Jahrestagung IG Belletristik und Sachbuch

"Erschöpfte Demokratien"

24. Januar 2025
Redaktion Börsenblatt

Die Historikerin Mirjam Zadoff hielt auf der Jahrestagung der IG Belletristik und Sachbuch in München eine vielbeachtete Keynote zum Thema "Erschöpfte Demokratien". Wir dokumentieren die Rede im Wortlaut.

Mirjam Zadoff

Mirjam Zadoff

Als mich die Einladung des Börsenvereins erreichte, heute mit Ihnen über Demokratie und Meinungsfreiheit zu sprechen, habe ich sofort und begeistert zugesagt. Es gibt so vieles zu besprechen, und Ihre Arbeit erreicht Menschen auf so unterschiedlichen Ebenen, weil Sie das manchmal schon beinahe Unmögliche schaffen: unterschiedliche Stimmen zwischen zwei Buchdeckeln, in einem Verlagsprogramm oder einer Buchhandlung zu versammeln, wo sie friedlich miteinander koexistieren. Kein leichter Job.

Am heutigen Tag, dem 21. Januar, ist das neue Jahr noch jung, knapp drei Wochen alt. Das Jahr 2025 hat für mich – und ich weiß, ich bin damit nicht allein – nicht wie andere Jahre mit einem Neujahrsvorsatz begonnen, sondern in erster Linie mit einem Aufatmen: Überstanden, 2024 war erledigt, geschafft und abgeschlossen. Es war ein Jahr voll persönlicher Trauer und großem Verlust gewesen, aber auch ein Jahr der unerwarteten, erschöpfenden Ereignisse. Am 5. September hatte ein jugendlicher Österreicher zweimal mit einem historischen Gewehr auf das NS-Dokumentationszentrum geschossen, um von dort weiter zum israelischen Generalkonsulat zu ziehen. Obwohl niemand, bis auf den Täter, an diesem Tag getötet wurde, hinterließ das Ereignisse nachdrückliche Spuren in unserem Haus und unserer Arbeit. Eine Eröffnung der Kunstinstallation "Wir sind hier" von Talya Feldmann über die fehlende Erinnerung an Opfer antisemitischer und rassistischer Gewalt konnte wenige Tage später nicht wie geplant stattfinden. Davon abgesehen war 2024 ein voll politischer Enttäuschungen gewesen, um nur die Europawahlen oder die Kommunalwahlen in den östlichen Bundesländern zu nennen, die enormen Gewinne einer rechtsradikalen Partei in Österreich, den Verlust Amerikas an die Maga Bewegung, der Krieg in der Ukraine oder die immer wieder gescheiterten Waffenstillstandsverhandlungen zwischen Israel und der Hamas.

Nun also ein neues Jahr, so dachte ich erleichtert und ein wenig hoffnungsvoll. Zugleich hörte ich, wie mein inneres Ich mir zuraunte, ich solle mich nicht zu früh freuen, nicht zu schnell aufatmen, denn wer weiß, womit 2025 aufwarten würde.

Mirjam Zadoff

Nun also ein neues Jahr, so dachte ich erleichtert und ein wenig hoffnungsvoll. Zugleich hörte ich, wie mein inneres Ich mir zuraunte, ich solle mich nicht zu früh freuen, nicht zu schnell aufatmen, denn wer weiß, womit 2025 aufwarten würde. Und was ist in diesen kurzen drei Wochen des neuen Jahres nicht alles passiert? Große Teile von Los Angeles sind in Flammen aufgegangen, das Thomas Mann Haus und die Villa Aurora – Zufluchtsorte der deutschen Intelligenz - konnten nur mit Mühe gerettet werden. In Österreich sah sich der aufrechte und integre Bundespräsident Alexander van der Bellen gezwungen, sein Versprechen zu brechen. Um das Land nicht in eine Regierungskrise zu stürzen, beauftragte er einen Mann mit der Regierungsbildung, der sich mit alten und neuen Nazis umgibt, Autokraten verehrt, Hass und Hetze verbreitet.

