Politische Arbeit auf der Buchmesse

Die Kunst der klugen Gespräche

14. Oktober 2022
von Sabine Cronau und Torsten Casimir

Buchmesse in Kriegs- und Krisenzeiten: Welche Botschaften sendet der Börsenverein an die politischen Gäste in Frankfurt? Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs und Hauptgeschäftsführer Peter Kraus vom Cleff über Kostenstress und Sorgfaltspflichten. 

Peter Kraus vom Cleff und Karin Schmidt-Friderichs

Die kommende Buchmesse ist für Sie beide etwas Besonderes: Für Sie als Vorsteherin, Frau Schmidt-Friderichs, ist es die erste Messe ohne Corona-Einschränkungen, für Sie, Herr Kraus vom Cleff, die erste als Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins. Worauf freuen Sie sich?
Karin Schmidt-Friderichs: Auf gelebte und geteilte Buchbegeisterung! In diesem Jahr herrscht wieder annähernd Vor-Corona-Feeling, ich freue mich darauf, neue Kontakte zu knüpfen und alte zu vertiefen – und darauf, dass sich Menschen in ein Buch verlieben und Verlage und Agent:innen spontan eine Lizenz kaufen. All das kriegen wir digital nicht annähernd so hin wie analog.
Peter Kraus vom Cleff: Da kann ich nur zustimmen. Die Buchmesse ist »back on track«. Was die Kolleg:innen der Buchmesse mit dem durch die Restrukturierung ausgedünnten Team auf die Beine gestellt haben, verdient große Anerkennung. Ich freue mich, die Messe aus meiner neuen Position heraus zu erleben, vor allem auf viele Gespräche mit Politiker:innen und Mitgliedern. 

Die Messe steht im Zeichen des Ukraine-Kriegs und der Energiekrise. Wird es deshalb auch eine schwierige Messe?
Schmidt-Friderichs: Natürlich werden die aktuellen Krisen auf den Podien eine Rolle spielen. Das ist ja gerade die Stärke der Buchmesse, eine Diskursplattform für die Themen zu bieten, die die Gesellschaft bewegen! Aber ich glaube nicht, dass sich diese wie eine bleierne Last über die Hallen legen. Auch in anderen Krisenzeiten, etwa nach dem 11. September 2001, hatten wir wichtige, politisch relevante Messen. Gerade in Zeiten von Krieg und Spaltung ist die Buchmesse als Ort des friedlichen, demokratischen Austauschs wichtig. Ich setze darauf, dass wir den Ukraine-Krieg, die Proteste in Iran und viele andere Themen in Frankfurt intensiv diskutieren werden.

Wie ist der Börsenverein diesmal vorbereitet auf die Debatten um Diversität, Antirassismus und Antidiskriminierung, die seit Jahren das Messegeschehen begleiten?
Schmidt-Friderichs: Börsenverein und Buchmesse verurteilen jede Form von Rechtsextremismus, Rassismus und Diskriminierung. Und Sicherheit hat bei einer so internationalen Veranstaltung wie der Frankfurter Buchmesse immer höchste Priorität. Wir haben in den vergangenen Monaten viele Gespräche mit unterschiedlichen Gruppen geführt, unter anderem mit Schwarzen, queeren, jüdischen Kulturschaffenden. Dabei haben wir viel dazugelernt. Uns ist noch bewusster geworden, wie wichtig es für uns und für die gesamte Gesellschaft ist, sich  mit dem Thema Antidiskriminierung auseinanderzusetzen.  
Kraus vom Cleff: Wir greifen mögliche Debatten proaktiv auf, indem wir ein umfangreiches Programm zu politischen und gesellschaftlichen Themen anbieten, etwa im Frankfurt Pavilion. Außerdem haben wir mit dem Awareness-Team eine Anlaufstelle geschaffen für alle, die sich auf der Messe diskriminiert fühlen. Durch den Code of Conduct, den wir im Vorfeld formuliert haben, verpflichten sich Messebesucher:innen mit dem Kauf eines Messetickets dazu, allen Gästen respektvoll zu begegnen. Wichtig ist, dass wir miteinander reden – und nicht nur übereinander in der jeweiligen Filter-Bubble. 

Karin Schmidt-Friderichs

Wenn der Börsenverein einen Vorschlag macht, kann die Politik davon ausgehen, dass er Hand und Fuß hat.

