Interview mit Thalia-Chef Ingo Kretzschmar

"Die Inhaber von Buchhandlungen kommen auf uns zu"

20. Oktober 2022
von Christina Schulte

Ingo Kretzschmar, der neue Vorsitzende der Geschäftsführung von Thalia, macht sich für Mindestpreise stark. Warum, erläutert er im Interview mit boersenblatt.net. Zudem spricht er über Kosteneffizienz bei Thalia, Engpässe in der Logistik und die Anfragen von Buchhandlungen, die unter das Thalia-Dach wollen.

Ingo Kretzschmar

Sie sind seit vier Monaten Chef von Thalia. Was haben Sie bisher Schönes erlebt?
Es gibt viele schöne Erlebnisse. Besonders schätze ich das Feedback vieler langjähriger Kolleginnen und Kollegen, die zu mir sagen: „Ich freue mich, Ingo, dass Du diese Position jetzt innehast“. Zugleich ist mein Werdegang auch ein Ansporn für junge Menschen, denn er zeigt, welche Entwicklungschancen Thalia bietet.

Und was war Ihr größer Stressmoment?
Meine Tage sind sehr gut gefüllt, einen besonderen Stressmoment kann ich aber gar nicht nennen – vor allem, weil mir die Arbeit unglaublich viel Spaß macht

Bevor Sie an die Spitze der Geschäftsführung kamen, waren Sie Vertriebsgeschäftsführer bei Thalia. Gibt es schon einen Nachfolger für diese Position?
Noch nicht, die Suche läuft aber.

Einsatz für Mindestpreise

Sie sind Verfechter von Mindestpreisen für Büchern. Warum?
Im stationären Buchhandel erbringen wir viele Services und besondere Leistungen, die andere Branchen nicht erbringen. Wir halten Bücher vor, die nur einmal im Jahr verkauft werden, wir veranstalten Lesungen bis tief in die Nacht, wir haben Fahrradkuriere im Einsatz und vieles mehr. All das bieten wir on top an. Zugleich haben wir massive Kostensteigerungen. Einen Teil der Kosten müssen wir an die Kunden weitergeben können. Es geht darum, in einer Branche mit niedrigen Margen auf der Handelsseite die Wertschöpfung zu erhöhen, um das kompensieren zu können. Das kann und darf nicht allein in den Händen der Verlage liegen, die hier zu defensiv und zeitverzögert reagieren. Staatliche Subventionen werden das nicht dauerhaft ausgleichen können, auch wenn die Branche gerne danach schreit. Wir brauchen eine zeitgemäß modernisierte Buchpreisbindung nach unten und werden diese Diskussion führen. Dafür setze ich mich mit den Kolleginnen und Kollegen im Sortimenter-Ausschuss des Börsenvereins ein. Wir können da aber nur gemeinsam als Branche auftreten.

Thalia ist wie alle anderen Buchhandlungen von den allgemeinen Kostensteigerungen betroffen. Wie gehen Sie damit um?
In der aktuellen Situation geht es natürlich vor allem darum, Effizienzen zu heben. Denn auch wir haben stark steigende Mieten und Gehälter, hinzu kommen die extrem hohen Energiepreise. Es sind also vor allem die großen Kostenblöcke, die wir unter die Lupe nehmen. Wir stellen zum Beispiel Werbemaßnahmen noch genauer auf den Prüfstand, wir schauen auf die Mieten, analysieren unsere Energiekosten. Auf der anderen Seite arbeiten wir daran, wie wir es trotz der derzeitigen Rahmenbedingungen schaffen, den Durchschnittspreis pro Bon zu erhöhen, Zusatzverkäufe zu generieren, mehr Hardcover und höherpreisige Bücher zu verkaufen. Mit anderen Worten: Es geht darum, mehr Umsatz zu machen.

Finden Sie überhaupt noch Schrauben, an denen Sie drehen können? Thalia ist doch schon immer sehr auf Effizienz getrimmt ….
Es ist die Aufgabe eines Händlers, vernünftig zu wirtschaften. Dazu gehört auch, die Kosten im Blick zu haben. Daher glaube ich schon, dass wir noch Potenziale haben, die wir heben können.

