Literaturvermittlung: Gastspiel von Anne Sauer

"Keinen Bock mehr auf elitäres Getue"

11. Mai 2023
von Anne Sauer

Wer darf wie über Literatur sprechen? Wer sollte auf Bühnen stehen und Autor:innen interviewen und wer den Literaturhäusern vorstehen? Unsere YEAWARD-Preisgewinnerin Anne Sauer wünscht sich mehr Vielfalt. 

Anne Sauer ist Texterin und Literaturbloggerin. 2022 hat sie den Young Excellence Award der Börsenvereinsgruppe gewonnen.

2022 ist mir etwas Irres passiert: Ich habe den Young Excellence Award gewonnen, für meine »Arbeit für die Literatur«. Und plötzlich, Scheinwerfer an – »Hallo Buchbranche, das ist Anne«. Mit dem Preis zog auch Herr Impostor bei mir ein: Weiß ich genug, bin ich seriös genug, kritisiere ich eloquent genug, bin ich auch in Zukunft exzellent genug? Darf ich das überhaupt, so über Literatur sprechen? Immerhin war jemand kurz davor, den eigenen Award freiwillig abzugeben, sollte ich gewinnen. Kein besonders schöner Gedanke. Als gäbe es nur eine Art, »richtig« über Literatur zu sprechen. Ich habe immer wieder freundlich lächelnd betont, dass die Liebe zu Büchern facettenreich ist, dass alles seine Berechtigung hat. 

Ich sage es jetzt noch mal anders, deutlicher: Ich habe keinen Bock mehr auf elitäres Getue. Wir brauchen nicht noch einen Ort, wo über das geurteilt wird, was andere begeistert. Wo Grüppchen gebildet werden, statt einfach mal die Tische zusammenzuschieben. »The worst kind of person is someone who makes someone feel bad, dumb or stupid for being excited about something«, Taylor Swift, natürlich. Social Media ist groß genug für uns alle. Und wir müssen auch nicht alle das Gleiche tun – Hauptsache, wir tun etwas für die Literatur.

Es ist Zeit, dass wir uns einen Platz in der ersten Reihe sichern.

Anne Sauer

»Instagram-Meute«

Also, wer darf wie über Literatur sprechen? Wer sollte auf Bühnen stehen und Autor:innen inter­viewen, wessen Name sollte unter Zitaten auf Buchdeckeln oder in renommierten Literaturjurys auftauchen? Und wer entscheidet all das? Die Buchblogger:innen werden jetzt nicken: Wir wurden lange nicht ernst genommen. Rezensionen neben lustigen Videos, was soll das schon sein – etwa die Zukunft der Literaturkritik? Mit jedem Hashtag hörten wir das Feuilleton leise lachen. Und gleichzeitig haben so viele Angst vor dieser »Instagram-Meute«, die sich mit Shitstorm-Beuteln bewaffnet auf alle stürzt, die nicht nach ihrer woken Pfeife tanzen. Wir sind also klein und unbedeutend – und trotzdem groß genug, um einer älteren Generation die Knie schlottern zu lassen.

Instagram hat Power. Hinter jedem Account sitzt ein Mensch mit Meinungen, Gefühlen und Prinzipien. Mit eigenem Background und eigener Story. Und mit dem großen, unersättlichen Wunsch, Teil einer Community zu sein. Es ist leicht zu sagen, das Digitale hält die jungen Leute vom Lesen ab. Es liegt nah, alles, was auf den ersten Blick nicht zum Bild der seriösen Literatur passt, niederschmettern zu wollen. Es ist etwas anderes, den Raum für die zu öffnen, die ihn so dringend mitgestalten wollen.

Wer besetzt die Chefetagen der Literaturhäuser unseres Landes? Welche Sichtweisen wünschen wir uns dort? Könnte eine andere Führungsriege nicht auch ein anderes, jüngeres, diverseres Publikum anziehen? Warum wird sich so oft darüber beschwert, dass eine ganze Generation angeblich nicht mehr liest, ohne die Art zu hinterfragen, wie ihnen Bücher vor die Nase gehalten werden? Der Literaturbetrieb ist kein elitärer Herrenklub mehr. Also ist es Zeit, dass wir die Türen einrennen und uns einen Platz in der ersten Reihe sichern. Weil wir da hingehören, weil die Zukunft der Branche nicht nur auf den Schultern derer ruhen kann, die engstirnig und festgefahren an ihren Traditionen festhalten.

Es ist nicht angenehm, sich aus dem bequemen Sessel zu lösen, der sich die vergangenen Jahrzehnte so herrlich an die Pobacken geschmiegt hat. Es ist fordernd, Meinungen auszuhalten, mit Sprache und ihren Makeln konfrontiert zu werden, sich den vielen Möglichkeiten auszuliefern. Aber wie schön wäre es, wenn es funktioniert? Wenn in literarischen Salons alle an einem großen Tisch sitzen könnten, Bookstagrammer:innen neben Bestsellerautor:innen, Schüler:innen und TikTok-Creators zusammen mit krass eloquenten Literaturkritiker:innen – bejubelt und beklatscht von einem diversen, vielseitig interessierten Lesepublikum? Ich glaube, das wäre superschön.