Karin Schmidt-Friderichs

Trotzdem könnte die Debatte um rechte Verlage wieder Wellen schlagen….
Kraus vom Cleff: Die Messe hat eine Monopolstellung. Daher gilt juristisch, dass wir alle Verlage zulassen müssen, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Dass das auch für Konflikte sorgen kann, liegt auf der Hand und gilt nicht nur für die Präsenz rechter Verlage. Ein Beispiel: Den Kolleginnen und Kollegen aus der Ukraine, die zur Messe kommen, mussten wir erklären, warum auch Exilrussen eingeladen sind. Das ist für sie nicht ganz einfach zu verstehen. 
Schmidt-Friderichs: Natürlich können wir nicht ausschließen, dass es auch in diesem Jahr wieder Diskussionen geben wird. Diesem Dialog stellen wir uns, werden erklären, warum wir was tun, aber auch zuhören. Ich stelle mir immer die Frage: Was wäre denn die Alternative zum Gesetz als klarer Linie? Ein Messedirektor, der entscheidet, wer ausstellen darf und wer nicht? 

Auf der Messe werden viele Politiker:innen zu Gast sein, von Innenministerin Nancy Faeser bis Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Was sind die wichtigsten Botschaften, die der Börsenverein bei diesen Besuchen transportieren will? 
Kraus vom Cleff: Wir werden deutlich machen, dass die Branche zwar gut durch die Corona-Jahre gekommen ist, dass wir aber mit Blick auf rasant steigende Strom- und Energiepreise dringend Hilfe brauchen – zum einen durch kurzfristige Entlastungen für kleine und mittlere Unternehmen bei den Energiekosten, zum anderen durch langfristige Förderung. Dazu gehören die im Koalitionsvertrag vereinbarte strukturelle Verlagsförderung, die Unterstützung von Kulturveranstaltungen und Leseförderaktionen im Buchhandel und eine Senkung des Mehrwertsteuersatzes auf null Prozent bei vollem Vorsteuerabzug. 

Bei dieser langen Wunschliste müssen Sie die Politik gewissermaßen »druckbetanken«. Haben die Entscheider:innen in Berlin angesichts der Vielfachkrisen überhaupt ein offenes Ohr dafür?
Kraus vom Cleff: Ich verfolge mit großem Respekt, unter welchem Druck Politiker:innen im Moment Entscheidungen treffen müssen. Uns ist es 
wichtig, Begegnungen zu schaffen, die empathisch und nachhaltig sind. 
Schmidt-Friderichs: Unsere Aufgabe ist es, bei den Rundgängen mit der Politik die faszinierende Geschichte unserer Branche zu erzählen – und was wir für die Kultur, für die Bildung, für die Stabilität der Demokratie leisten. Und damit ja auch für die Zukunfts­fähigkeit der Gesellschaft. 

Der Bundesverband Druck und Medien findet starke Worte, wenn es um die Lage der Branche geht. »Wir sind mittlerweile an einem Punkt angelangt, an dem wir aufpassen müssen, dass das Printgeschäft angesichts der dramatischen Ver­teuerungen überhaupt noch rentabel ist«, so Präsident Wolfgang Poppen Ende August. Würden Sie das so unterschreiben?
Schmidt-Friderichs: Gerade als Verlegerin kann ich da nur sagen: 
Diese Befürchtungen sind angesichts der immensen Kostensteigerungen absolut nachvollziehbar. Deshalb müssen wir alles dafür tun, um hier gegenzusteuern. Denn obwohl wir uns digital stark weiterentwickeln, bleibt das Printgeschäft für uns als Branche zentral. Und wir sind davon überzeugt, dass auch die Gesellschaft nicht auf gedruckte Bücher verzichten kann. 

Wir werden deutlich machen, dass die Branche kurzfristige Entlastung braucht – aber auch langfristige Förderung.

Peter Kraus vom Cleff

Im Vergleich zu Mahnrufen anderer Verbände tritt der Börsenverein vergleichsweise leise auf. Warum? Bei manchen Mitgliedern kommt die Botschaft an: Der Verband tut hier nichts für mich.
Kraus vom Cleff: Stromkosten, die um 300 Prozent steigen, Druckkosten, die 50 Prozent über Vorjahresniveau liegen: Buchhandlungen und Verlage stehen vor großen ökonomischen Herausforderungen. Das ist natürlich Stress pur. Trotzdem setzt der Börsenverein in der politischen Arbeit seit vielen Jahren lieber auf kluge Gespräche als auf lautstarke Forderungen – und er ist damit immer gut gefahren. 
Schmidt-Friderichs: Wir nehmen die Kritik unserer Mitglieder selbstverständlich sehr ernst. Neben vielen Gesprächen, die wir in Berlin führen, bietet sich jetzt auf der Buchmesse eine gute Gelegenheit, unsere Positionen und Forderungen deutlich und klar an die Politik zu adressieren, zumal die Politik dort sehr präsent sein wird. Was uns zeigt, wie wichtig wir als Wirtschafts- und Kulturbranche genommen werden.

