Interview mit Kai Wels von MVB

KI hilft bei Zuordnung der Lesemotive

9. Oktober 2020
von Christina Schulte

Mit den Warengruppen und Thema liegen bereits zwei Klassifikationen vor. Die Lesemotive kommen als eine weitere hinzu. Was die Verlage, was das VLB und eine KI nun tun müssen, um die Klassifikation zu integrieren, beschreibt Kai Wels.

Wie können Verlage ihre Titel mit der neuen Systematik versehen?
Verlage müssen für die Anreicherung ihrer Titel mit den Lesemotiven nicht selbst aktiv werden. Im ersten Schritt statten wir bei MVB die im VLB gelisteten Buchtitel automatisiert mit diesen zusätzlichen Informationen aus. Für Non-Book-Artikel und Kalender lässt sich die Logik jedoch z. B. nicht übertragen, da sich diese als nicht text-basierte Produkte für diese Art der Einteilung nicht eignen. Die Bereiche Kinder- und Geschenkbuch sind vorerst ebenfalls ausgeschlossen, da hierbei das dem Kauf zugrunde liegende Lesemotiv überwiegend nicht von den Lesenden selbst stammt.

Welche technische Unterstützung erhalten die Verlage?
Im kommenden Jahr werden die Titel im VLB ein weiteres Datenfeld erhalten, wo die jeweiligen Lesemotive hinterlegt werden. Dieses sogenannte Massen-Labeling werden wir für alle relevanten Titel durchführen und nach der automatisierten Zuordnung eine Feedback-Option integrieren, falls aus Sicht der Verlage die angegebenen Lesemotive nicht passen sollten. Hierbei gilt es jedoch zu beachten, dass die Einordnung nicht aus subjektiver Sicht erfolgt, sondern auf den wissenschaftlichen neuropsychologischen Kundenbedürfnissen basiert. Hierzu bietet MVB auch Beratungspakete an.

Wie funktioniert dieses Massen-Labeling?
Da wir im VLB mehr als 2,5 Millionen gemeldete Titel verwalten, ist eine manuelle Zuordnung nicht möglich. Daher haben wir uns für eine automatisierte Lösung basierend auf künstlicher Intelligenz entschieden. Wo ein Mensch im Schnitt 60 Sekunden benötigt, um einen Titel einem der Lesemotive zuzuordnen, führt die Maschine diesen Vorgang in Bruchteilen einer Sekunde durch. Dabei werden verschiedene Parameter mit den Definitionen der Lesemotive abgeglichen und eine entsprechende Wahrscheinlichkeit errechnet.

Woher kommt die künstliche Intelligenz für diese Anwendung?
Um den richtigen Partner für die technische Umsetzung dieser automatisierten Analyse und Zuordnung der Lesemotive zu finden, haben wir in einem Pitch mehrere Anbieter ihre konzeptionellen und technischen Lösungsansätze präsentieren lassen. Es war ein wirklich knappes Rennen: ScriptBakery, ein neues Start-up im Bereich der KI-Manuskriptanalyse aus Freiburg, und ein weiteres Unternehmen haben sehr gute Ergebnisse präsentiert. Am Ende hat uns aber QualiFiction überzeugt, die in der Branche bereits mit ähnlichen Technologien präsent sind. Dabei bestand die Jury nicht nur aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von MVB, sondern auch aus drei Mitgliedern aus verschiedenen Verlagen, die mit gleichem Stimmrecht Einfluss auf die Wahl hatten. Es war uns sehr wichtig, bei diesem Projekt bereits zu Beginn gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern der Branche an einer Lösung zu arbeiten, die für unsere Kundinnen und Kunden einen wirklichen Mehrwert bietet.

Das sogenannte Massen-Labeling werden wir für alle relevanten Titel durchführen und nach der automatisierten Zuordnung eine Feedback-Option integrieren, falls aus Sicht der Verlage die angegebenen Lesemotive nicht passen sollten.

Gibt es schon erste Versuche, ob die Automatisierung funktioniert?
Im Rahmen des Pitchs haben alle Dienstleister bereits einen funktionierenden Prototypen vorgestellt, da wir mit der Ausschreibung auch einen Proof-of-Concept erreichen wollten. Damit ist gemeint, dass wir künstliche Intelligenz zwar als mögliche Technologie für die Umsetzung des Projektes in Betracht gezogen haben, aber auch recht früh den Beweis haben wollten, dass sich damit mit planbarem Aufwand die VLB-Titel mit Lesemotiven anreichern lassen.

Wie wird die KI trainiert?
Die Basis für eine KI sind immer entsprechende Ausgangswerte, die von Menschen sozusagen als Wahrheit definiert werden. Für das Basistraining wurden dafür mit engagiertem Einsatz von mehreren Expertinnen und Experten aus Verlagen und Handel mehr als 4.000 Titeln Lesemotive manuell zugeordnet. Im Pitch haben wir diese Zuordnungen als Basisdaten verwendet, um die Maschine dagegen laufen zu lassen und die Abweichungen zu überprüfen. Für das Massen-Labeling werden diese Daten kontinuierlich nachgeschärft und die Analyseergebnisse weiter optimiert.

Was wird die Zuordnung der Lesemotive die Verlage kosten?
Vorerst werden wir die Anreicherung und Wertschöpfung der Lesemotive auf die Titel im VLB als Beta-Version ausreichend testen. Daher werden hierbei für unsere Kundinnen und Kunden keine Kosten entstehen. Perspektivisch wollen wir Verlage aber noch weitgehender mit der ergänzenden Kategorisierung ihrer Titel mit den Lesemotiven unterstützen. Dies werden voraussichtlich Zusatzangebote sein, die von den Verlagen optional in Anspruch genommen werden können, um Titel und Programme bereits sehr frühzeitig auf die relevanten Lesemotive und Kaufanreize auszurichten.

Wie sieht Ihr Zeitplan aus?
Bereits zur Buchmesse geben wir unter www.vlb.de/lesemotive einen ersten Einblick, wie die Lesemotive im VLB umgesetzt werden können. Im kommenden Jahr werden wir dann das Datenfeld in der Beta-Version in die Datenbank integrieren, um darüber unsere Vorschläge an die Verlage auszuspielen.

Veranstaltungshinweis:

Freitag, 16.10.2020 | 14:00 bis 15:00 Uhr
Lesemotive im VLB: Der neue Standard für Bücher (4/4)