Exklusiv-Interview mit den Verbundgruppen und IGUS

Mindestpreise? Ein klares Nein

26. Oktober 2022
von Torsten Casimir und Christina Schulte

Der unabhängige Buchhandel, vertreten durch vier Verbundgruppen und IGUS, spricht sich gegen Mindestpreise aus. Profitieren würden allein die großen Player – was die Konzentration beschleunige. Ein Messe-Round-Table.

Runder Tisch mit Presse (von links): Torsten Casimir (Börsenblatt), Julian Müller (eBuch), Michael Rosch (Buchwert), Christina Schulte (Börsenblatt), Veit Hoffmann (LG Buch), Swantje Meininghaus (Nordbuch), Iris Hunscheid (IG Unabhängiges Sortiment), Angelika Siebrands (eBuch) 

Thalia setzt sich öffentlich dafür ein, die Buchpreisbindung in Richtung Mindestpreise zu verändern – nach österreichischem Vorbild. Wie ist Ihre Haltung in dieser Frage?

Michael Rosch (Buchwert): In unseren Augen ist dies der Einstieg in den Ausstieg aus der Preisbindung. Durch ein Aufweichen sehen wir den dauerhaften Bestand der Preisbindung ernsthaft gefährdet. Wir müssen seit einiger Zeit feststellen, dass die Preisbindung nicht nur auf europäischer Ebene immer wieder zur Disposition gestellt wird. Auch in Berlin ist die Zustimmung nicht grenzenlos. Die Buchpreisbindung in der bisherigen Form ist das Fundament, auf dem die Branche fußt. 

Angelika Siebrands (eBuch): Meiner Meinung nach bewegen wir uns mit der Diskussion um die Einführung eines Mindestpreises auf ganz dünnem Eis. Diese Abänderung wäre der Anfang vom Ende der Preisbindung! 

Veit Hoffmann (LG Buch): Thalia möchte eine Mindestpreisregelung, die dem Handel ein unbegrenztes Abweichen vom festgesetzten Ladenpreis nach oben ermöglicht. Die im österreichischen Preisbindungsgesetz verankerte Regelung, dass auch eine Abweichung um maximal fünf Prozent nach unten möglich ist, wird zurzeit nicht diskutiert. Warum ist dieses Detail so wichtig? Das österreichische Gesetz besagt nämlich auch, dass eine Bewerbung des Abweichens vom Mindestpreis nach unten nicht zulässig ist. Somit ist Werbung mit dem Slogan »Bei uns immer der günstigste Preis!« in Österreich rechtlich ausgeschlossen. In Deutschland wäre diese Werbung nach Einführung einer ausschließlichen Öffnung nach oben durchaus zulässig. Damit wäre einer der Grundpfeiler des deutschen Preisbindungsgesetzes zu Fall gebracht, nämlich die Verhinderung eines Wettbewerbs über den Produktpreis. Dies birgt die Gefahr, dass unabhängige Buchhandlungen zukünftig in einen preiswerblichen Wettstreit mit Onlineshops und stationären Händlern treten müssten, den das Preisbindungsgesetz explizit ausschließt. Es wäre die beginnende Erosion der deutschen Buchpreisbindung.
 

Die Buchpreis­bindung in der bisherigen Form ist das Fundament, auf dem die Branche fußt

Michael Rosch, Buchwert

Wäre nicht mit einer Möglichkeit der Preisgestaltung nach oben gerade für den unabhängigen Buchhandel die Chance verbunden, aus seiner traditionell hohen Kundenloyalität Gewinn zu ziehen und höhere Buchpreise durchzusetzen?

Iris Hunscheid (IGUS): Das unabhängige Sortiment hat in den vergangenen Jahren unglaublich viel Rückendeckung und Wertschätzung seitens seiner Kund:innen erfahren, das ist wahr. Dennoch befürchten wir, dass zumindest bei einem Teil unserer Kundschaft die Loyalität schwindet, wenn es an den eigenen Geldbeutel geht und andere Marktteilnehmer günstiger verkaufen. Zudem ist fraglich, ob wir es uns überhaupt erlauben können, signifikant preislich nach oben abzuweichen, wenn die großen Player massiv damit werben könnten: »Bei uns erhalten Sie immer den günstigsten Preis!« Wollen wir Amazon im extrem hart umkämpften deutschen Buchmarkt wirklich ein solches Marketinginstrument an die Hand geben, nachdem wir Jahrzehnte gebraucht haben, in Richtung unserer Leser:innen zu kommunizieren, dass Bücher überall – auch im Netz – den gleichen Preis haben, weil sie ein Kulturgut und keine Ware wie jede andere sind?
 

Für welchen Teil des Sortiments würden Sie am ehesten Potenzial für Preise oberhalb eines Mindestpreises vermuten?

