Die Zahlen von Media Control belegen endlich, was schon lange geahnt, aber nicht (mehr) ausgesprochen wurde: Die unabhängigen, kleinen Buchhandlungen sind deutlich wichtiger für so manchen Verlag, als Vertriebsstrategien derzeit abbilden. Sie sind attraktive, weil authentische Orte.
Menschen werden in Zukunft Umsätze für bestimmte dingliche Produkte vermehrt und, irgendwann, steht zu vermuten, ausschließlich an solche Orte tragen, an denen sie Dialog und Austausch, Gespräch und Zuwendung erfahren. Warum sonst sollten sie ihren digitalen Kokon verlassen?
Auch das wird der ehemalige Börsenvereinsvorsteher Gottfried Honnefelder gemeint haben, als er in seiner Rede zur Eröffnung der Buchhändlertage schon 2004 sagte: "Von denen, die Bücher machen, erwartet der Leser, dass sie die kulturelle Funktion des Buches durch schöpferische Fantasie in Produktion, in Präsentation und Vertrieb erhalten." Und weiter: "Die Buchkultur ist in ihrer ganzen Breite – von der Überlebenshilfe bis zur Wissensvermittlung und zur Unterhaltung – nicht unabhängig zu denken von der Wertschätzung des Kulturgutes Buch."
Kunden, vulgo Menschen, verlangen auch vom Buchhandel Haltung – das Dröhnen der Beliebigkeit wird leiser. Aus der einst so häufigen "Verkaufshilfe" sollte wieder der Buchhändler werden, die Beratungsqualität wird zunehmen. Die Lust auf den Dialog mit dem Kunden ist ebenso gefordert wie die Neugier auf Bücher und Inhalte, Autoren und Themen. "Kundenbindung" könnte man das nennen – Passion ist schöner.
Haltung und Empathiefähigkeit, mit der ein jeder sein Geschäft betreibt, sind wichtiges Fundament der möglichen Zukunft. Ja, das hatten wir schon mal. Aber einen anderen Weg als zurück nach vorn zu alten = neuen buchhändlerischen Tugenden (freilich: mit neuen Mitteln) wird es nicht geben.
Es gibt Buchhandlungen, die das immer geblieben sind: Besondere Orte kultureller Begegnung, an denen wir Menschen treffen, die lieben, was sie tun.
Diese Buchhandlungen sind gut aufgestellt für eine Zukunft, in der Kultur und Sinnsuche, Welterfahrung und Herzensbildung eine gesellschaftliche Renaissance erleben, eine Renaissance, die, wenn wir ins Land blicken, sichtlich begonnen hat.
Diese Renaissance hat viel zu tun mit der vollzogenen Spaltung der Gesellschaft, die wir auf Jahre nicht werden beheben können: In jene 80 Prozent, die eine offene Republik wollen, die für Europa sind und die die in den letzten Jahrzehnten gewonnenen Freiheiten nicht aufgeben wollen. Und in jenen Teil, den wir hier nicht weiter definieren müssen. Es liegt auf der Hand, aus welcher Gruppe die "wildesten Leser" kommen: Ohne Neugier auf die Welt und ihre ungeheure Vielfalt braucht man den Kosmos Buch nicht.
Jede Buchhandlung kann heute, einfacher und stärker noch als früher, ihre eigene "Community" bilden, ihre eigene Gemeinde, ihren Freundeskreis. Ob im Stadtteil oder als übergeordneter Knotenpunkt, auch im Internet. Doch je größer die digitale Welt wird, desto größer wird der Wunsch, dann, wenn man aus ihr hinaustritt, echte, authentische Menschen zu treffen, Gemeinsamkeiten zu suchen – sich zusammenzutun, vielleicht bedrängt von der Welt drumrum.
