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Auf Umwegen

19. Februar 2021
von Marcus Schuster

Walter Mayer (61) war Chefredakteur der »Bild am Sonntag«, bis er abberufen wurde. Andere hätten sich zur Ruhe gesetzt oder den nächsten Chefposten gesucht. Doch er entschied sich, etwas anderes zu machen. 

Willkommen zurück, Herr Mayer. Seit Oktober machen Sie als kommissarischer Politik- und Wirtschaftschef gemeinsam mit Gudrun Dometeit beim »Focus« wieder klassische Redakteursarbeit. Hat es Sie nach all den Jahren wieder gejuckt?
Ich berate bereits seit 2016 meinen Freund Robert Schneider, den Chefredakteur von »Focus«. Aber natürlich genieße ich es sehr, nach einigen gemächlicheren Jahren nun wieder intensiv Themen zu entwickeln, zu redigieren, kritisieren, motivieren, produzieren und auszustatten.

Sie waren bis zum Herbst 2013 Chefredakteur von »Bild am Sonntag«. Sie seien auf eigenen Wunsch gegangen, hieß es damals wie so oft in solchen Fällen. Dabei soll es eher ein Rauswurf gewesen sein. 
Es stimmt beides. Man hat mir an einem unfassbar heißen Donnerstag im August sehr überraschend mitgeteilt, dass ich die Chefredaktion der »BamS« abgeben müsse, und gleichzeitig angeboten, im Verlag zu bleiben, um ein neues digitales Objekt zu entwickeln. Nach ein paar schlaflosen Nächten wurde mir aber klar, dass eine Lebensphase zu Ende gegangen war. Ein jegliches hat seine Zeit. Ich wusste zwar nicht, was mich draußen erwartet, aber ich hatte das Bedürfnis, es kennenzulernen. Also habe ich entschieden, Axel Springer nach 15 Jahren zu verlassen. 

Zeit kann man nicht versenken, man lernt mit jedem Umweg besser laufen.

Walter Mayer

Was haben Sie gemacht?
Erst habe ich begonnen, ein altes Haus in der Medina von Marrakesch zu renovieren, Schutt weggeräumt, mich mit überlieferten Bautechniken beschäftigt und unter meinem Orangenbaum das Träumen wieder erlernt. Dann konnte ich endlich das Buch schreiben, das schon lange in meinem Kopf lag: über Brot, das universelle Lebensmittel, in dem unsere ganze Menschheitskultur eingebacken ist. Ach ja, und zwischendurch meinte ich, ein Start-up gründen zu müssen und entwickelte mit »Bookaffairs« eine Online-Plattform für von Amazon gepeinigte, unabhängige Buchhandlungen.

Hat nicht geklappt?
Vielleicht habe ich zu früh aufgegeben. Vermutlich verfüge ich aber auch einfach nicht über die nötigen Unternehmer-Skills.

Haben Sie damit viel Zeit und Geld versenkt?
Zeit kann man ja gar nicht versenken, man lernt mit jedem Umweg besser laufen. 

Ein Beispiel für den Mut, in der eigenen beruflichen Biografie auch mal einen Bruch zu riskieren. Dennoch haben Sie als gelernter Buchhändler und Spross einer Bäckersfamilie mit beiden Projekten zwei Lebenslinien zusammengeführt. 
Ich fürchte, meine Lebensfäden ergeben ein ziemlich wirres Knäuel. Aber, es stimmt schon: Je älter man wird, um so mehr wird man der, der man war.

Leben Sie eigentlich noch in Marrakesch?
Zur Zeit pendle ich coronabedingt lediglich zwischen Wien und Berlin. Aber ich hoffe, bald wieder unter dem Orangenbaum zu sitzen und vielleicht ein neues Buch zu schreiben.