Müssen Sie auf Grund der Wirtschaftslage Ihre Umsatz- und Ergebnisplanungen korrigieren?
Unsere Planungen für die nächsten beiden Jahre stehen. Natürlich schauen wir nochmal genau drauf und müssen bei einzelnen Kostenpositionen deutliche Steigerungsraten berücksichtigen. Aber unterm Strich sind wir gut aufgestellt und blicken optimistisch nach vorne.

Zugleich haben wir massive Kostensteigerungen. Einen Teil der Kosten müssen wir an die Kunden weitergeben können.

Ingo Kretzschmar

Auch bei Thalia klemmt die Logistik

Sie erwirtschaften mittlerweile 40 Prozent Ihrer Einnahmen via Internet. Bezüglich der Margen gilt der Online-Umsatz als weniger rentabel. Wie ist das bei Ihnen?
Es hat sich schon einiges geändert, wenn wir die Zeit vor und nach Corona vergleichen. Natürlich ist es für uns rentabler, wenn die Kund:innen die online bestellten Bücher in den Buchhandlungen abholen – damit können wir Einfluss auf die Transport- und Logistikkosten nehmen. Übrigens macht das bei uns mittlerweile jeder vierte Kunde. Wir analysieren, wo wir Werbung betreiben, wie wir mit Suchmaschinenoptimierung (SEO) umgehen. Mittlerweile haben wir unseren Online-Kanal so effizient aufgestellt, dass er bei der Rentabilität auf Augenhöhe mit unserem stationären Geschäft ist.

Apropos Logistik, da klemmt es gerade in der Branche an manchen Ecken und Enden. Ist Thalia davon auch betroffen?
Ja, das ist bei uns nicht anders als bei anderen Buchhandlungen. Wir sind bei diesen Themen in engem Austausch mit all unseren Partnern. Wir brauchen eine tragfähige Lösung, um die Situation nachhaltig zu verbessern. Dazu wollen wir auch unseren Beitrag leisten.

Bemerken Ihre Kund:innen, dass es Lieferschwierigkeiten gibt?
Die allermeisten Kunden und Kundinnen zeigen Verständnis. Für viele ist es auch vollkommen in Ordnung, wenn das Buch erst in ein paar Tagen geliefert wird. Hier muss unsere Branche noch lernen. Wir sind sehr verwöhnt, dass Bücher bisher immer am nächsten Tag verfügbar waren. Für das Weihnachtsgeschäft werden wir alle zusammen sinnvolle Lösungen finden müssen.

Wie können die Lösungen aussehen? Fahrer und Logistikmitarbeiter können nicht aus dem Boden gestampft werden.
Das ist in der Tat eine Herausforderung. Aber wir können die Logistik entlasten, indem wir beispielsweise Bestellungen bündeln und verantwortungsvoll mit Remissionen umgehen.

Im Hörselgau betreiben Sie ein Lager, Ihr großes Zentrallager. Läuft dort alles rund?
Über die Jahre haben wir uns dort gut aufgestellt und weiterentwickelt. Trotz allem: Es gibt einen Engpass bei Fahrern, sodass es manchmal schwierig ist, die Bücher pünktlich auf unsere Buchhandlungen zu verteilen.

Anfragen aus dem inhabergeführten Buchhandel

In den letzten Wochen und Monaten hat Thalia einige Buchhandlungen übernommen. Ist der Markt für Sie als Käufer gerade günstig?
Die Herausforderungen für den inhabergeführten Buchhandel werden nicht kleiner. Ob das die sinkende Frequenz, die Optimierung von Webshops, Warenwirtschaftssystemen, E-Book-Downloads etc. sind: All das wird zusätzlich getrieben durch die Inflation und die Kostensteigerungen. Daher kommen die Inhaber einerseits mit Anfragen für unsere Plattform, aber auch für komplette Übernahmen auf uns zu. Vor allem dann, wenn die Nachfolgelösung schwierig ist. Und das ist sie oft.

Die Buchmesse ist Ihre erste als Thalia-Chef. Wie sieht Ihr Terminkalender aus?
Ziemlich voll (lacht). Ich treffe gemeinsam mit Michael Busch viele Kolleginnen und Kollegen, die ich noch nicht persönlich kenne. Darauf freue ich mich sehr.

Schmökerecke in Thalia-Filiale