Pressegespräch mit Friedenspreisträger Karl Schlögel

"Putin ist ein Meister der Eskalation"

17. Oktober 2025
Sabine Cronau

Von der "taz" bis "La Stampa": Friedenspreisträger Karl Schlögel stellte sich am Freitag auf der Frankfurter Buchmesse den Fragen der Presse. Was hält er von der Rückkehr der Wehrpflicht? Und glaubt er, dass Trumps Ukraine-Gespräch mit Putin Erfolg haben wird? Einschätzungen eines Historikers, der erst überlegen musste, ob er den Friedenspreis annimmt.

Karl Schlögel

Es wäre schön, wenn ich als Historiker ein Rezept für Frieden anbieten könnte. In Wahrheit aber ist es so, dass sich die Geschichte nicht wiederholt.

Karl Schlögel, Friedenspreisträger 2025

Unvorstellbare Wende in Gaza

Beim traditionellen Pressegespräch am Messefreitag wurde deutlich, dass es keine leichte Entscheidung ist, in Kriegszeiten einen Friedenspreis anzunehmen. Karl Schlögel jedenfalls nahm sich erst einmal einen Tag Bedenkzeit, als der Anruf vom Börsenverein kam: „Wie Sie sich vorstellen können, war ich nicht darauf gefasst: Man sitzt ja einfach am Schreibtisch und tut seine Arbeit“, so Schlögel. Zugleich habe er auch Respekt vor dem Prestige, dem Ansehen und der Verantwortung, die mit dem Preis verbunden sei: „Wenn man bedenkt, was in der Welt passiert, kommt man an die Grenzen der eigenen Urteilskraft.“

Der Waffenstillstand in Gaza ist für Schlögel eine „überraschende, unvorstellbare“ Wende des Konflikts: „Aber es kann Generationen dauern, bis daraus wirklich Versöhnung entsteht.“ Gleichzeitig gehe der Krieg in der Ukraine weiter, Tag für Tag, Nacht für Nacht. Zu Trumps Ankündigung, sich demnächst mit Putin zu einem zweiten Gespräch zu treffen, sagte Schlögel: „Jede Initiative, die einen Ausweg eröffnet, ist willkommen.“ Auf das erste Treffen allerdings habe Putin nur eine Antwort gegeben – „und das waren die schwersten Bombardements seit Beginn des Ukraine-Krieges 2022.“

Karin Schmidt-Friderichs und Karl Schlögel

Ein Archäologe der Moderne

Karin Schmidt-Friderichs, die scheidende Vorsteherin des Börsenvereins, machte vor den versammelten Journalist:innen noch einmal deutlich, warum Karl Schlögel den Friedenspreis bekommt: Er sei ein Archäologe der Moderne, der den Blick gen Osten gelenkt habe: „Lange bevor der Eiserne Vorhang gefallen ist, hat er ihn für uns hochgehoben.“ Und: „Wir hätten vieles, was in Russland passiert, früher verstanden, wenn wir früher Karl Schlögels Werke gelesen hätten."

Es wäre schön, wenn er als Historiker ein Rezept dafür hätte, wie man Frieden schließt, so der Preisträger: „In Wahrheit aber ist es so, dass sich die Geschichte nicht wiederholt.“ Niemand sehne sich den Frieden mehr herbei als die Menschen in der Ukraine – die Frage sei aber, um welchen Frieden es dabei gehe: „Um einen Diktat-, einen Unterwerfungsfrieden – oder um einen echten Frieden, in dem eine unabhängige Nation ihren eigenen Weg gehen kann.“

Wir steuern politisch auf schwierige Zeiten zu.

Karl Schlögel

Deutschland muss sich verteidigen können

Dass Putin der Ukraine einen solchen Frieden ermöglichen würde – da hat Karl Schlögel wenig Hoffnung.  Beim Pressegespräch war zu spüren, dass die angespannte Weltlage den Friedenspreisträger 2025 beunruhigt: „Wir steuern politisch auf ganz schwierige Zeiten zu.“ Im russischen Fernsehen werde mittlerweile offen über den Einsatz von Atomwaffen in Europa diskutiert: „Das ist eigentlich ungeheuerlich und eine Verhöhnung Europas.“ Putin ist für Schlögel „ein Meister der Eskalation“, der die inneren Spannungen in Deutschland und die Debatten im öffentlichen Raum für seine Zwecke instrumentalisiere.

Was sagt er vor diesem Hintergrund zur Debatte um die Wehrpflicht in Deutschland? Da ist Schlögel ganz klar: Er selbst komme aus der Generation der Kriegsdienstverweigerer, habe damals seinen Zivildienst an einem Bonner Krankenhaus gemacht. Das seien allerdings andere Zeiten gewesen. Mittlerweile habe sich die Nachkriegszeit der 60er bis 90er Jahre als eine „Zwischenkriegszeit“ entpuppt. Darauf müsse Deutschland reagieren und sich notfalls selbst verteidigen können: „Ich bin auch ganz entschieden dafür, der Ukraine Waffen zu liefern und sie mit allem zu unterstützen, was sie braucht.“

Es geht darum, eine angemessene Sprache für Situationen zu finden, in denen einem eigentlich die Sprache versagt. 

Karl Schlögel

Das Wunder der Literatur

Warum er beim Friedenspreis eine besondere Verantwortung empfindet – auch darauf ging Schlögel ein. Für ihn geht es darum, „eine angemessene Sprache für Situationen zu finden, in denen einem eigentlich die Sprache versagt.“ Letztlich seien es die Menschen vor Ort, die Berichterstatter, die Protokolle der Gegenwart liefern könnten – und die Schriftsteller mit der Kraft ihrer Worte. Der aktuelle Aufstieg der ukrainischen Literatur ist für Schlögel ein kleines Wunder – geboren aus dem Moment der größten Bedrohung und Selbstbehauptung.

Friedenspreis live im Fernsehen

Karl Schlögel wird am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt. Die Auszeichnung ist mit 25.000 Euro dotiert. Die Laudatio hält die ukrainisch-deutsche Schriftstellerin und Journalistin Katja Petrowskaja. Der Festakt zum Finale der Frankfurter Buchmesse wird vom ZDF live ab 11 Uhr übertragen.