Deutscher Verlagspreis 2025

Gedichte, die einer schrieb, bevor er im 23. Stock einen Verlag gründete

16. Oktober 2025
Nils Kahlefendt

Stehauf in Halle 4: In Frankfurt wurde, wohl nicht zum letzten Mal, der Deutsche Verlagspreis vergeben, Konkursbuch, März und Unrast räumten je 50.000 Euro ab. Kulturstaatsminister Weimer outete sich als in der Wolle gefärbten Indie-Verleger. 

Wolfram Weimer, früher Indie-Verleger, heute Kulturstaatsminister

Damals, im AfE-Turm an der Senckenberganlage, diesem Monster des Brutalismus, beschloss Wolfram Weimer, einen eigenen Verlag zu gründen. Doch nicht Bücher waren die Geschäftsidee.

„Wie macht man ein kleines Vermögen?“, so lautet eine im Literaturbetrieb beliebte Scherzfrage. Die Antwort: „Man nimmt ein großes Vermögen und gründet einen Verlag.“ Als der März Verlag 2023 mit dem Deutschen Verlagspreis ausgezeichnet wurde, wollte er sich vom Preisgeld einen Band leisten, in dem Barbara Kalender und Richard Stoiber ihre Lieblings-Kolleginnen und –Kollegen erzählen lassen, was sie dazu bewogen hatte, sich auf das Wagnis eines Buchverlags einzulassen. Mit „7 Gründe, einen Verlag zu machen“ (2024) wurde das Projekte aufs Schönste umgesetzt. Mit der Frage, wie alles anfing, hatte auch der versierte Moderator Thomas Böhm einen Hebel gefunden, eine naturgemäß sperrige Veranstaltung wie die Verleihung des Deutschen Verlagspreises (besser: der Verleihung von 80 Deutschen Verlagspreisen in einem überschaubaren Zeitfenster) ein menschliches Antlitz zu geben.

Der erste (und wenn wir uns recht erinnern: auch der Einzige), der diese Frage in gebührender Ausführlichkeit beantwortete, war Kulturstaatsminister Wolfram Weimer, dessen Haus das ausgereichte Geld auch heuer zur Verfügung stellte. Womit wir im Grunde ein neues Format des Börsenblatts einführen müssen, das man, in Anlehnung an Train- oder Planespotting, als Weimerspotting bezeichnen könnte. Denn der Minister nutzte sein Rederecht, um uns, in Abweichung vom Manuskript, Aufklärung über seine erste eigene Verlagsgründung zu geben. Es handelt sich hierbei nicht um die 2012 – gemeinsam mit seiner Frau Christiane Goetz-Weimer – vorgenommene Gründung der Weimer Media Group, sondern um einen Vorgang, der sich 20 Jahre zuvor und nur einen Pistolenschuss von der Messehalle 4.0 entfernt zugetragen haben soll. Damals saß der Student Weimer im 23. Stock des – 2014 gesprengten – „Politologenturms“ der Frankfurter Goethe-Universität und schrieb Gedichte, die niemand lesen wollte. Stamm-Follower unseres neuen Formats erinnern sich an die „Schmalspur-Rilke“-Episode, mit der der Minister die gestrige Buchmesse-Eröffnung bereicherte. Damals, im AfE-Turm an der Senckenberganlage, diesem Monster des Brutalismus, beschloss Weimer, einen eigenen Verlag zu gründen. Doch nicht Bücher waren die Geschäftsidee:  Weimer wollte „Dichtung in Dosen“ packen und verkaufen, das Stück zu DM 5. „Es war kläglich, ich bin gescheitert.“    

Moderator Thomas Böhm steuert den Applausmarathon

Vor zwei Stunden hat der Mann aus dem Weißen Haus seine Leute losgeschickt, um mich wegen der Eröffnungsrede zu schelten – deshalb muss ich eher gehen, um die Debatte zu vertiefen.

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer

Der Mann hat seinen Weg im Journalismus gemacht, der Rest ist Geschichte. Heute findet der Minister einen Verlagspreis für kleinere Verlage, für eine Kultur, die sich nicht Big Tech zu Füßen wirft, einen Preis „in dieser Stadt, meiner Stadt, der Stadt der Demokratie“, aller Ehren wert. „Ich kann Ihnen versprechen, er wird heute nicht zum letzten Mal verliehen werden.“ Weimer verließ die Preisverleihung eher als geplant, weil auch im Weißen Haus mittlerweile dem Weimerspotting nachgegangen wird. Der frühere US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, hat die Äußerungen des Kulturstaatsministers über amerikanische KI-Unternehmen zur Buchmesse-Eröffnung heftig kritisiert. Auf X schrieb Grenell, „einer der vertrautesten Berater des deutschen Bundeskanzlers“ habe US-Tech-Unternehmen öffentlich angegriffen. „Das ist heute etwas hochgekocht“, so Weimer, „vor zwei Stunden hat der Mann aus dem Weißen Haus seine Leute losgeschickt, um mich zu schelten – deshalb muss ich eher gehen, um die Debatte zu vertiefen.“ Zur (vor allem vom populistischen Nachrichtenportal „Nius“ seit Tagen forcierten) Kritik an Preis und Preisträgern meinte der Minister, dass man um diesen oder jenen Einzelfall streiten könne – „aber dass der Raum breit ist, dass wir bunt sind, dass wir einer Jury vertrauen, dass ist Teil einer Kultur des Respekts, des Liberalismus.“

Im Frankfurt Studio in Halle 4 wurde nun ein Ritual „märchenhaft oft durchgespielt“ (Böhm), das wir schon aus den letzten Jahren kennen – der „Frankfurter Applausmarathon“, im Fachjargon „Stehauf“ genannt. Je ein undotiertes Gütesiegel für Kerber, Mare und Wallstein, der mit 30.000 Euro dotierte Nachhaltigkeitspreis ging an den vor fünf Jahren gegründeten Kinderbuchverlag CalmeMara. Die mit je 50.000 Euro ausgestatteten Spitzenpreise gehen nach Tübingen, Berlin und Münster: Was Claudia Gehrke seit 1978 gestaltet, so die Jury, besinne sich auf die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „Konkurs“ – ein Zusammenlaufen, ein Aufeinandertreffen. „Das Programm des Konkursbuchverlags sprüht vor Lust und übt sich in verlegerischer Vielfalt.“ Jörg Schröders März Verlag wurde nach turbulenten Jahrzehnten von Barbara Kalender und Richard Stoiber „im Geist des Gründers in die Gegenwart geführt“. Der Unrast Verlag schließlich, vor 36 Jahren aus der Taufe gehoben, hat es bis heute auf 528 Titel gebracht – „von antifaschistischer und feministischer Gesellschaftstheorie bis zu internationaler Belletristik und Graphic Novels. Wie sagte Wolfram Weimer so schön in Richtung der Preisträger: „Unser ganzes Milieu, unsere geistige Integrität, lebt von Menschen wie Ihnen.“ Hans Rosenthal würde sagen: Das war Spitze!