In Amerika ist seit Beginn des Jahres ein Tech-Milliardär nach dem anderen vor dem autoritären Wiederpräsidenten und verurteilten Kriminellen Trump. Und so stehen bei der gestrigen Inauguration die CEOs von Google, Apple, Tic Toc, Meta und X in der ersten Reihe des Publikums der Rotunde im Capitol. Im Januar vor vier Jahren war dieselbe Rotunde auf dem Titelblatt aller großen Tageszeitungen: Ein versuchter Putsch hatte sich ereignet. Die für dieses Vergehen Verurteilten werden am gestrigen Inaugurationstag begnadigt. 

Hinter den Oligarchen versammeln sich die Mitglieder der neuen Regierung, und irgendwo zwischen den geladenen Gästen finden sich auch Mitglieder einer internationalen Koalition der autoritären Politik: Javier Milei und Giorgia Meloni, Chinas Präsident Xi Jinping war verhindert und schickte seinen Vize, auch Viktor Orban ließ sich entschuldigen, und Alice Weidel entsandte wegen des Wahlkamps Tino Chrupalla.

Was sie alle vereint: die Gesellschaft, die sie sich vorstellen. Trump benennt es in seiner düsteren Rede, er spricht vom "Tag der Befreiung" und einer "complete restoration of America", und es klingt wie eine aufgewärmte Version dessen, was Ayn Rand vor Jahrzehnten erdachte: Ihr Roman Atlas shrugged, zu Deutsch Atlas wirft die Welt ab, ist bis heute eines der erfolgreichsten politischen Bücher der USA. Ayn Rand zufolge zählen Egoismus, Erfindergeist und Tüchtigkeit zu den wichtigsten Tugenden. Eine sozial harmonische Gesellschaft entsteht nur dann, wenn die minderprivilegierten, schlecht ausgebildeten Massen die Herrschaft einer wohlhabenden Elite akzeptieren, deren Überlegenheit als naturgegeben akzeptiert wird. . Vermutlich in etwa die Welt, die sich die dem autoritären Präsidenten anbiedernden Tech-Milliardäre in einer Zeit schrumpfender Ressourcen und künstlicher Intelligenz wünschen.

Die zweite Trump-Präsidentschaft wird ganz anders als die erste. War es damals ein Steve Bannon, der Europa den Faschismus bringen wollte, nachdem Trump ihn entließ, heute ein Elon Musk, der mit sehr viel mehr Geld und Reichweite ungleich gefährlicher ist. Musk habe, so erklärte Steve Bannon vor der Inauguration begeistert, eine viertel Milliarde in Trumps Wahlkampf investiert, mit der gleichen Summe, könne er jetzt alle europäischen Regierungen auf Linie bringen.

Haben Sie es auch gesehen? Gestern Abend gegen 22.00? Trump war erst wenige Stunden angelobt, da konnte man Elon Musk beobachten, wie er – überwältigt vor Glück – seine Rede in der Capital One Arena beendete mit einem Dank und einer emotionalen Geste – Hand aufs Herz und ausgestreckt zum Hitlergruß. Das Internet wie die wichtigsten, vor allem europäische und israelischen Medienoutlets reagierten schockiert, fragend. War es ein Hitlergruß? Ein römischer Gruß? Eine Provokation? "Die Zeit" kommentierte die Spekulationen und vielfach geäußerten Entschuldigungen von Musk auf wunderbar klare Weise, indem sie titelte: "Ein Hitlergruß ist ein Hitlergruß ist ein Hitlergruß".

Es ist erschöpfend, aber wenig überraschend. Musk hatte sich längst als Antisemit, Rassist und Whitesupremacist geoutet, als deutsche Politiker ihn noch hofierten und Tageszeitungen seinen Kommentar abdruckten.

Ganz nebenbei: Der Logik von Alice Weigel zufolge, wäre Musk nun wohl Kommunist oder Stalinist - nachdem Herr Hitler doch ein Linker gewesen sei. Wie lächerlich und wie widerlich. Und wie unverantwortlich, dass sie ihre Lügen und ihren gegen die Opfer gerichteten Hohn sogar im öffentlich-rechtlichen Fernsehen verbreiten darf. durfte), und dass keiner beherzt korrigiert: nein, Kommunisten waren die, die als erste im KZ landeten. Punkt.

Egal ob Kommunistennazis oder Oligarchen-Hitlergruß: Immer wieder sehen wir uns selbst fassungslos, aufs Neue empört über den Hohn, die Chuzpe, den Tabubruch, die Frechheit von Rechtsextremen, Populisten, Faschisten, Magas und so weiter.

