Eröffnung der neuen Dependance in Berlin

S. Fischer zieht es in die Rosenstraße

1. September 2023
von Michael Roesler-Graichen

Ein neues Kapitel in der Verlagsgeschichte: S. Fischer hat am 30. August seinen neuen Berliner Standort in der Rosenstraße 19 eröffnet. Zur Einweihungsparty waren zahlreiche Autor:innen des Verlags und Mitglieder der Berliner Literaturszene gekommen. Ein Abend voller Begegnungen. 

S. Fischer Rosenstraße 19

Der neue Berliner Verlagssitz von S. Fischer in der Rosenstraße 19

Kehrt S. Fischer nun Frankfurt den Rücken? Diese Befürchtung kam auf, als Oliver Vogel im Oktober 2022 nach seiner Berufung an die Verlagsspitze der Fischer Verlage im Börsenblatt verkündete, den Standort Berlin auszubauen. Am 30. August 2023 ging dann der Vorhang hoch: Mit einem Empfang bei Wein und Fingerfood wurden die neuen Räumlichkeiten in der Rosenstraße 19, nicht weit vom Alexanderplatz, eingeweiht.

Vieles, was in der Literatur- und Buchwelt Rang und Namen hat, war gekommen: Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Übersetzerinnen und Übersetzer, Kritikerinnen und Kritiker, Verleger:innen und andere Kreative – viele davon aus Berlin. Unter ihnen beispielsweise die Schriftsteller:innen Thea Dorn, Felicitas Hoppe, Florian Illies, Katarina Poladjan, Liao Yiwu sowie Jonathan Landgrebe, Verleger des Suhrkamp Verlags, der nur zwölf Gehminuten entfernt in der Torstraße residiert. Weil es ein entspannter, nicht-öffentlicher Abend sein sollte, waren keine Pressefotografen dabei. Auch die Schauspielerin Katja Riemann, ebenfalls Autorin des Verlags, war gekommen – und damit hat es eine besondere Bewandtnis: Sie hatte in Margarethe von Trottas Film „Rosenstraße“ (2003), der die Geschichte eines ungewöhnlich mutigen Protests während des Dritten Reichs erzählt, die Hauptrolle gespielt. Denn hier, in der Rosenstraße, hatte das Naziregime im Jahr 1943 etwa 1.500 sogenannte „jüdische Mischlinge“ interniert, Juden, die in einer sogenannten „Mischehe“ mit „arischen“ Personen lebten. Die Frauen hatten damals über mehrere Tage deren Freilassung gefordert und wichen auch angesichts der Drohgebärden seitens der SS nicht von ihrem Platz. Bei S. Fischer, dessen Geschichte eng mit der des „Dritten Reichs“ verbunden ist – Teile des Verlags und die Verlegerfamilie selbst konnten nur im Exil überleben – liegt auch ein Buch vor, dass den Widerstand in der Rosenstraße schildert (Wolf Gruner, „Widerstand in der Rosenstraße“). In einem kleinen Park neben dem Gebäude steht ein Denkmal für die mutigen Frauen, das Ingeborg Hunzinger, Großmutter der (ebenfalls anwesenden) Schriftstellerin Julia Franck, geschaffen hat.

Oliver Vogel, S. Fischer

Gastgeber Oliver Vogel im Gespräch

Die neue Verlagsetage, die nun gemeinsam mit dem Instituto Cervantes in dem Geschäftsgebäude untergebracht ist, bietet etwa 20 Mitarbeiter:innen des Verlags Arbeitsplätze. Künftig werden auf der Fläche hauptsächlich Mitarbeiter:innen aus dem Bereich Literatur arbeiten, zudem wird es auch Platz für die Frankfurter Kolleg:innen geben, die in Zukunft häufiger in die Hauptstadt pendeln werden. Sie können sich dann an Arbeitsplätzen einbuchen und in dem Umfang arbeiten, den sie aus Frankfurt oder ihrem Homeoffice an einem anderen Ort kennen. Es sind freundliche, lichte Räume mit Erkern, die stilvoll möbliert sind und ausreichend Platz für Besprechungen oder Rückzug bieten. 

Oliver Vogel machte in seiner kurzen Ansprache klar, dass S. Fischer nie Berlin verlassen habe. Zu jeder Zeit habe es einen Sitz an der Spree gegeben, bis 1934 sowieso (vor allem in der Bülowstraße 90), und auch nach dem Krieg. Von der Zeit der Wiedervereinigung bis heute war dann das Büro in der Neuen Grünstraße 17 der Verlagssitz in Berlin. In der Nachkriegszeit waren auch stets Literaturgrößen zu Gast, die sich im Gästebuch des Verlags verewigt haben, so etwa Ilse Aichinger, Elias Canetti und Carl Zuckmayer.

Die in Frankfurt mit Argwohn verfolgte Teilverlagerung entspringt aber nicht einer Laune, sondern ist sichtbarer Ausdruck der Verschiebungen, die Deutschland nach 1990 erlebt hat. Berlin ist nicht nur zum politischen Zentrum geworden, sondern auch zu einem kulturellen Magneten, der zu einer großen Präsenz von Schriftsteller:innen, Künstler:innen und Wissenschaftler:innen geführt hat. Dieses Potenzial auszuschöpfen, sei für große Verlage wie S. Fischer unausweichlich, meinte Carel Halff, CEO der Holtzbrinck Buchverlage, in einem Gespräch am Abend. Andere Verlage hätten ebenfalls ihre Aktivitäten in Berlin erhöht.

Sebastian Guggolz, der in Berlin Teamleiter für das Klassiker-Lektorat sein wird (und gleichzeitig seinen Verlag weiterführt), stellte in einem kurzen Vortrag eine literarische Wiederentdeckung vor: den 1926 erstmals veröffentlichten Roman „Ich?“ des Berliner Schriftstellers Peter Flamm, der mit bürgerlichem Namen Erich Mosse hieß und ein Neffe des bekannten Zeitungsverlegers Rudolf Mosse war. Es erzählt die Geschichte des aus dem Ersten Weltkrieg heimgekehrten Chirurgen Hans, dem alle Gewissheiten abhandengekommen sind – auch die der eigenen Identität - und den existenzielle Fragen umtreiben. Ein starkes, kraftvolles Buch, dessen Thematik viel mit unserer Gegenwart zu tun hat. Am 29. November wird es in einer neuen Ausgabe bei S. Fischer erscheinen.

Der Abend bei S. Fischer hat gezeigt, dass man mit dem neuen Verlagssitz auch eine Anlaufstelle für Autor:innen, Übersetzer:innen und andere Kreative geschaffen hat. Oliver Vogel und sein Team sind nun viel unmittelbarer am Puls der Literaturszene, als sie dies von Frankfurt aus hätten sein können.