Iris Hunscheid: Unabhängig von der Diskussion über eine Mindestpreisregelung sind wir sicher: Höhere Preise lassen sich in allen Warengruppen durchsetzen; unbedingt nötig für ein wirtschaftliches Auskommen sind sie vor allem bei den »Brot-und-Butter-Artikeln«, also den Spitzentiteln, Best- und Longsellern. 

Michael Rosch: Daher setzen wir uns bereits seit Jahren massiv für steigende Buchpreise ein. 

Welche Auswirkungen hätte das für die Vielfalt der Produktion?

Swantje Meininghaus (Nordbuch): Die Vielfalt der Produk­tion ist das eine Thema – hier sehen wir die Verantwortung und nötige Reaktion vorwiegend bei den Verlagen. Die Vielfalt auf Handelsseite ist dagegen unser Anliegen und Auftrag. Die intakte Buchhandelslandschaft mit großen und kleinen Buchhandlungen in der Stadt und auf dem Land, für Leserinnen und Leser mit unterschiedlich hohem Einkommen, wird durch den festen Ladenpreis erst ermöglicht. Das ist bisher die feste Haltung des Gesetzgebers und auch unsere. Das einzelne Buch unterliegt eben heute nicht dem preislichen Wettbewerb, der die kulturelle Vielfalt und demokratische Meinungsbildung gefährden würde. 

Michael Rosch: Wir sehen den Zweck der Preisbindung, nämlich die Sicherstellung eines breiten Buchangebots auf der einen und einer flächendeckenden Versorgung mit Buchhandlungen auf der anderen Seite, durch eine Mindestpreisregelung beziehungsweise deren Auswirkungen eindeutig gefährdet.

Angelika Siebrands: Mindestpreise hätten eine schleichende, aber sehr negative Auswirkung auf die kulturelle Vielfalt. Es ist davon auszugehen, dass ein Preiskampf stattfinden würde, welcher dazu führt, dass es über kurz oder lang Titel mit einer geringeren Abverkaufszahl nicht mehr gibt. Denn klar ist: Wenn wir den Preis bei den Spitzentiteln nicht erhöhen – weil zumindest ein Marktteilnehmer das nicht tun wird –, wird dies zwangsläufig bei Titeln mit geringerer Nachfrage passieren. Ketzerisch gefragt: Warum brauchen wir diese Möglichkeit, den Preis nach oben anzupassen, überhaupt, wenn dies bei Spitzentiteln und Longsellern nahezu unmöglich ist? Das deutsche Buchpreisgesetz sichert explizit diese kulturelle Vielfalt. Für Verlage und Barsortimente, welche die flächendeckende Übernachtversorgung und damit die Vielfalt sichern, bedeutet es nicht mehr Ertrag, wenn der Handel die Preise nach oben setzen könnte. 
 

Mindestpreise hätten eine schleichende, aber sehr negative Auswirkung auf die kulturelle Vielfalt.

Angelika Siebrands

Was hören Sie vonseiten der Verlage zu dem Thalia-Vorstoß?

Angelika Siebrands: Im Moment hören wir ein sehr starkes Bekenntnis zur gesetzlichen Regelung der Buchpreisbindung, wie wir sie hier in Deutschland haben. 

Iris Hunscheid: Wir haben während der Messe mit vielen Verlagskolleg:innen über dieses Thema gesprochen, und alle sind der Meinung, dass wir das Buchpreisgesetz nicht anfassen sollten, weil ein solcher Schritt zur Schwächung und generellen Gefährdung des Gesetzes führen würde. Gemeinsam teilen wir die Sichtweise, dass wir dieses Spiel mit dem Feuer nicht beginnen dürfen.

Sehen Sie eine Gefahr, dass Verlage aus der Verantwortung für die Preisfindung entlassen werden?

Swantje Meininghaus: Aktuell kommen viele Verlage ihrer Verantwortung nicht ausreichend nach, die Verkaufspreise den Anforderungen des Buchhandels anzupassen. Würden Mindestpreise umgesetzt werden, würde die Verantwortung zum auskömmlichen Wirtschaften vorwiegend an den Buchhandel weitergereicht werden. Nach dem Motto: »Macht eure Preise doch einfach so, dass ihr damit zurechtkommt.« 

