Literadtour

Das Buch aus der Bubble holen

5. Mai 2025
Redaktion Börsenblatt

Seit fünf Wochen fährt Lennart Schaefer mit dem Lastenrad durch Deutschland, trifft sich mit Buchhandlungen, Autor:innen, Buchmenschen, versucht Neugierige außerhalb der Branche für das Buch zu interessieren. Über seine bisherigen Erlebnisse und Erfahrungen auf seiner Literadtour erzählt er hier.

Pause in Potsdam am 25. März

Eigentlich hatte ich alles so gut geplant. Die LITERADTOUR sollte jeden Tag eine Mischung sein aus Lastenrad fahren, Literaturorte besuchen und filmen, Videos schneiden und Mails beantworten. Die Ausnahme dieses perfekt ausbalancierten und, wie ich in Interviews oft gesagt hatte, "sehr gesunden" Mixes kam dann direkt in der ersten Woche: Vier Tage lang fuhr ich quasi pausenlos, um danach vier Tage auf der Buchmesse ebenso pausenlos mit Verlagen, Autor*innen und anderen Büchermenschen zu sprechen. Eine Verlegerin hatte mich da gefragt: "Und haben Sie da einen besonderen Sattel oder tut Ihnen der Hintern weh?“ "Letzteres", sagte ich und fügte im Kopf noch die Knie hinzu. Aber beim selbst gewählten Schicksal darf man sich nicht beschweren und ehrlicherweise waren die ersten reinen Fahrtage perfekt, um die fünf Monate Vorbereitung zu verarbeiten und die Buchmessentage, um mir durch die Begeisterung und Bestätigung die mögliche Motivation für die kommenden sieben Monate Tour zu holen.

Lennart Schäfer mit Ursula Poznanski auf der Leipziger Buchmesse

 

Köln am 23. April: Treffen mit Frank Schätzing

Vereint und trotzdem offen

Mittlerweile hatte ich mir auch meine zwei, drei Sätze zurechtgelegt, um die LITERADTOUR erklären zu können: "Ich mache das auf zwei Ebenen: Einmal besuche ich Literaturorte wie Buchhandlungen, Verlage, Autor:innen, Illustrator:innen und andere Buchmenschen und auf der anderen Ebene, versuche ich, das Buch aus der Bubble zu holen – unter anderem mit Schulbesuchen". In den vergangenen Wochen merkte ich immer wieder, dass der zweite Vorsatz der deutlich schwierigere war. Auf der Messe wurde ich von vielen aus der Branche angesprochen und bei den Veranstaltungen in Sachsen, Thüringen, Hessen und Nordrhein-Westfalen stellte ich immer wieder fest, wie vernetzt die Buchmenschen miteinander waren. Erzählte ich von einem vergangenen Besuch, hieß es regelmäßig: "Ach ja, die kenne ich auch". Wie aber bleibt man als so eng vernetzter Haufen offen für das Außen? In den ostdeutschen Bundesländern ging es in Gesprächen immer wieder um die Wahlergebnisse, den Rechtsrutsch. Wirkliche Begegnungen mit Andersdenkenden hatte ich aber selten. Hin und wieder kamen solche Gespräche bei Pausen am Straßenrand zustande.

