Gendern in der Belletristik (2)

Constanze Neumann: "Natürlich kann gegenderte Literatur gute Literatur sein"

17. Juni 2021
von Sabine Cronau

Was für die einen die deutsche Sprache vollends ruiniert, verstehen andere als Frage der Höflichkeit - das Gendersternchen ist mittlerweile auch in der Welt der Literatur angekommen. Eine Interview-Serie des Börsenblatts zeigt: Verlage und ihre Autor*innen gehen erstaunlich flexibel und entspannt damit um - zum Beispiel Constanze Neumann, Verlagsleiterin bei Aufbau.

Gibt es Autor*innen bei Aufbau, die in ihren Romanen gendern möchten? Und wenn ja: Wie gehen Sie im Lektorat damit um?

Ja, einige gendern, andere möchten das nicht. Beides respektieren wir, es ist nicht nur Teil der künstlerischen Freiheit, sondern auch Ausdruck einer persönlichen Haltung, die wir weder zensieren noch normieren.

Wenn sich Autor*innen eine gendergerechte Sprache im Roman wünschen: Überlassen Sie ihnen dann auch die Entscheidung, wie sie gendern - etwa mit Sternchen, Binnen-I oder Doppelpunkt? Oder gibt es eine verlagsinterne Richtschnur dafür?

Literatur ist die Botschaft des einzelnen schreibenden Menschen an die Welt, für die er eine Form finden muss, die individuell ist: Nehmen Sie die konsequente Kleinschreibung bei Ernst Jandl oder die Tatsache, dass der eine oder die andere noch die alte Rechtschreibung verwendet. In der Kommunikation des Verlages, also in der Vorschau und allen begleitenden Texten, verwenden wir den Doppelpunkt.

Eine sich verändernde Welt wird sich sowohl thematisch als auch sprachlich in der Literatur niederschlagen.

Constanze Neumann, Verlagsleiterin bei Aufbau

 

Gendern ist in vielen Abstufungen möglich. Was ist Romanleser*innen zumutbar?

Das ist hochindividuell, und wir können nur spekulieren, wie das diese Leserin oder jener Leser empfindet.

Wohin die Reise geht und wie weit sie geht, ist nicht absehbar. Für mich ist es spannend zu sehen, wie in englischen und amerikanischen Romanen gegendert wird und welche Varianten in Deutschland auftreten, vor allem aber, ob und wie schnell sich das Publikum an bestimmte neue Formen gewöhnt.

Etwas zugespitzt formuliert: Kann gegenderte Literatur gute Literatur sein?

Natürlich kann gegenderte Literatur gute Literatur sein.

Ob gegendert wird oder nicht, hat ja erst einmal nichts mit der Qualität eines Romans zu tun. Sprache ist ein lebendiger Organismus, der sich immer wieder neu formt und anpasst.

Nehmen Sie den beeindruckenden Debütroman von Hengameh Yaghoobifarah, „Ministerium der Träume“, der im Frühjahr bei Blumenbar erschienen ist: große Kunst, wie sich gegenderte Formen und verschiedene Slangs hier zu einer ganz eigenen, hochliterarischen Sprache verweben.

Glauben Sie, dass in fünf Jahren viele Romane in gendergerechter Sprache erscheinen – erstens, weil wir uns alle daran gewöhnt haben, zweitens, weil gerade die jungen, jetzt nachrückenden Autor*innen ein anderes Bewusstsein für gendergerechte Sprache entwickelt haben?

Ich kann mir vorstellen, dass die junge Generation immer wieder eine ihr gemäße literarische Sprache findet, ob das nun gendern ist oder etwas anderes. Eine sich verändernde Welt wird sich sowohl thematisch als auch sprachlich in der Literatur niederschlagen.

Unsere Gesprächspartner*innen zu Thema Gendern

Bereits erschienen

Demnächst

  • Juan S. Guse, Autor
  • Gunnar Cynybulk, Gründer des Kanon Verlags
  • Mithu Sanyal, Autorin
  • Annette Michael, geschäftsführende Verlegerin des Orlanda Verlags
  • Helga Frese-Resch, Programmleitung Internationale Literatur, Kiepenheuer & Witsch
  • Katharina Gerhardt, freie Belletristik-Lektorin

Eine ausführliche, zusammenfassende Analyse zum Gendern in der Literatur finden Sie in der aktuellen Printausgabe des Börsenblatts, in unserem Spezial Belletristik (Heft 24 / 2021)

Welche rechtlichen Aspekte müssen Verlage beim Gendern von Manuskripten beachten? Dazu lesen Sie hier ein ausführliches Interview mit Susanne Barwick, stellvertretende Justiziarin des Börsenvereins.