Verleger

Wolfgang Tenzler ist tot

20. Januar 2025
Redaktion Börsenblatt

Maxie Wander, Stefan Heym, Günter de Bruyn: Die Liste der Schriftsteller:innen, die Wolfgang Tenzler von 1968 bis 1990 als Leiter des Buchverlags Der Morgen verantwortete, ist groß. Am 13. Januar ist er im Alter von 94 Jahren gestorben.

Am 22. November 1930 im sächsischen Aue geboren, arbeitete Wolfgang Tenzler nach dem Abitur 1950 als Hauer und Geophysiker in der Wismut AG in Oberschlehma. Von 1952 bis 1957 studierte er an der Friedrich-Schiller-Universität Jena Philosophie und Kunstgeschichte, 1967 wurde er an der Martin-Luther-Universität Halle zum Dr. phil. promoviert.

Nach Zwischenstationen als Journalist bei der Thüringischen Landeszeitung in Erfurt und Leiter der Pressestelle der Liberaldemokratischen Partei Deutschlands wurde er 1968 als Leiter des Buchverlags Der Morgen berufen, den er bis zu seiner Auflösung 1990 erfolgreich führte.

Verlag Der Morgen

Verlegerische Schwerpunkte des 1958 gegründeten Verlage waren neben deutschsprachiger und ausländischer Belletristik der Gegenwart und des kulturellen Erbes Literatur zur Zeitgeschichte, Biographien, Memoiren, politische Monographien, Sachbücher sowie politische Literatur. Insgesamt veröffentlichte der Verlag Werke von insgesamt 1.700 Autor:innen, darunter Stefan Heym, Maxie Wander und Hans Dietrich Genscher, Jens Sparschuh, Heinz Knobloch, Gerhard Wolf und Hedda Zinner.

Ein Höhepunkt der Verlagsgeschichte war die Veröffentlichung von Maxi Wanders "Guten Morgen, du Schöne“ im August 1977, das sich zum Longseller bis in die Gegenwart entwickelt hat. Das Buch, in dem Wander Frauen mit ganz unterschiedlichen Berufen, Bildungsvoraussetzungen und aus allen Generationen interviewte, wurde im Erscheinungsjahr allein in der DDR 60.000-mal verkauft. Es war in der DDR, aber auch in der Bundesrepublik als Lizenzausgabe bei Luchterhand äußerst erfolgreich und erfuhr mehrere Neuauflagen, Übersetzungen, etwa 600 Theaterinszenierungen und mehrere episodische Verfilmungen.

Durch das persönliche Engagement von Wolfgang Tenzler konnte ab Anfang der 1970er Jahre auch der in der DDR lange Jahre verfemte Schriftsteller Stefan Heym wieder eine verlegerische Heimat finden. So erschienen im Buchverlag Der Morgen zwischen 1972 und 1990 von Heym u.a. die Romane "Der König David Bericht" (1973), "Kreuzfahrer von heute" (1983), "Ahasver" (1988), "Collin" (1990), "Schwarzenberg" (1990).

Mit der Reihe Märkischer Dichtergarten leistete der Verlag einen wichtigen Beitrag zur Neurezeption der literarischen Romantik in der DDR. Die Buchreihe mit Werken von Dichtern und Dichterinnen des 18. und 19. Jahrhunderts aus der Mark Brandenburg und Berlin. Sie wurde von Günter de Bruyn und Gerhard Wolf begründet und erschien in den Jahren von 1980 bis 1997.

Eigene Veröffentlichungen

1977 veröffentliche Wolfgang Tenzler als Herausgeber den Band "Meine süße Augenweide“, in dem 50 deutsche Dichter über ihre Erlebnisse mit Malern und Malerei sprechen und so ein facettenreiches Bild vom Leben und Werk europäischer Künstler wie Raffael, Michelangelo, Rembrandt, Ruysdael, Watteau, Delacroix, C.D. Friedrich, Menzel und Turner entstehen lassen. Quasi als Fortsetzung erschien 1982 "Über die Schönheit hässlicher Bilder“. Diese Sammlung vereint Stimmen von 80 deutschsprachigen Schriftstellern, Dichtern und Kunstpublizisten zur modernen Malerei (1880 – 1933) und eröffnet einen Einblick in die problemreichen Beziehungen zwischen Künstlern und Künsten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert.

1990 wandelte die Treuhandanstalt den Buchverlag in die Morgenbuch Verlags GmbH um. Später wurde der Verlag an die Verlagsgruppe Spiess in Berlin veräußert. Noch bis 1999 erschienen unter dem Label Morgenbuch Bücher. Der Morgenbuchverlag ging mit der Verlagsgruppe Spiess zu Beginn des Jahres 2010 in die Insolvenz.

Das Archiv des Buchverlags Der Morgen steht heute in der Universität Leipzig für Forschung und Recherche zur Verfügung.