Sorge am Brocken im Harz am 14. April

Begründeter Optimismus

Worüber ich aber oft spreche, ist die Sorge, wie junge Menschen wieder zum Buch finden sollen. Anfang April sitze ich mit einer Gruppe Buchhändler:innen in Jena. "Gibt es bei der starken Social Media-Konkurrenz überhaupt noch Hoffnung für das Buch?", fragt da eine Buchhändlerin. Ein paar Tage zuvor hatte mich eine Studentin auf der Buchmesse interviewt und gefragt, wie ich mich damit fühle, dass E-Books nun bald das gedruckte Buch ablösen. Irgendwo kommen diese Haltungen, Vermutungen oder Befürchtungen her, obwohl ich ihnen jedes Mal wieder überzeugt widerspreche. Deshalb ist es mir so wichtig, selbstbewusst mit dem Buch aufzutreten, einen sehr gesunden und begründeten Optimismus zu verbreiten – nach außen, aber auch in die Branche hinein. Das Phänomen BookTok darf man bei diesem Optimismus nicht isoliert betrachten. Worum es dabei immer wieder geht, ist, Umwege zum Buch zu finden – in diesem Fall über Social Media. Diese Umwege bei jedem Titel zu identifizieren, bei der Programmplanung und der Präsentation der Bücher darauf zu achten, ist wichtig, um mit dem Buch und dem Lesen immer im Gespräch zu bleiben.

Gespräch mit Drehbuchautorin Anika Decker in Leipzig am 27. März

"Lesen, bis man wieder bei der ersten Station ankommt"

Was aber können diese Umwege sein? Es können prominente Autor:innen sein wie der sympathische Christoph Kramer, den ich auf der der Buchmesse treffen durfte, oder Influencer wie Tahsim Durgun und Malte Zierden, die mit ihren Büchern zusätzlich noch aktuell gesellschaftliche relevante Themen aufgreifen. Es können attraktiv gestaltete Bücher sein oder spannende Events wie die Buchmessen. Bei meinen Schulbesuchen frage ich die Kinder immer nach ihren Lieblingsbüchern. Mit dabei waren zuletzt "Bibi & Tina – Das Buch zum Film" und gleich mehrfach "Lilo & Stitch". Neben Buchverfilmungen helfen auch Bücher zu Filmen. Aber warum da aufhören? Warum nicht als Buchbranche selbst Festivals starten, bei denen es an erster Stelle um Inhalte geht und an zweiter darum, dass so für Bücher geworben wird? Auf Social Media übernimmt der Algorithmus die Macht, die Followerzahl wird immer weniger relevant. 

Umso wichtiger sind gute Inhalte. Warum also nicht junge TikToker:innen mit Technik ausstatten, ihnen Fortbildungen sponsern? Wieso nicht viel intensiver mit anderen Kunstformen zusammenarbeiten? Eine Buchhandlung in Düsseldorf, die ich gerade besucht habe, organisiert Büchertische im Theater. Wo sind die Büchertische im Kino oder bei Konzerten? Wo die Sommer-Leseliste von Friedrich Merz? Die Silent-Book-Clubs an ungewöhnlichen Orten? Zum Beispiel in einem Waggon einer Ringlinie im öffentlichen Nahverkehr – "Lesen, bis man wieder bei der ersten Station ankommt". Warum gibt es so viele Unternehmen, die ihren Mitarbeiter:innen Sport-Abos schenken – aber ich habe noch von keinem Unternehmen gehört, das Bücher-Abos verschenkt (obwohl die gesundheitlichen Vorteile auf der Hand liegen).

Oschatz in Sachsen am 2. April

Ideen für Umwege sammeln

Ich fordere eine gemeinsame Umweg-Liste der Branche mit Best Practices, mit Ideen von jungen und erfahrenen Buchmenschen und Gespräche mit denen, die nicht lesen, um die Anknüpfungspunkte zu identifizieren, die es so zahlreich ja schon gibt.

Baustellen- und Radwegschäden-bedingt werde ich gerade zu so etwas wie einem Profi im Umwege fahren. Über 1.500 Kilometer liegen schon hinter mir, über 7.000 noch vor mir. Viel Zeit also, um weitere Ideen zu sammeln für Umwege zum Buch. Währenddessen sind mein Lastenrad und ich selbst einer. Neben dem E-Motor sind die Nachrichten mein Antrieb, in denen Menschen mir schreiben, dass sie über die LITERADTOUR wieder zum Lesen gefunden haben.

Weimar, Anna-Amalia-Bibliothek am 11. April