Sichtbarkeit für queere Literatur und Menschen (5)

Sundermeier: "Seit unser Programm diverser ist, bekommen wir ganz andere Angebote"

23. Juli 2021
von Charline Vorherr

Die Zeit ist reif für mehr Diversität in den Verlagsprogrammen. Einer jeder Verlage ist der Berliner Verbrecher Verlag. Im Interview erklären Kristine Listau und Jörg Sundermeier, warum es sich lohnt, auf ein diverses und vielfältiges Programm zu achten.

Was verstehen Sie unter Diversität und Vielfalt in Verlagsprogrammen?
Kristine Listau: Ideal und spannend wäre es, sämtliche Stimmen und Ansichten aus der ganzen Welt repräsentieren zu können, aber das geht leider nicht in einem Verlag, der um die 30 Bücher pro Jahr publiziert. Daher beschränken wir uns auf das Machbare und schauen, dass unsere Programme halbwegs ausgewogen sind und achten verstärkt darauf, dass die Stimmen, die bislang eher weniger repräsentiert waren bei uns, aufgenommen werden. Und das sind insbesondere diejenigen von Frauen, aber nicht nur.

Jörg Sundermeier: Ich habe vor Jahren tatsächlich mal gesagt, dass wir nicht so viele Autorinnen verlegen, weil wir nicht so viele gute Manuskripte von Frauen bekommen, was damals schon völliger Unsinn war. Und wie mir Kristine gezeigt hat, geht es leicht anders: Seit unser Programm diverser geworden ist, bekommen wir auch ganz andere Angebote. Damit bin ich sehr zufrieden.

Diversität ist in aller Munde – kommt man als Verlag an dem Thema überhaupt noch herum?
Jörg Sundermeier: Diversität ist eben einfach wichtig. Aber es muss auch nicht zwingend sein. Wenn man achtsam durch die Welt geht, dann ergibt sich von ganz allein ein diverseres Programm.

Kristine Listau: Hoffentlich nicht, also herumkommen, weder als Verlag noch als Person. Ich finde es großartig, wie selbstverständlich mittlerweile der Begriff (in weiten Teilen) unserer Branche gebraucht wird. Und wir kümmern uns sehr gern um die Bibliodiversität und haben das entsprechende Manifest zum Thema von Susan Hawthorne veröffentlicht.

Wie setzen Sie Diversität konkret um? Insbesondere im Hinblick auf LGBTQ+ Menschen?
Jörg Sundermeier: Tatsächlich schauen wir, wie es sich ergibt. Und es ergibt sich immer mehr. Wir beauftragen jedoch keine Texte. Wir haben das Glück, dass sie uns angeboten werden.

Und wie schätzen Sie die Absatzchancen ein?
Kristine Listau: Gute Bücher verkaufen sich in der Regel gut. Für Programme, in denen auf Diversität geachtet wird, gilt das auch. Unsere Gesellschaft ist zudem sehr interessiert und will sich auf vielfältige Weise mit dem Thema auseinandersetzen. Das sieht man denn auch in den Verkaufszahlen.

Die Queer Media Society fordert, „dass 10% des turnusmäßigen Outputs aller Medien-Produktionen mit LSBTTIQ*-Inhalten und -Akteur*innen belegt werden“. Was sagen Sie zur Forderung der Queer Media Society?
Jörg Sundermeier: Wir legen keine Maßeinheiten an unser Programm. Achten aber schon darauf, dass People of Color und LGBTQ+ vertreten sind. Wir wissen aber auch ehrlich gesagt nicht immer, wer heterosexuell ist und wer queer lebt.

Hinterfragen Sie auch die Mitarbeiterstruktur in Ihrem Verlag? Wie divers oder queer würden Sie Ihr Verlagshaus in seiner Struktur beschreiben?
Kristine Listau: Hier gilt das Gleiche wie bei der Programmarbeit: Wir achten darauf, dass alle vertreten sein können. Momentan ist die Mehrheit unserer Mitarbeiter*innen wahrscheinlich eher heterosexuell und weiß. Das war aber nicht immer so und wird sich gewiss auch wieder ändern.

Wo fehlt es der Buchbranche an Diversität? Was würden Sie sich wünschen? Welche Formate, Bücher, Programme, Veranstaltungsformate oder Preise?
Kristine Listau: Der Wunsch wäre, dass jede*r selbstverständlich wäre. Dann bräuchte es keine Quoten. Keine Identitätspolitik. So aber ist es wichtig, dass Jurys und Veranstalter*innen auch darauf achten wie unsere Gesellschaft verfasst ist. Und die ist eben nicht nur männlich, heterosexuell, weiß und deutschdeutscher Herkunft.

Jörg Sundermeier: In der Tat. Ich möchte heutzutage nicht mehr auf einer Bühne sitzen, auf der ich ausschließlich mit „alten weißen Männern“, wie ich selbst einer bin, über „die deutsche Literatur“ rede. Das hielte ich für unangemessen. Ich finde nicht, dass sich beispielsweise die Jury des Leipziger Literaturpreises für ihre Auswahl entschuldigen sollte. Aber sie sollte sich schon überlegen, ob sie nicht einige sehr gute Bücher übersehen hat. Gerade zum Schutz der Bibliodiversität ist es wichtig, die eigenen Ansichten zu hinterfragen. Und das Schöne ist: Man kann plötzlich wieder viele tolle neue Texte und Ideen entdecken und muss nicht mehr nur das Elend der Durchschnittsliteratur beweinen.

 

Mehr Stoff zu den Themen queere Literatur und Sichtbarkeit von queeren Akteur*innen im Literaturbetrieb folgt im Thema der Woche in der Börsenblatt Ausgabe 29: "Queere Menschen wollen nicht einfach nur Thema sein"

In dieser Reihe sind außerdem folgende Interviews erschienen: 

- Donat Blum, Glitter: "Wir alle tragen schwer am Patriarchat"

- Jim Baker, Querverlag: "Zu häufig höre ich: Nischenliteratur!"

- Lina Muzur, Hanser Berlin: "Diversität ist kein Modethema"

- Lann Hornscheidt, w_orten & meer: "Kein Nischenprogramm"

- Kristine Listau und Jörg Sundermeier, Verbrecher Verlag