Mirjam Zadoff

Dass ist alles nicht lustig, aber es verschwindet in einem Meer des Unsinns, des Buhlens um Aufmerksamkeit und der Desinformation, die über Social Media Plattformen verbreitet wird. Da wird uns Rechtsradikales ebenso in die Timelines gespült wie der Antifeminismus der Trad-Wives, Trans- und Intellektuellenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus, und evangelikale Familienplanung – und am Ende, für den finalen brain rot, noch ein paar süße Katzenvideos.

Egal ob Kommunistennazis oder Oligarchen-Hitlergruß: Immer wieder sehen wir uns selbst fassungslos, aufs Neue empört über den Hohn, die Chuzpe, den Tabubruch, die Frechheit von Rechtsextremen, Populisten, Faschisten, Magas und so weiter. Ziel dieses bewusst inszenierten Schauspiels, dieses Zermürbungsfeldzuges ist die liberale Demokratie als Staatsform in der nicht nur einige wenige, sondern ein Großteil der Bevölkerung urteils- und entscheidungsfähig bleibt. Die Provokationen und Aggressionen sind kalkuliert: Sie sollen uns erschöpfen und ermüden. Und die Strategie geht auf.

Als ich Anfang November in die USA reiste und die Collegestadt besuchte, in der ich bis 2018 gelehrt habe, erwartete mich eine veränderte Welt. Die Universität, die zu einer der besten öffentlichen Colleges in den USA zählt, wird inzwischen an zweitletzter Stelle gereiht, was die Meinungsfreiheit angeht. Zwischen nachts um 23.00 und morgens um 6.00 sind Meinungsäußerung auf dem Campus verboten: mit Freunden diskutieren, ein T-Shirt mit politischem Aufdruck tragen, Schilder tragen. Defacto bedeute das, dass nachts auf dem Campus nicht mehr gesprochen werden darf, es könnte sich ja um ein politisches Statement halten. Diese dramatische Einschränkung der Redefreiheit im Collegealltag kam um ein pro-Palästinacamp aufzulösen, wurde seitdem aber nicht mehr aufgehoben.

In vielen amerikanischen Counties wurden in den vergangenen Jahren hunderte Bücher, Studiengänge und Events verboten, weil sie Queerness, Rassismus- oder Antisemitismuskritik und Aufrufe sich zu positionieren zum Inhalt haben. Menschen landen im Gefängnis oder verlieren ihr Wahlrecht, erhalten keine oder teure Kredite, weil sie die falsche Hautfarbe haben. Ein erbitterter Kampf um die Diversität der amerikanischen Geschichte und die Frage der Verantwortung für erlittene Gewalt wird geführt. Same same but different in Österreich, wo seit 45 Jahren mit der Freiheitlichen Partei gerungen wird, von den Altnazis um Jörg Haider in den 1980er Jahren bis zu den neuen Rechtsradikalen und Identitären um den selbsternannten "Volkskanzler" Herbert Kickl. Hier wie dort sind Demokrat:innen erschöpft, wollen ihre Ruhe haben, Demonstrationen sind dünn bevölkert und selten.

Als ich 2018 aus den USA nach Deutschland zurückkehrte, sorgte Gaulands Vogelschiss für große Empörung. Aber die Erosion hatte damals bereits begonnen. In seiner ersten Präsidentschaft hatte Trump das Konstrukt der alternativen Fakten erfunden, die als Alternative zur Wahrheit Verbreitung finden über die sozialen Medien als Alternative zum Journalismus Verbreitung. Wenn Meinungen über Wissen stehen, lässt sich auch mit der Erinnerung an den Nationalsozialismus fast alles machen.

Aber soziale Medien sind Medien, die gefallen wollen und die Emotionen vor Vernunft stellen. Journalismus und Demokratie sind jedoch Kinder der Aufklärung, und sie müssen vor dieser Revolution der Lügen und Manipulation, den um eine solche handelt es sich, genommen werden. Gerade deshalb gehören sie, gemeinsam mit den Universitäten, zum erklärten Feind von Rechtspopulisten. Die Allianz von autokratischen Politikern mit Plattformen wie Meta, X oder TikTok, und nicht zuletzt Künstlicher Intelligenz, stellt die noch existierenden liberalen Demokratien vor enorme Herausforderungen. Umso wichtiger ist es, dass wir unsere Kräfte nicht mit Aufregung vergeuden und unnötig in den Wind blasen. Denn die Menschen sind müde, das demokratische Klein-klein ärgert, frustriert und ist letztlich auch zu wenig gelernt. Widerstand will gelernt sein, eingeübt, demokratische Praktiken müssen eingeübt werden.

