Die Sonntagsfrage

Wie haben Sie den rechtsextremen Shitstorm verkraftet, Herr Seehausen?

9. März 2024
von Börsenblatt

Mehr als 400 Hasskommentare hat das Literaturhaus Bonn jüngst bekommen – auf einen Post, der die örtliche Siegerin des Vorlesewettbewerbs zeigt: Ein Mädchen mit ägyptischen Wurzeln und Kopftuch. Ausgerichtet hat den Stadtentscheid Unsere Buchhandlung am Paulusplatz. Für Inhaber Philipp Seehausen stellen sich nach dieser Erfahrung zwei grundlegende Fragen.

Philipp Seehausen

Das Ausmaß der Hasswelle hat mich wirklich schockiert. Ich hätte gedacht, dass es gegenüber Kindern, gegenüber der kindlichen Begeisterung für das Vorlesen noch einen gewissen Respekt gibt.

Philipp Seehausen, Unsere Buchhandlung am Paulusplatz, Bonn

In unserem Stadtteil in Bonn gibt es eine große kulturelle Vielfalt – aber auch den höchsten Anteil an AfD-Wählern. Ich kenne meine Kund:innen und manche bringen immer wieder ungefragt ihre rechte Meinung ein oder bestellen Bücher, die ich für sehr bedenklich halte. Ich könnte dann die Wände hochgehen. Von daher habe ich durchaus befürchtet, dass ein muslimisches Mädchen als Siegerin des Vorlesewettbewerbs nicht durchweg positiv aufgenommen wird.

Das Ausmaß der Hasswelle allerdings hat mich wirklich schockiert. Ich hätte gedacht und gehofft, dass es gegenüber Kindern und der kindlichen Begeisterung für das Vorlesen noch einen gewissen Respekt gibt.

Unsere Buchhandlung war nur mittelbar vom Shitstorm betroffen. Wir haben den Wettbewerb zwar organisiert, hatten aber wegen Zeit- und Personalmangel noch keinen Facebook-Post zum Stadtentscheid abgesetzt. Die Stadtwerke und das Literaturhaus Bonn als Partner waren schneller. Das Literaturhaus hat den Sturm mit voller Wucht abbekommen.

Aus dem Bonner Raum kam unglaublich viel Unterstützung für unsere Gewinnerin – bis die Herzen, Daumen und Umarmungen überwogen. Die Woge der Sympathie war größer als der Hass. Das ist beruhigend.

Philipp Seehausen

Erst Screenshots machen, dann löschen

Eine große Hilfe in der akuten Situation war Daniel Kraft, der Pressesprecher der Bundeszentrale für politische Bildung in Bonn, den ich sofort kontaktiert habe. Er ist Teil unserer Jury für den Vorlesewettbewerb und stand uns jetzt zur Seite. Sein wichtigster Rat: Erst Screenshots von den Hassbotschaften machen, dann löschen sowie Staatsanwaltschaft und Polizei mit einbeziehen. Das war ein großer Kraftakt für das Team vom Literaturhaus Bonn.

Uns als Buchhandlung hat Daniel Kraft empfohlen, erst einmal nichts zu posten, bis sich die Situation beruhigt hat - damit kein neuer Anlass für Hassreaktionen geboten wird. In erster Linie geht es ja um das Wohl des betroffenen Kindes.

Ich glaube, dass die Hetze unter dem Strich nach hinten losgegangen ist. Denn aus dem Bonner Raum kam unglaublich viel Unterstützung in Form von Likes und ermunternden Kommentaren für unsere Gewinnerin – bis die Herzen, Daumen und Umarmungen überwogen. Die Woge der Sympathie war größer als der Hass. Das ist beruhigend.

Will ich weiter auf Facebook aktiv sein?

Die Reaktion der betroffenen Familie bewundere ich sehr: Sie kommt aus Ägypten, hat einige Jahre in Ostdeutschland gelebt und ist dann ins Rheinland gezogen. Das Rheinland haben sie immer als offen und tolerant empfunden. Die Eltern des Mädchens wollten nicht, dass der Facebook-Post gelöscht wird. Sie erziehen ihre Tochter zur Stärke, nicht zum Rückzug.

Mir stellen sich nach dem Shitstorm gleich mehrere Fragen: Will ich weiterhin auf Facebook aktiv sein, wenn man dort so viel Kraft gegen den Hass aufbringen muss? Oder überlasse ich die Plattform den Hetzern, wenn ich meinen Account lösche?

Was ich aus dem Vorfall gelernt habe: Wir alle in der Branche müssen uns professionalisieren im Umgang mit der rechtsextremen Szene.

Philipp Seehausen

Will ich weiterhin ausnahmslos alle Bücher bestellen?

Die zweite Frage betrifft meine Kundschaft. Bisher habe ich die Tür für alle offen gehalten und, von wenigen Ausnahmen abgesehen, alle gewünschten Bücher bestellt – wenn auch mit Bauchschmerzen. Ich wollte den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen und fühle mich der Meinungsfreiheit verpflichtet.

Jetzt frage ich mich: Ist das eigentlich richtig? Will ich Bücher, die meiner Meinung nach Hass und sozialen Unfrieden befördern, nach dieser Erfahrung weiterhin bestellen? Nach welchen Maßstäben entscheide ich sowas und könnten wir so etwas überhaupt leisten?

Die Freiheit des Wortes ist ein hohes Gut. Deshalb trifft die notwendige Diskussion über ihre Bedeutung und ihre Grenzen den Buchhandel an einer sehr empfindlichen Stelle. Und deshalb kann ich auch nicht so recht glauben, dass der Shitstorm gegen den Vorlesewettbewerb Zufall war.

Was ich gelernt habe: Wir alle in der Branche müssen uns professionalisieren im Umgang mit der rechtsextremen Szene. Denn die ist leider gut organisiert und verbreitet ihre Hassbotschaften immer schneller und zielgerichteter.

Wir müssen uns schulen lassen, um uns und andere vor dieser geballten Hetze zu schützen. Die Regionalgeschäftsstelle NRW des Börsenvereins bietet am 8. April ein Parolen- und Kommunikationstraining in Bonn an - zusammen mit der Bundeszentrale für politische Bildung. Daran werde ich auf jeden Fall teilnehmen.