Ihnen beiden ist auch das Thema Nachhaltigkeit sehr wichtig. Rückt es zwangsläufig in den Hintergrund, wenn alle sparen müssen?
Kraus vom Cleff: Ich bin eher chancen- als problemorientiert – und eine große Chance sehe ich zum Beispiel in der Zusammenarbeit von Libri und Umbreit beim Bücherwagendienst: 
Das spart Kosten – und leistet gleichzeitig einen Beitrag zur Nachhaltigkeit. Das eine zahlt aufs andere ein. Auf der Messe fällt der Startschuss für die 
IG Nachhaltigkeit, die umweltfreundliche Blaupausen für alle in der Branche entwickeln und genau diesen »circle of life« deutlich machen soll.
Schmidt-Friderichs: Wenn wir weiterhin die junge Generation für unsere Branche gewinnen wollen, dann werden wir um nachhaltiges Wirtschaften nicht herumkommen. Junge Menschen wählen ihre Arbeitgeber 
sehr kritisch aus. Sie wollen wissen, ob sie auf ihre Werte einzahlen. Nach­haltigkeit ist also auch hier eine Zukunftsinvestition. Es geht um langfristiges Denken statt um kurz­fristige Zahlen.

Stichwort Zahlen: Weil der Buchhandel durch die Preisbindung für 
Bücher keinen eigenen Gestaltungsspielraum bei der Preispolitik hat, wird die Forderung nach Mindest­preisen wie in Österreich laut. Wie steht der Börsenverein dazu?

Kraus vom Cleff: Es gibt Mitglieder, die in Österreich aktiv sind und dort Erfahrung mit dem Mindestpreismodell gemacht haben. Sie haben die Idee an uns herangetragen. Eine Taskforce im Ausschuss für den Sortimentsbuchhandel sammelt gerade Argumente dafür und dagegen. Alle Überlegungen stehen unter der Prämisse, dass die Preisbindung dadurch nicht gefährdet wird. Es geht jetzt darum, Für und Wider abzuwägen.
Schmidt-Friderichs: Wir wollen das Thema rational und sachlich diskutieren. Die zentrale Frage muss doch sein: Könnten Mindestpreise dabei helfen, die gegenwärtigen Probleme zu lösen? Das gilt es herauszufinden.

Die Zeit drängt. Kann es sich der Verband leisten, in so einer Frage lange abzuwägen?
Kraus vom Cleff: Der Börsenverein pflegt eine Form repräsentativer Demokratie – und kein Plebiszit. Damit sind nun einmal längere Abstimmungsprozesse verbunden. Wir haben eine Sorgfaltspflicht, selbst im Spannungsfeld wirtschaftlicher Nöte. 
Schmidt-Friderichs: An der Spitze eines Drei-Sparten-Verbands kann man nicht impulsiv und kurzfristig agieren. Das ist eines meiner wichtigsten »Learnings« aus den vergangenen drei Jahren. Das hat auch Vorteile: Denn wenn der Börsenverein einen Vorschlag macht, dann kann die Politik davon ausgehen, dass er Hand und Fuß hat. Wir schulden den Mitgliedern diese Umsicht, selbst wenn sie sich temporär darüber ärgern sollten. Sonst gehen wir letztlich nicht sorgsam mit ihren Belangen und ihren Beiträgen um.

Erfolgreiche Überzeugungsarbeit hat die Branche bei der strukturellen Verlagsförderung geleistet. Wie weit ist die Umsetzung?
Kraus vom Cleff: Wir diskutieren gerade mit dem Kulturressort der Bundesregierung, wie die Förderung ausgestaltet werden könnte – die dringender ist denn je. Dabei arbeiten wir eng mit der Kurt Wolff Stiftung zusammen, um das Beste für die Verlage zu erreichen. 
Schmidt-Friderichs: Und um das an dieser Stelle auch mal zu sagen: Der Börsenvereinsvorstand und das gesamte Team im Haus des Buches arbeiten mit unvorstellbarer Disziplin und ohne Blick auf den Feierabend an diesem Projekt und vielen weiteren Baustellen.