Veronika Weiss über "Learning by doing"

"Proben Sie den Ernstfall"

9. November 2023
von Veronika Weiss

Üben soll ein Zaubermittel sein – und ja, es hilft! Aber deshalb sollten wir es nicht – wie es im Trend liegt – ungeniert in die Öffentlichkeit verlagern und uns womöglich blamieren. Für den Ernstfall übt es sich besser im stillen Kämmerlein.

zwei junge Leute in Business-kleidung reichen sich die Hand

Wir üben das jetzt mal zuhause ...

Ist es nicht schön, dass wir in ehrlichen Zeiten leben? Dass meist nicht mehr um der glänzenden Fassade willen geschönt wird? Fehler werden zugegeben, Fuck-ups gefeiert und die damit verbundenen Learnings geteilt. Das ist echt und beweist Größe. Wie wohltuende Refrains schallen uns dabei die passenden Sprüche entgegen: Aller Anfang ist schwer, wir alle haben mal angefangen, niemand ist auf Anhieb perfekt, Übung macht den Meister oder die Meisterin. Und es stimmt, je öfter wir eine Tätigkeit ausüben, desto vertrauter wird sie uns und desto besser werden wir.

Oft wird “Learning by doing“ geraten, also den vollen Ernst einer Situation zu nutzen, um daran zu wachsen. – Und da gehe ich nicht ganz mit, besonders wenn dieses Learning in unserer Buchbranche stattfinden soll. Denn die ist einfach zu klein, als dass karriereentscheidende Situationen zu Übungszwecken missbraucht werden sollten. Wir können schlecht zwei Vorstellungs- oder Akquise-Gespräche nur zur Probe führen, wenn solch gute Gelegenheiten ohnehin rar sind. Denn dann bleiben nicht mehr genug Wunscharbeitgeber übrig für die Zeit, in der wir der Aufgabe dann wirklich gewachsen sind. Jede kennt hier jeden, und das bedeutet, der Ruf ist schnell ruiniert, der attraktivste Arbeitgeber, die besten Agenturen und Lieblingsbuchhandlungen sind allzu bald abgeklappert …

Wie ernst ist es eigentlich gerade?

Natürlich gibt es auch genug Szenarien, in die wir uns begeben können, ohne uns mehrfach abgesichert zu haben – wie es immer so schön heißt: „Wir operieren ja nicht am offenen Herzen.“ Wenn das Schaufenster fürs Erste noch nicht perfekt thematisch und farblich und stilistisch abgestimmt Bücher präsentiert, ist es kein Weltuntergang. Wenn die ersten Postings oder Blogartikel zwar wohlüberlegt sind, aber noch nicht klingen wie vom Werbeprofi, werden bald neue, bessere folgen. Wenn in einem Buch doch noch ein Fehler ist, halb so wild – selbst mit falscher Grammatik auf dem Cover kann man noch für den Deutschen Buchpreis nominiert werden, wie „Weil da war etwas im Wasser“ beweist.

In vielen kleineren Aufgaben können wir uns also während des Tuns steigern. Da liegt die Vermutung nahe, das könne auch bei den großen, wichtigen Situationen funktionieren. Die Begründungen dafür klingen schick: spontan und authentisch sein, auf Understatement machen, sympathischer rüberkommen. Wir stehen dazu, dass wir eben noch nicht perfekt sind, noch gar nicht perfekt sein können – woher auch? Wir wollen zeigen, dass wir noch Entwicklungspotential haben. Und so weiter. Aber damit machen wir es uns zu leicht. Im Beruf handeln wir nicht im Spiel, sondern „in echt“ – wie im Thriller, wenn es heißt: „Okay, wir gehen rein.“

Besser gleich alles rausholen

Stellen wir uns doch der unbekannten Situation so souverän wie möglich. Um im entscheidenden Ernstfall zu performen, gibt es einen „Trick“, der fast genauso gut ist, wie den Ernstfall selbst zu nutzen: gewissenhafte Vorbereitung und eine Generalprobe. Denn Üben im stillen Kämmerlein hilft auch; das Wiederholen, Memorieren, Sprechen vorm Spiegel oder auch das Schreiben, Umschreiben und Umformulieren. Das ist allemal besser, als sich nicht oder nur minimal vorzubereiten und sich aufs Learning by doing rauszureden. Wenn Sie also mit Ihrem Lieblingsverlag oder Ihrer bevorzugten Buchhandlung anbandeln möchten, dann legen Sie sich vorher ein Übungsszenario zurecht und suchen Sie sich einen Sparringspartner. Proben Sie den Ernstfall und verspielen Sie keine Chancen in unserer schönen Branche.