Buchhandelsdieb

Möglicher "Herr Urban" auf freiem Fuß

31. August 2023
von Kai-Uwe Vogt

Bei einem Polizeieinsatz im Lesezeichen in Germering wurde im Juni ein Mann verhaftet. Handelte es sich dabei um den mutmaßlichen Betrüger "Herrn Urban"? Die Polizei hatte Ermittlungen wegen gewerbsmäßigen Betrugs aufgenommen. Update: Wie die Polizei jetzt mitteilt, befindet sich der Verdächtige nicht in Untersuchungshaft.

Detailaufnahme: Die Seite eines blauen Polizeiwagens

Update, 31. August: Aufgrund der andauernden Ermittlungen könne sie leider derzeit keine näheren Auskünfte zur Sache erteilen, erklärte eine Pressesprecherin der zuständigen Oberstaatsanwältin, und weiter: "Ich kann jedoch klarstellen, dass sich der Beschuldigte nicht in Untersuchungshaft befindet, da die strengen gesetzlichen Voraussetzungen, die eine vorläufige Freiheitsentziehung ohne rechtskräftiges Urteil rechtfertigen, nicht vorlagen."

Am 9. Juni hatten wir auf Börsenblatt online gemeldet: Den 1. Juni dürften Katrin Schmidt und ihre Kolleginnen nicht so schnell vergessen: Weil ihnen ein ziemlich seltsamer „Kunde“ auffiel, verständigte die Buchhändlerin gegen 15 Uhr die Polizei. Die kam schnell genug, um noch vor Ort die Personalien des Mannes aufzunehmen – es waren andere, als der Kunde zuvor bei seiner Buchbestellung angegeben hatte.

„Wir können bestätigen, dass vergangene Woche eine männliche Person vorläufig festgenommen wurde, nachdem die Polizei von einer Germeringer Buchhandlung kontaktiert wurde. Es wird gegen eine bestimmte Person u.a. wegen des Verdachts auf gewerbsmäßigen Betrug ermittelt. Da die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Haftbefehl nicht vorlagen, wurde kein Haftantrag gestellt“, bestätigte ein Polizeisprecher gegenüber dem Börsenblatt. Nach Informationen der Redaktion verbrachte der Mann aber mindestens eine Nacht auf der Polizeiwache.

Ein seltsamer Kunde

Buchhändlerin Katrin Schmidt und ihre Kolleginnen hatten sich zunächst über einen „komischen Typen“ gewundert, der bei einer Buchbestellung nur seinen Namen angeben wollte (keine Adresse oder Kontaktdaten), um danach wieder zwischen den Bücherregalen zu verschwinden und das Buchhandelsteam genau zu beobachten. „Auf einmal kam er auf mich zu, um mir zu versichern, dass er bei meiner Kollegin ein Buch bestellt habe und starrte mich intensiv an“, beschreibt Schmidt. Vielleicht habe der mutmaßliche Betrüger einmal gelesen, dass Lügner Augenkontakt vermeiden und überkompensiert, mutmaßt Schmidt. Solche Blicke sei sie von ihren Kund*innen jedenfalls sonst nicht gewohnt. Das Auftreten des Mannes sei regelrecht „unheimlich“ gewesen.

Ihr sei daraufhin eingefallen, dass im vergangenen Oktober ein Betrüger bereits Bücher für mehr als 100 Euro im Lesezeichen erbeutet habe – obwohl der Mann damals Wintermantel und eine Maske getragen habe, meinte sie ihn nun wiederzuerkennen. Die Buchhandlung verfügt über Videokameras: Im Herbst hatte Schmidt bereits Anzeige gegen unbekannt gestellt und die Aufnahmen an die Polizei übergeben. Sie war sich plötzlich sicher: Der Betrüger ist zurück! Das Team beschloss, die Polizei zu verständigen. Es folgte eine spielfilmreife Szene:

Während ein Streifenwagen sich auf den Weg in den Buchladen machte, gab Katrin Schmidt eine Personenbeschreibung durch. „Bei der ganzen Aufregung hatte ich mir das natürlich nicht im Detail gemerkt“, erklärt Schmidt. Sie musste zurück auf die Verkaufsfläche, wo der mutmaßliche Betrüger noch immer durch die Regale schlich und dabei das Personal im Auge behielt. Mit dem Telefonhörer in der Hand lieferte Schmidt dem Polizeibeamten am anderen Ende der Notrufleitung (110) die gewünschte Beschreibung, um nicht die Aufmerksamkeit des Mannes auf sich zu ziehen, unter Code. „Nein Mama, es ist das karierte Hemd“, usw.

Beim Eintreffen der Polizeistreife war der mutmaßliche Betrüger dann von den Beamten noch anzutreffen. „Sonst hätten wir versucht ihn im Laden einzusperren“, versichert Schmidt, alle seien „wie ferngesteuert“ und „auf Adrenalin“ gewesen.

So endete der bis dato ruhige Arbeitstag, der auf die bayerischen Pfingstferien fällt, mit einem mehrstündigen Besuch auf der Polizeiwache, wo Schmidt Anzeige erstattete, frisches Videomaterial des Tages übergab und gleich die Aussagen zweier weitere Buchhandelskolleginnen mitbrachte, bei denen der Mann vermutlich ebenfalls Betrugsfälle begangen haben soll. Eine junge Kollegin habe bis zum Abend alleine den Buchladen geführt.

Wer kennt „Herrn Urban“?

Es deutet einiges darauf hin, dass den Polizeibeamten damit das Phantom „Herr Urban“ ins Netz gegangen ist, der seit Jahren – vermutlich gewerbsmäßig – als Betrüger und Ladendieb unterwegs ist. Seine Masche besteht darin, Bücher zu stehlen (meistens nachdem er eine Bestellung oder komplizierte Anfrage aufgegeben hat), um sein Diebesgut in anderen Buchhandlungen gegen Bargeld zu tauschen. Seinem Erscheinen nach inzwischen bekannt (groß, athletisch, Mitte 40, mit europäischem Aussehen und dunklem Teint, stets elegant gekleidet) wollen ihn bereits in der Vergangenheit mehrere Buchhändler*innen konfrontiert haben, wie das Börsenblatt bereits berichtete. In diesen Fällen soll der Betrüger aber die Geschäfte fluchtartig oder laut schimpfend verlassen haben – eingeleitete Anzeigen verliefen wegen der bis dahin ungeklärten Identität des Mannes stets im Leeren, die Verfahren mussten eingestellt werden.

Suche nach weiteren Opfern läuft

Dies könnte sich jetzt ändern, Fälle neu aufgerollt oder Betrügereien zur Anzeige gebracht werden. Geschädigte Buchhändler*innen sind aufgerufen, sich mit der Polizeiinspektion Germering in Verbindung zu setzen. Von Seiten der Polizei war zuvor von mehreren laufenden Haftbefehlen gegen den vorübergehend festgesetzten Mann die Rede, schriftlich bestätigt wurden diese Angaben aber nicht.

Katrin Schmidt rät Kolleg*innen, aufmerksam zu sein und Ware generell nur gegen Vorlage des Kassenzettels umzutauschen und sich zu trauen, bei seltsamen Besuchern die Polizei zu verständigen. „Nur von einem Post im Buchhandelstreff passiert nichts.“ Ob sich der Betrugsverdacht erhärten lässt, müssen nun die Münchner Staatsanwaltschaft und Gerichte klären.