Herbsttagung der IG Ratgeber

Grüner Glanz in den Umsatzzahlen

13. Oktober 2020
von Sabine Cronau

Der Ratgebermarkt hält sich gut in der Pandemie – und schneidet am Ende von Kalenderwoche 40 sogar etwas besser ab als der Gesamtmarkt: Frische Zahlen präsentierte die IG Ratgeber im Börsenverein am 13. Oktober auf ihrer (virtuellen) Messetagung. Kritik gab es an der Organisation des digitalen Buchmesse-Programms.

Zoom-Konferenz statt persönliches Vormesse-Treffen: Etwas Wehmut schwang mit, als sich die Ratgeberverlage an diesem Dienstag zum traditionellen Erfahrungsaustausch vor der Frankfurter Buchmesse trafen. Buchmessefeeling am Bildschirm – das mag sich eben doch nicht einstellen.

Frische Zahlen zum Ratgebermarkt 2020

Dafür waren wenigstens die Marktzahlen erfreulich, die Frech-Verleger Michael Zirn vom Sprecherkreis der Interessengruppe präsentierte: Am Ende der Kalenderwoche 40 bewegte sich der kumulierte Umsatzrückgang der Ratgeber für 2020 bei minus 3,1 Prozent. Ratgeber schneiden damit etwas besser ab als der Gesamtmarkt, denn über alle Warengruppen hinweg liegt das aufgelaufene Minus bei 4,2 Prozent. Vor allem aber: Ratgeber tragen das Umsatzminus, das im Frühjahr durch den Lockdown aufgelaufen ist, kontinuierlich ab.

Dafür sorgen vor allem drei Ratgebersegmente, die deutlich gefragter sind als im Vorjahr:

  • Mit Ratgebern zum Thema Natur, die bereits von 2018 auf 2019 um 1,6 Prozent zugelegt hatten, setzte der Buchhandel von Kalenderwoche 1 bis 40 gut 7,6 Prozent mehr um als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Das Wachstum zieht sich quer durch alle Unterwarengruppen.
  • Das Segment Essen & Trinken meldet ein Umsatzplus von 4,4 Prozent (Zirn: „Eine schöne Entwicklung für eine Warengruppe, die in den letzten Jahren ziemlich gebeutelt war“). Backen ist dabei das Thema der Stunde.
  • Die Warengruppe Hobby, Haus liegt 3,7 Prozent über Vorjahreslevel (Zirn: „In diesen Zeiten nicht verwunderlich bei einer Warengruppe, die das Wort Zuhause gewissermaßen im Namen trägt“). Besonders stark sind laut Zirn die Themen Spielen / Raten und Malen / Zeichnen.

Ratgeber tragen das Umsatzminus, das im Frühjahr durch den Lockdown entstanden ist, kontinuierlich ab.

Michael Zirn, Sprecherkreis der IG Ratgeber

Es gibt aber auch Warengruppen, die besonders unter der Corona-Krise leiden:

  • Sportbücher etwa, die 2020 durch Fußball-EM und Olympia eigentlich im Aufschwung gewesen wären, büßten bislang 10,7 Prozent ihrer Einnahmen ein.
  • Auch Gesundheitsthemen waren erstaunlicherweise deutlich weniger gefragt (minus 9,2 Prozent, gesunde Ernährung: sogar minus 15 Prozent)
  • Für Lebenshilfe-Ratgeber ging es besonders deutlich bergab (minus 11,6 Prozent) – was wohl vor allem daran liegt, dass Bücher rund um das Thema Selbstoptimierung in der Krise weniger gefragt sind. Das Thema muss seine Führungsrolle als umsatzstärkste Ratgeberwarengruppe damit wieder an das Thema Essen & Trinken abgeben.  

Alles in allem habe die Warengruppe Ratgeber bislang im Vergleich zum Vorjahr rund 14,5 Millionen Euro weniger umgesetzt, rechnete Zirn anhand der Media-Control-Daten vor. Der Löwenanteil dieser Umsatzlücke geht auf das Konto der Lebenshilfe-Ratgeber, die etwa 12,5 Millionen Euro unter Vorjahresniveau liegen. 2019 konnte das Segment noch ein Plus von 8,6 Prozent verbuchen – in den vergangenen Jahren erlebte es einen geradezu „kometenhaften Aufstieg“ (Zirn).

