"Er gibt dem Schrecken des Krieges eine literarische Sprache"

Serhij Zhadan erhält Österreichischen Staatspreis

3. Juli 2025
Redaktion Börsenblatt

Der ukrainische Autor und Friedenspreisträger Serhij Zhadan wird mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur 2025 ausgezeichnet. Dieser ist mit 25.000 Euro dotiert.

Serhij Zhadan

In der Jurybegründung heißt es laut Mitteilung des Bundesministerium für Wohnen, Kunst, Kultur, Medien und Sport, das den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur vergibt: "Serhij Zhadan entwickelt seine faszinierend-kunstvollen und dabei immer auch hochgradig lebendigen und vielstimmigen literarischen Räume vor geschichtlich klar erkennbaren Hintergründen. Die russische Annexion der Krim und anderer Gebiete der Ostukraine dominiert den Roman 'Internat' (dt. 2018). Hier wird ein Krieg ohne Kriegserklärung geschildert, die Auswirkungen auf das alltägliche Leben der Menschen sind desaströs. Mit dem Großangriff Russlands auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 hat sich das Leben und das Schreiben des Autors radikal verändert. Zhadan trat mit seiner Rockband zur Unterstützung der ukrainischen Bevölkerung und seiner Armee an versteckten Orten auf und stellte sich selbst als Helfer hinter der Front dem Abwehrkampf zur Verfügung. In Form eines imaginären Tagebuchs hält er in dem Band 'Himmel über Charkiw' (2022) seine damaligen Notizen und Aufzeichnungen fest, die etwa auch die Form von Social-Media-Postings angenommen hatten. Auch diese Literatur einer unmittelbaren und unverstellten Zeugenschaft hat im Westen großen Eindruck gemacht."

Die Jury fährt fort: "Mitte des Jahres 2024 ist Zhadan dann selbst in ein Freiwilligen-Bataillon der ukrainischen Nationalgarde eingetreten und nimmt seither direkt am Kampf gegen die russischen Angreifer teil. Erst vor wenigen Monaten hat der Autor im Suhrkamp-Verlag, in dem sein literarisches Werk in deutscher Übersetzung erscheint, einen Gedichtband vorgelegt, der den Einschnitt vom 24. Februar 2022 als eine klaffende Wunde in der lyrischen Sprache zeigt. Es ist ein Zeichen der Hoffnung und das Merkmal eines erfolgreichen Widerstandes, dass der der Ukraine aufgezwungene Krieg hier die Stimme der Literatur aus den Angeln gehoben, aber letztlich doch nicht zum Schweigen gebracht hat."

Der fünfköpfigen Jury für den Preis 2025 gehörten an: Raphaela Edelbauer, Klaus Kastberger, Alexander Potyka, Klaus Seufer-Wasserthal und Anne-Catherine Simon.

Österreichs Vizekanzler Andreas Babler sagt: "Serhij Zhadan ist einer der prägnantesten Schriftsteller der europäischen Gegenwartsliteratur, der zur literarischen Stimme der Ukrainer:innen geworden ist. (...) Serhij Zhadan gibt dem Schrecken des Krieges und der unsichtbaren, allumfassenden Angst eine literarische Sprache. Er gibt den Menschen in der Ukraine ihre Stimme und ihre Individualität zurück, die sie im Angesicht des russischen Angriffskrieges zu verlieren drohen. Sein Werk bringt zur Sprache, wofür die Alltagssprache keine Worte findet. Es verfügt über jene literarische Kraft, die es braucht, um in Zeiten des Krieges und des Terrors Zeugnis abzulegen und Hoffnung zu spenden."

Zum Preisträger:

Serhij Zhadan, 1974 im Gebiet Luhansk/Ostukraine geboren, studierte Germanistik, promovierte über den ukrainischen Futurismus und gehört seit 1991 zu den prägenden Figuren der jungen Szene in Charkiw. Er debütierte als 17-Jähriger und publizierte zwölf Gedichtbände und sieben Prosawerke. Für "Die Erfindung des Jazz im Donbass" wurde er mit dem Jan-Michalski-Literaturpreis und mit dem Brücke-Berlin-Preis 2014 ausgezeichnet (zusammen mit Juri Durkot und Sabine Stöhr). Die BBC kürte das Werk zum Buch des Jahrzehnts. 2022 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Zhadan lebt in Charkiw und ist seit Mai 2024 Soldat.

Zum Preis:

Der Österreichische Staatspreis für Europäische Literatur wird seit 1965 für das literarische Gesamtwerk einer europäischen Autorin bzw. eines europäischen Autors verliehen, das international besondere Beachtung gefunden hat, was durch Übersetzungen dokumentiert sein muss. Das Werk muss auch in deutschsprachiger Übersetzung vorliegen. Der Preis ist mit 25.000 Euro dotiert.

Die Preisverleihung durch den Bundesminister für Kunst und Kultur und Vizekanzler Andreas Babler findet am 25. Juli im Rahmen eines Festaktes während der Salzburger Festspiele statt.