Essaywettbewerb für Schülerinnen und Schüler

Die Gleichgültigen unter uns

9. Mai 2025
Matthias Glatthor

Bewegend, aufrüttelnd, mahnend: Die Texte, die die drei Siegerinnen eines Essaywettbewerbs an Frankfurter Schulen zum Thema Gleichgültigkeit bei der Preisverleihung im Haus des Buches vortrugen, hatten es in sich. Der Wettbewerb fand zur Woche der Meinungsfreiheit statt. 

Vorn von links: Frank Dievernich, Luana Terelle, Delisha Zaman und Anvita Thakur. Hinten: Peter Kraus vom Cleff

Ausgelobt hatten den Essaywettbewerb die Stiftung Polytechnische Gesellschaft und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels im Rahmen der Woche der Meinungsfreiheit (3.–10. Mai). Die Idee war bei einem gemeinsamen Mittagessen entstanden, wie Peter Kraus vom Cleff, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, und Frank Dievernich, Vorsitzender des Stiftungsvorstands der Polytechnischen Gesellschaft, verrieten. Die beiden führten, sichtlich begeistert und beeindruckt von den vorgelegten Essays, durch die Preisverleihung am 8. Mai, nebenbei der 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs in Europa, in einem Saal im Haus des Buches in Frankfurt am Main. Der Raum war gut gefüllt, durch die Glasfront zur Berliner Straße schielte die Sonne hinein.

Ein Viertel wählen eine gesichert rechtsextreme Partei, da kann man nicht nichts tun.

Peter Kraus vom Cleff

"Die Gleichgültigen unter uns" lautete das Thema des Essaywettbewerbs, der sich an Schülerinnen und Schüler der Frankfurter Oberschulen ab der 10. Klasse richtete. 29 Texte wurde eingereicht, die elf besten Essays am Abend im Haus des Buches ausgezeichnet.

"Wir waren berührt, was für Texte gekommen sind", brachte es Frank Dievernich auf den Punkt. Mit Blick auf die großen Demos gegen rechts, hatte man gedacht, es gibt auch die, die nicht aufstehen, "auf die wir so leicht mit dem Finger zeigen". Können man hier mit der Literatur etwas machen? Und geboren war der Essaywettbewerb. Statt 10 hat man nun 11 Texte ausgewählt ("Die Qualität war so groß, dass wir uns nicht auf zehn einigen konnten", so Kraus vom Cleff) – die besten drei wurden auf der Veranstaltung von den Schülerinnen vorgetragen.

Gleichgültigkeit wird zur gefährlichen Normalität.

Anvita Thakur

Nach vorn gerufen wurden in alphabetischer Reihenfolge Luana Terelle, Anvita Thakur und Delisha Zaman, die ihre genaue Platzierung noch nicht kannten. Das wurde erst im Lese-Countdown klar. Den Anfang machte die drittplatzierte Anvita Thakur, die gerade im Abitur steckt. Klar und pointiert trug sie ihren Essay vor, in dem sie den unterschiedlichen Gesichtern der Gleichgültigkeit nachspürte. Gleichgültigkeit werde heute zur gefährlichen Normalität. Die Frage sei, ob wir gleichgültig bleiben. Man könne sich wandeln. Die Jury lobte, der Text sei "stark in der Differenzierung, stringent in der Gliederung, genau in der Argumentation".

Wie kann es sein, dass ich trotz allem in bestimmten Situationen gleichgültig handle?

Delisha Zaman

Leise hob Delisha Zaman bei ihrem Essay an, in dem sie sehr persönlich über ihre persönliche Gleichgültigkeit berichtet. Das führte sie vor dem Hintergrund der "Julirevolution" 2024 in Bangladesch aus, dem Heimatland ihrer Eltern, das sie mit ihrer Familie genau zu dem Zeitpunkt besuchte. Beklemmend. Auch in der Schule spüre sie Scham, Schuld für ihr gleichgültiges Verhalten, sie hoffe immer, das andere in ihrem Sinne handeln würden. Dabei denke sie gar nicht gleichgültig. Sie halte sich dennoch zurück, "weil ich offen und ehrlich, feige bin". Was für ein Statement der Q2-Schülerin, die aber folgert: "Wir müssen uns Mut aneignen und endlich handeln". "Authentisch, persönlich, relevant", urteile die Jury über ihren Essay. Es entstehe ein Stück Prosa aus Betroffenheit, das souverän der Gefahr entgeht, bloß Betroffenheitsprosa zu sein. "Sie haben uns ins Herz gesprochen", so Frank Dievernich. Und die Autorin erklärte, ihr sei im Laufe des Schreibens klar geworden, wie falsch es sei, nicht zu handeln.

Sie führten gekonnt durch die Veranstaltung: Peter Kraus vom Cleff (links) und Frank Dievernich

 

Gleichgültigkeit ist eine Reaktion auf eine Welt, die zu laut, zu grell ist. 

Luana Terelle

"Der Text ist schon eine Frechheit", sagt Dievernich augenzwinkernd zu Luana Terelle, die den ersten Platz belegte. Sie halte uns den Spiegel vor, frage, ist auch der Essaywettbewerb nur Symbolik? "Ein Artikel erscheint, dann liegt er in der Ecke. Aber das macht nichts, der nächste Wettbewerb kommt bestimmt." Terelle gelinge "die stilistisch und gedanklich brillante Dekonstruktion eines ebenso wirkungslosen wie wohlfeilen Empörungsbetriebs", so die Jury. Ihr Essay besteche als kluge, inspirierend geschriebene Provokation. Wir müssen lernen, uns wieder miteinander auseinanderzusetzen, fügte Kraus vom Cleff an: "Wir müssen wieder streiten!"

Terelle, die ebenfalls in diesem Jahr ihr Abi macht, hatte einen Tag vor der Deutschklausur erfahren, dass sie auf dem Podium ist. Wie passend. Den Grundgedanken für ihren Essay hatte sie schnell, erzählte sie später, hat dann viel am Text gearbeitet. Was hat sie nach dem Abi vor? Sie überlege, Germanistik und Ethik zu studieren. "Ich liebe die Sprache."

Der Jugend eine Stimme geben, das müssen wir beibehalten.

Frankk Dievernich

Die drei bekamen ihre Urkunden, ebenso die vor Ort anwesenden anderen acht Prämierten (zwei waren verhindert): Insgesamt neun Schülerinnen und zwei Schüler. Wer alle elf Essays lesen möchte, hat dazu bald die Gelegenheit: In Kooperation mit Libri (BoD) erscheint zur Frankfurter Buchmesse ein Sammelband, die Umschlaggestaltung übernimmt die Büchergilde. Die Einnahmen werden gespendet. Und alle elf Schülerinnen und Schüler werden auf der Buchmesse ihre Texte vorlesen – so ist es jedenfalls geplant.

Ein Abend mit Nachhall, der mit Gesprächen bei Snacks und Getränken seinen Ausklang fand. Schön war’s!

Gruppenbild mit allen Ausgezeichneten