Veit Hoffmann: Schon seit Langem ist die Mehrheit der Publikumsverlage sehr zögerlich bei der dringend nötigen Anhebung der Ladenpreise. Bei Einführung von Mindestpreisen wären die Verlage dann sogar per Gesetz von ihrer Verantwortung einer auskömmlichen Preisgestaltung für die gesamte Branche entbunden. Völlig außer Acht gelassen wird bei der Mindestpreisdiskussion bisher der Zwischenbuchhandel. Der unabhängige Buchhandel ist auf eine reibungslos funktionierende Logistik angewiesen, bei Warenbezug und Transport. Den Zwischenbuchhandel trifft die viel zu zögerliche Preisanhebung seitens der Verlage enorm. Die immens steigenden Logistikkosten können zurzeit nur marginal an den Handel weitergereicht werden. Somit ist eine stabile Finanzierung dieser Kosten nur durch eine nominelle Steigerung des Rohertrags gegeben. Dies ist nur bei einer Preisanhebung des gebundenen Ladenpreises seitens der Verlage, wie im aktuell geltenden deutschen Buchpreisgesetz vorgeschrieben, möglich.

Völlig außer Acht gelassen wird bei der Mindestpreisdiskussion bisher der Zwischenbuchhandel. Den Zwischenbuchhandel trifft die viel zu zögerliche Preisanhebung seitens der Verlage enorm. 

Veit Hoffmann, LG Buch

Welche Gefahren sehen Sie für das Geschäft Ihrer Buchhandlungen in den Verbundgruppen, wenn künftig ein eingeschränkter Preiswettbewerb möglich würde?

Swantje Meininghaus: Große Filialisten und Onlinehändler kaufen zu deutlich besseren Konditionen ein als die Mitglieder der Verbundgruppen und erst recht als viele nicht organisierte Buchhandlungen. Sie haben zudem das Know-how, die finanziellen und personellen Ressourcen sowie existierende Netzwerke, die ihnen damit entscheidende Vorteile im Preiswettbewerb ermöglichen. Flächendeckende Onlineangebote, in denen die Mindestpreise allen Kundinnen und Kunden als »Schnäppchen« angeboten werden würden, ließen die großen Marktteilnehmer attraktiver erscheinen als die stationären Buchhandlungen. Diese würden von den Kundinnen und Kunden als die teurere Alternative wahrgenommen werden, da in ihren Preisen sowohl die höheren Kosten als auch die niedrigeren Rabatte Niederschlag fänden. 
 

Wie weit ist die Meinungsbildung im unabhängigen Buchhandel zum Thema Mindestpreise gediehen? Ist das Stimmungsbild einheitlich oder eher divers?

Michael Rosch: Viele unserer Mitglieder haben sich aufgrund der vollen Konzentration auf die Bewältigung der Herausforderungen des Tagesgeschäfts in Zeiten von Corona und Konsumflaute bis dato noch wenig mit der Materie befassen können. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass das Thema erst seit den diesjährigen Buchtagen im Juni breiter diskutiert wird. Wir sind in Gesprächen mit unseren Mitgliedern und informieren auch die ungebundenen Kolleg:innen, unter anderem mit diesem Interview. Die klare Mehrheit derer, mit denen wir bis dato darüber gesprochen haben, lehnt eine Veränderung des Preisbindungsgesetzes ab. 

Angelika Siebrands: In allen bisherigen Gesprächen haben wir nur eine ablehnende Haltung gehört.

In allen bisherigen Gesprächen haben wir nur eine ablehnende Haltung gehört.

Angelika Siebrands, eBuch

Wer würde im Buchhandel aus Ihrer Sicht am stärksten von einer Mindestpreis-Regelung profitieren? Und warum?

Michael Rosch: Ganz eindeutig Amazon und die großen Filialisten. Die marktbeherrschenden Player können sich aufgrund ihrer umfassenden Marktabdeckung (online sowie stationär) und ihrer Marktmacht (die sich unter anderem in den Einkaufskonditionen und der möglichen Einflussnahme auf die Preisgestaltung von Verlagen auswirkt) als Preisführer mit einer »Bestpreis-Garantie« profilieren. Vor allem bei Bestsellern und Brot-und-Butter-Artikeln. Und dies führt zu einer weiteren Konzentration von Marktanteilen bei den großen Playern zulasten des unabhängigen Buchhandels. Dies kann nicht im Sinne der Kund:innen sein.
 

Was erwarten Sie vom Börsenverein zu diesem Thema?

Iris Hunscheid: Eine klare und unverrückbare Haltung zum Fortbestand des Preisbindungsgesetzes in seiner aktuell gültigen Form. Die Sicherung der Preisbindung hat die Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs nach ihrer Wiederwahl im Juni als eine der zentralen Herausforderungen des Börsenvereins definiert. Wir nehmen sie beim Wort und erwarten, dass der Verband die Interessen der Mehrheit seiner Mitglieder vertritt, unabhängig von der Unternehmensgröße. Nur so sichern wir den Erhalt der Bibliodiversität, die Vielfalt der Buchhandelslandschaft und die Unterbindung des Wettbewerbs über den Endverbraucherpreis.