Der Buchhändler bleibt in der Erwartung seiner alten und neuen treuen Kunden der Entdecker, das oft geliebte Trüffelschwein für ihre Buchgelüste; getrieben von Lust, Neugier und Hingabe, kann er seine individuelle Empfehlungsqualitität ausprägen. Und seine Kunden werden ihm Aufmerksamkeit - und Umsatz - schenken.
Das nämlich – die Persönlichkeit des Handels, seiner Orte, seiner Mitarbeiter – ist der zentrale Vorteil des unabhängigen Sortiments gegenüber "Kette" und "Onlineritis". Ein Vorteil, der sich nun in Zahlen dokumentiert, und manchen Verlag zumindest zu einem Moment des Nachdenkens über seine Vertriebsstrategien bewegen sollte.
Zumal, das muss noch gefragt werden: Liegt für die Verlage ein Segen darin, ihre Abhängigkeiten von Filialisten weiter zu erhöhen? Lohnt sich das, wenn diese bei einigen Titeln zwar mehr Exemplare – mit erhöhten Rabatten und berstenden »Werbekostenzuschüssen« – einkaufen dafür aber tendenziell immer mehr Bücher zu "Weglasstiteln" erklären?
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es fehlt nur der Hinweis auf ein wichtiges Desiderat:
Dass die Einkaufshoheit auch bei den Ketten wieder in den Filialen angesiedelt sein möge.
wir werden sehen, ob die Verlage dies einmal beherzigen und ob die Umsatzrückgänge bei den Filialisen mit noch mehr Nippes kompensiert werden können.
vielen Dank für Ihre zusammenfassenden Worte einer Geschichte, die einige aus unserer Branche eventuell erahnt, aber leider nicht mehr auszusprechen gewagt haben. Angesichts dieser Sache umgibt uns hier alles andere als ein Siegergefühl, dafür eher ein Gefühl der Trauer darüber, dass viele dies noch nicht mitbekommen haben.
Wir als kleine und unabhängige Buchhandlung in Köln fühlen uns nicht erst durch diese Zahlen bestätigt, denn bestätigt fühlen wir uns durch die Zahlen, die wir hier vor Ort seit Jahren tatsächlich machen – und die sind gut.
Als Buchhändler mit dreißigjähriger Berufserfahrung habe ich viele Ideen und Neues an mir vorüberziehen sehen, nach den noch goldenen 90ern alles an Entwicklungen in dieser Branche immer offen und gespannt aufs Neue mitgemacht, vieles am jeweiligen alten und neuen „Beratersprech” dazu teils erstaunt zur Kenntnis genommen. Aber ein Ding aus meinem Ausbildungsbetrieb A.J. Buchladen Neusser Straße ging mir nie aus dem Kopf: Das sind in der Tat die Punkte der Haltung und der Empathie in Verbindung mit einer Wirtschaflichkeit - ja, sehr offensichtlich eine alte Tugend…
Wenn sich die wirtschaftliche Verwertbarkeit u.a. dieser Punkte bei den (großen) Verlagen rumspräche, wenn daraus bei den (großen) Verlagen in dieser Hinsicht notwendige Einsichten einkehrten, wenn Herr Busch und Konsorten einfach mal etwas weniger den persönlichen Weltmeister rauskehrten, dafür im Sinne Jochen Mendes wieder mehr den eigenen Mitarbeiterinnen vertrauten – dann, ja dann wäre für das Produkt Buch in Konkurrenz zu Netflix etc. für uns alle schon sehr viel getan und gewonnen.
Und um das, was seitens der (großen) Verlage den Filialisten oder amazon, ob mit oder ohne WKZ über das Spartenpapier hinaus (weiß eigentlich noch jemand, was das ist?) in die hintere Körperöffnung geschoben wird – darum wissen wir hier sehr genau. Aber eventuell agieren kleine Buchhandlungen ja in Zukunft auch diesbezüglich selbstbewusster und selektiver?
Wohlan, es sei...
Jens Bartsch
Buchhhandlung Goltsteinstraße - Köln