Was ist der Wert der Demokratie? Wie kommt es dazu, dass Menschen gegen ihre eigenen Interessen handeln und Demokratien abwählen? Oder dass sie sich von einem unsinnigen Krieg überzeugen lassen? In Russland stellt sich eine kleine Organisation, das Public Sociology Lab seit dem Beginn des Angriffskriegs in der Ukraine diese Frage. Das PS Lab wollte herausfinden, was hinter den sehr hohen Zustimmungswerten der russischen Bevölkerung steckt, wo zwischen 70 und 80 Prozent sich für diesen Krieg aussprechen. Ohne Zweifel sind Einschätzungen dieser Art in einem autoritären Staat, wo Menschen Angst haben, ehrlich ihre Meinung zu sagen, immer fragwürdig.

Vor dem russischen Einmarsch in der Ukraine hatte PS Lab festgestellt, dass das Regime über zehn Jahre hin erfolgreich zu einer Entpolitisierung der Bevölkerung beigetragen hatte, Wie also schaffte es das Regime, das entpolitisierte Volk quasi über Nacht von einem sinnlosen, ungerechtfertigten Krieg zu überzeugen? Wäre man im Februar 2022 eingeschlafen, als der Großteil der Bevölkerung gegen den Krieg war, und ein Jahr später wieder aufgewacht, man hätte seine Umgebung nicht wiedererkannt.

Eine Recherche in vielen Teilen des weiten russländischen Territoriums brachte die Soziolog:innen zu folgendem Schluss: Eine komplexe Propagandamaschine hatte über Filme, Events und Werbungen den Krieg weit hinaus und in die vielen kleinen und großen Kommunen des Landes getragen. Mehr und mehr Menschen ließen sich von einer vermeintlichen "Rationalität" des Krieges überzeugen. Hat man drei Freunde, so zeigte die Recherche, dvon denen zwei für den Krieg sind und der dritte nach Georgien flieht, passt man sich der Meinung seiner Umgebung an. So funktionieren autoritäre Gefüge.

Und an die Demokratie würden die Russen ohnedies nicht glauben, stellte PS Lab nebenbei fest: nicht unbedingt weil die Menschen in einer Diktatur leben wollen, sondern weil sie davon überzeugt sind, dass es Demokratien, in denen Menschen ihre Politiker ernsthaft wählen dürfen, nur im Märchen gibt.

Was ist nun zu tun, damit diese russische Einschätzung nicht Wirklichkeit wird? Als Leiterin eines Museums mache ich die Erfahrung, dass es immer schwierig wird, die zersplitterten, verfeindeten Meinungen zusammenzubringen. Eine Gruppenausstellung? Herausfordernd. Ein Veranstaltungsprogramm? Spießrutenlauf. Aber wem sage ich das, niemand kennt das Problem besser als Sie: Wie können wir überhaupt noch Menschen an einen Tisch bringen?

Untersuchungen in den USA zeigen, dass Menschen – nicht nur Jugendliche – mehr Zeit alleine verbringen als jemals zuvor: ein nicht zu übersehender Umstand mit dramatischen Konsequenzen für die politische Kultur, das gesellschaftliche Zusammenleben und die kulturelle Viel- oder eben Einfalt.

Nicht nur die Wirtschaftskrise und postpandemische Verhaltensweisen sind dafür verantwortlich, wenn Bars und Restaurants bei gleichem Umsatz leer bleiben. Das Essen wird lieber nach Hause genommen. Und wer doch noch auswärts isst, tut es häufiger und häufiger am liebsten allein. Durchschnittliche Amerikaner:innen gehen nur mehr dreimal im Jahr ins Kino, sie schauen aber 19 Stunden pro Woche zu Hause fern, manche bis zu 7 Stunden am Tag. Hinzu kommt, dass von 900 wachen Minuten am Tag 280 am Handy verbracht werden, am Wochenende sogar 380 – also zwischen einem Drittel und beinahe der Hälfte des wachen Tages.