Impulsvortrag entlang der "Customer Journey"

Nach der Marktanalyse stand das Thema Digitalisierung auf dem Programm. Berater Michael Döschner-Apostolidis machte deutlich, dass sich Vertriebswege und Marketing in der Corona-Krise rasant verändern – hin zum Digitalen. Eine klare Markenpositionierung und eine umfassende digitale Marketing- und Vertriebsstrategie entlang der „Customer Journey“ seien für Verlage deshalb wichtiger denn je.

Wo sind die Kontaktpunkte zum Kunden? Und wie können sie gepflegt werden? Um diese Fragen ging es in Döschners Impulsvortrag. Seine These: Klassische Verlage würden dazu neigen, die digitale Beziehung zum Endkunden zu unterschätzen. Es reiche nicht aus, Social-Media-Kanäle, Website oder Newsletter als „Schaufenster“ für Bücher zu nutzen. Verlage müssten sie als Zwei-Wege-Kanal verstehen und aus der Zielgruppe eine „Community of interest“ machen.

Nicht umsonst seien die Bücher von Influencern so erfolgreich, so Döschner: Sie würden genau diese Community bereits mitbringen. Döschner nannte auch zwei Verlagsbeispiele für erfolgreiche „Community“-Bildung: den jungen Berliner Verlag Smarticular, der aus Online-Content Ratgeber zu Nachhaltigkeitsthemen entwickelt. Und den Münchner PAL-Verlag, dessen Online-Relaunch Döschner gerade begleitet hat (mehr dazu hier).

Nach Döschners Impulsvortrag gab Börsenvereinsjustiziar Christian Sprang einen Einblick in die Rechtsfragen, die den Verband und seine Mitglieder derzeit beschäftigen – darunter eine mögliche Änderung des Preisbindungsgesetzes und das Dauerthema Verlegerbeteiligung (mehr dazu hier).

Weiß jeder, was ein Ratgeber ist?

Nicole Schindler, Leiterin Marketing und Vertrieb bei Ulmer und ebenfalls im Sprecherkreis der IG Ratgeber, ließ ihre Arbeit in der Börsenvereins-Taskforce „Image“ Revue passieren. Sie versucht dabei, Ratgeber neben der Belletristik stärker ins Rampenlicht zu rücken -  etwa mit speziellen Ratgebermotiven unter dem Dach der „Jetzt ein Buch!“-Kampagne und bei der Aktion „Auf ein Buch mit…“, die mit Leselisten von Prominenten für Bücher und das Lesen wirbt (mehr dazu hier).

Dabei kristallisiert sich ein Problem heraus, das die Ratgeberverlage schon länger beschäftigt: Kann das Lesepublikum mit dem Begriff „Ratgeber“ etwas anfangen? Ist es noch das richtige Wort, um das Genre der nützlichen Bücher zu beschreiben? Diese Frage stellt sich unter anderem für PAL-Verleger Carlo Günther, ebenfalls Sprecher der IG Ratgeber: ein Thema, an dem die Interessengruppe weiterarbeiten will.

Digitale Messe-Erfahrungen

Zum Schluss trugen die Ratgeberverlage ihre Erfahrungen mit digitalen Veranstaltungen zur Frankfurter Buchmesse 2020 zusammen. Deutliche Kritik gab es an der Kommunikation der Messe und an knappen Terminfristen, die Verlage hätten sich zudem mehr Bedienungsfreundlichkeit bei den digitalen Plattformen und auch mehr Planungssicherheit gewünscht – etwa bei der Frage, ob sie es mit ihrer Veranstaltung ins virtuelle „Bookfest“-Programm geschafft haben.

Doch gerade Planungssicherheit ist in der Pandemie ein besonders knappes Gut. Das gilt nicht nur für die Buchmesse, sondern auch für die nächste Jahrestagung der IG Ratgeber im Mai 2021. Wolfgang Starke von der Verbraucherzentrale NRW erneuerte nach der corona-bedingten Absage 2020 seine Einladung nach Düsseldorf – ob sich die Ratgeberverlage und interessierten Buchhändler*innen dort im nächsten Jahr wirklich treffen können, kann selbst der beste Algorithmus nicht errechnen.