es gibt nicht einmal ein Recht darauf, dass ein Manuskript überhaupt veröffentlicht wird. Ebenso wenig, wie es eine Abnahmeverpflichtung der Buchhändler gibt, bestimmte Titel aus bestimmten Verlagen führen zu müssen.

Ablehnung ist keine Zensur, sondern eine Geschmacks-, Qualitäts- oder Relevanzfrage.

Jürgen Horbach, Kalenderverleger und Sprecher der IG Meinungsfreiheit im Börsenverein

Der Autor ist frei, sein Manuskript dem Verlag seiner Wahl anzubieten und nicht allen Verlagen, der Verlag ist frei, einer Annahme zuzustimmen oder abzulehnen, der Buchhändler ist frei, dieses Buch einzukaufen oder nicht. An keiner Stelle – auch im Falle einer Ablehnung – sind hier Freiheitsrechte negativ berührt. Jedenfalls solange nicht, solange die Ablehnung individuell erfolgt und nicht für ein bestimmtes Territorium oder bestimmte Handelsformen generell verordnet wird (von wem?). Ablehnung ist keine Zensur, sondern eine Geschmacks-, Qualitäts- oder Relevanzfrage, sie kann auch durch politische und sonstige Meinungen eines Autors oder durch seine Handlungen bestimmt oder beeinflusst werden.

Übrigens entscheidet der Leser oder Käufer selbst ja auch. Niemand kann gezwungen werden, bestimmte Bücher eines bestimmten Autors zu kaufen oder zu lesen.

Ein Beispiel aus der jüngeren Geschichte war die Diskussion um den Autor Peter Handke, seine politische Haltung zu Serbien und während der Balkankriege und den an ihn verliehenen Literaturnobelpreis. Wer ihm als Händler politisch kritisch gegenüberstand, musste seine Bücher nicht führen, wer als Leser eine andere Moral vertrat als Handke, musste seine Bücher nicht lesen.

Genau in den freien Wahlmöglichkeiten ist die Meinungsfreiheit begründet.

Jürgen Horbach

Genau in den freien Wahlmöglichkeiten ist die Meinungsfreiheit begründet. Eine Meinung zu haben, kann auch bedeuten, dass man andere Meinungen gerade ausschließt oder zumindest als weniger wichtig erachtet. Meinung ist immer auch ab- oder ausgrenzend. Allerdings sollte man sich in einer offenen, demokratischen Gesellschaft einer Diskussion über Meinungen, auch der eigenen, immer stellen.

Wenn ein Buchhändler bestimmte Bücher nicht führt, weil er der Meinung ist, ein Autor vertrete politisch fragwürdige Thesen, dann ist das im Rahmen der Meinungsfreiheit legitimiert. Das Buch kann ja frei woanders beschafft werden. Wer ein Buch nicht führt, verbietet es nicht. Wer ein Manuskript nicht annimmt, verhindert damit nicht, dass es nicht in einem anderen Verlag als Buch erscheint.

Zensur wird ganz überwiegend nur von Obrigkeiten ausgeübt, die gleichzeitig die Macht haben, ein Verbot auch durchzusetzen. Die populärsten Beispiele sind staatliche oder kirchliche Zensur. Privaten Institutionen, einzelnen Individuen oder Unternehmen fehlt sowohl die Legitimation als auch die Macht, Zensur ausüben zu können. Genau das trifft auch auf den Fall Attila Hildmann zu. Jeder, der ein Buch von ihm kaufen möchte, kann dies ungehindert tun – allerdings womöglich nicht überall.

Nicht jeder Buchhändler möchte durch das Angebot dezidiert rechter Verlagsprogramme in deren Umfeld verortet werden. Das ist sein gutes Recht.

Jürgen Horbach

Allerdings gilt, dass, wenn ein Buch in das Sortiment eines Händlers aufgenommen wurde, der Verkauf nicht verweigert werden kann, auch nicht aus politischen Gründen. Das gilt auch für Online-Händler und Großhändler. Betreibt eine Buchhandlung einen White-Label-Shop bei einem Großhändler, so liegt die Sortimentszusammenstellung beim Buchhändler als Betreiber.

Er kann daher die Bücher von A. Hildmann aus seinem Sortiment löschen, selbst wenn das Buch beim Großhändler verfügbar wäre. Ein Lieferzwang seitens des Buchhändlers besteht dann nicht. Im Sinne der Meinungsfreiheit wäre die auch nicht tangiert, wenn ganze Verlagsprogramme in einem Online-Shop nicht angeboten würden. Entscheidend ist, dass der Zugang zu diesen Büchern oder Programmen grundsätzlich möglich ist. Nicht jeder Buchhändler möchte durch das Angebot dezidiert rechter Verlagsprogramme in deren Umfeld verortet werden. Das ist sein gutes Recht.

Es leuchtet ein, dass alles andere auch eine Umkehrung der Meinungsfreiheit wäre: Dass jeder Händler gezwungen werden könnte, Bücher nahezu jeden juristisch erlaubten Inhaltes und von jedem Autor mit egal welcher extremen politischen Gesinnung, zu verkaufen, wäre ein diktatorischer Akt. Ja, es steht sogar jedem frei, die politischen Äußerungen von A. Hildmann gar nicht mehr zur Kenntnis zu nehmen, vielleicht, weil er sie verabscheut.