In vielen amerikanischen Kommunen gibt es keine Vereine mehr, die Arbeiterbewegung spielt keine Rolle mehr. Seit den 1980ern investieren die Kommunen viel weniger Geld in öffentliche Räume, wie Spielplätze Bibliotheken, Veranstaltungshäuser oder öffentliche Verkehrsmittel. Wohnungen werden so gebaut, dass in jedem Raum ein großer Flatscreen montiert werden kann, es aber keinen Platz mehr gibt für Bücher. Es gibt keine klare Grenzen mehr zwischen dem draußen und dem drinnen, wenn zu Hause eingekauft und das Essen geliefert wird. Menschen leben allein und zurückgezogen wie säkulare Mönche. Teenager haben keine Dates mehr und keine Liebesbeziehungen. Das wachsende Problem heißt Einsamkeit. Dafür gibt es in Japan und Großbritannien bereits Ministerien. Und so wird das Zeitalter der sozialen Medien zum Jahrhundert der Einsamkeit.

Noch haben wir die Wahl. Es war ein langer Prozess, der zu der heutigen Situation geführt hat - aber sie ist nicht unveränderbar. Es bleibt an uns, die Technologie auszuwählen, die wir verwenden wollen. Wir müssen nicht alles annehmen, was an uns herangetragen wird. Buchgeschäfte, Bibliotheken, Museen oder Theater, alle diese Einrichtungen können eine Gegenbewegung auslösen, indem sie Räume für Partizipation und Austausch anbieten. Europa hat hier noch viele Vorteile gegenüber Amerika und jede Entscheidung, die getroffen wird gegen ein Einkaufszentrum am Stadtrand und für eine belebte Innenstadt, jedes neu eingerichtete Café, jeder kleine Buchladen ist Teil dieser Gegenbewegung. Dort wo es keinen Bus mehr gibt, keinen Gemischtwarenladen, kein Kino und kein Gasthaus, und das ist in weiten Teilen Deutschlands schon der Fall, haben Rechtsradikale und – populisten leichtes Spiel.

Dem müssen wir etwas entgegensetzen: Solidarität und Engagement, gegen Vereinzelung und Vereinsamung. In den USA rufen Menschen einander jetzt nach der Amtseinführung zu, im Gespräch zu bleiben, das Positive zu suchen, die Nähe zu Kunst, Ästhetik und Natur, und vor allem diejenigen zu feiern, die sich, wie die Bischöfin Mariann Budde, mutig Gehör verschaffen. Der Enttäuschung und Erschöpfung ganz gezielt etwas entgegenzusetzen.

Sie, meine sehr verehrten Zuhörer:innen, tun dies in ihren Verlagen und Buchhandlungen, die jeden Tag die Vielfalt der Demokratie abbilden. Lesen ist eine der wichtigsten kulturellen Übungen der Demokratie. Eine Übung, die Wellnessberater:innen uns ebenso anraten sollten, wie das tägliche Yoga, ausreichend Schlaf und gesunde Ernährung.

 

Lesen Sie täglich mindestens 30 Minuten, könnte eine solche Aufforderung lauten, lesen Sie, um ihr Gehirn arbeitsfähig und resistent zu machen, gegen die systematische Verdummungsmaschinerie, der es ausgesetzt ist.

Mirjam Zadoff

Lesen Sie täglich mindestens 30 Minuten, könnte eine solche Aufforderung lauten, lesen Sie, um ihr Gehirn arbeitsfähig und resistent zu machen, gegen die systematische Verdummungsmaschinerie, der es ausgesetzt ist. Lesen Sie über Heiterkeit und Zuversicht, über gemeinsame Suche nach einer besseren Welt. Lesen Sie über Kunst, über Kreativität, über andere Welten und Menschen, lesen Sie Sachbücher, Romane und Poesie, und sprechen Sie mit Freund:innen oder Nachbarn darüber. Bauen Sie Ihren Kindern eine Zeitmaschine und erzählen sie ihnen von einer Welt vor den sozialen Medien, als man noch stundenlang telefonierte, sich unangekündigt besuchte, und Langeweile einem nicht fremd war. Auf diese Weise wird es Ihnen leichter als anderen fallen, sich zur Wehr zu setzen. Gegen die Unmenschlichkeit, gegen die neue Härte und gegen die Erschöpfung.