Herbsttagung der IG Ratgeber

"Wir sehen uns an der Rolltreppe"

19. Oktober 2021
von Sabine Cronau

Die IG Ratgeber im Börsenverein will mit einer Marktforschungsstudie genauer untersuchen, wie die Warengruppe Ratgeber von Endkunden wahrgenommen wird – und hat Best Practice-Beispiele gesammelt, wie sich das Ratgebergeschäft weiterentwickeln lässt. Ergebnisse der Herbsttagung, vor einer ganz besonderen Buchmesse.

Wer kommt zur Messe nach Frankfurt? Diese Frage von Nicole Schindler (Eugen Ulmer Verlag) stand am Anfang der IG-Ratgeber-Tagung, die wieder als Zoom-Konferenz stattfand. Die Folge der digitalen Blitzumfrage: Spontane analoge Verabredungen an der Rolltreppe – für alle, die in diesem Jahr nicht mit einem eigenen Stand in den Messehallen vertreten sind. Die IG Ratgeber plant aber bereits fürs nächste Jahr und will in Frankfurt mit dem Team der Buchmesse über die künftige Platzierung der Ratgeberverlage und einen möglichen Gemeinschaftsstand 2022 sprechen.

Marktforschungsstudie nimmt Formen an

Außerdem auf der gemeinsamen To-Do-Liste der IG Ratgeber: Eine Marktforschungsstudie, die ausleuchten soll, was Verbraucher*innen mit dem Begriff „Ratgeber“ verbinden: „Wir nutzen den Begriff ganz selbstverständlich – aber ist er noch zeitgemäß? Und ist er Endkunden überhaupt bekannt?“, so frech-Verleger Michael Zirn, Mitglied im Sprecherkreis der IG Ratgeber, über das Ziel der Studie, die hier Licht ins Dunkel bringen soll.

Kontakte zu zwei Marktforschungsinstituten mit unterschiedlichen Ansätzen wurden bereits geknüpft und werden jetzt unter der Koordination von Michael Zirn weiter vorangetrieben. Interessenten für die Finanzierung einer solchen Studie gibt es offenbar genug, wie ein kleines Stimmungsbild der IG Ratgeber bei der Tagung gezeigt hat.

Wir nutzen den Begriff Ratgeber ganz selbstverständlich – aber ist er überhaupt noch zeitgemäß?

Michael Zirn, Mitglied im Sprecherkreis der IG Ratgeber

Aktuelle Marktzahlen

Alles in allem können die Ratgeberverlage positiv auf die Pandemie-Monate zurückblicken. Das machte Michael Zirn anhand von Marktzahlen deutlich (Metis / Media Control, Basis abweichend zum Branchen-Monitor Buch).

  • Die Umsätze der Warengruppe 4 liegen von Kalenderwoche 1 bis Kalenderwoche 40 um 4,6 Prozent über dem Vergleichszeitraum des Vorjahres (alle Warengruppen: plus 5,67 Prozent).
  • Nahezu alle Unterwarengruppen landen gegenüber 2020 im Plus (abgesehen von den Segmenten Lebenshilfe und Recht, Beruf, Finanzen, die leichte Verluste melden).
  • Besondere Freude macht der Branche das umsatzstarke Thema „Essen & Trinken“ (plus 8,7 Prozent). Zirn: „Nach einem leichten Tief hat sich die Warengruppe seit 2019 wieder nach vorne gearbeitet - und der Trend scheint anzuhalten“.
  • Gut entwickeln sich aber auch die Themenfelder „Hobby, Haus“ (plus 5,2 Prozent), „Natur, Garten, Heimtier“ (plus 7,2 Prozent), „Fahrzeuge, Flugzeuge, Schiffe“ (plus 10,1 Prozent, vorangetrieben durch den Fahrrad-Boom).

 

Best-Practice-Beispiele aus den Arbeitsgruppen

Die Ratgeberverlage gehen also positiv gestimmt in die Weihnachtssaison (mehr dazu auch im Appell „Dem Ratgeber gehört die Zukunft“, der hier zu finden ist). Verbessern lässt sich das Geschäft trotzdem. In welchen Vertriebsformen steckt noch Potenzial, wie kann das Marketing optimiert werden, auf welchen Wegen lassen sich Content und Expertise über das Buch hinaus vermarkten? Damit haben sich drei Arbeitsgruppen befasst, die bei der Herbsttagung Ergebnisse und Best-Practice-Beispiele präsentierten. Hier in aller Kürze:

AG 1: Welche Vertriebsformen sind die richtigen?

Nahezu alle Ratgeberverlage würden ihren Vertriebsschwerpunkt beim Buchhandel und den Barsortimenten setzen, so Folkert Roggenkamp (Deutsche Bibelgesellschaft), der sich mit Nicole Schindler (Ulmer) und Christian Wagner (Stiftung Warentest) um das Thema Vertrieb gekümmert hat: Andere Vertriebswege, etwa via Social Media oder Nebenmärkte, würden „irgendwie auch noch miterledigt.“ Das Dilemma: Das Potenzial für den margenstarken Direktvertrieb werde dadurch nicht voll ausgeschöpft – gleichzeitig aber auch der Buchhandel nicht mit der notwendigen Aufmerksamkeit betreut.

Best-Practice-Beispiele sind aus Sicht der AG:

  • Die Vertriebskooperation artfolio, die Verlage aus dem Segment Lifestyle, Essen & Trinken betreut, darunter Brandstätter und ars vivendi.
  • Der Kosmos Verlag, der seine Tier-Ratgeber auch über Raiffeisenmärkte vertreibt
  • Die Social-Media-Aktivitäten des Hädecke Verlags

Zudem lieferte die AG noch Denkanstöße für ambitionierte Zukunftsprojekte, darunter

  • die Kooperation mit einem Barsortiment, das sich durch eine besonders tiefe Auswahl und Beratungskompetenz als „Ratgeber-Barsortiment“ profilieren könnte
  • ein verlagsübergreifender „Flagshipstore“ für Ratgeber in bester Lage, gewissermaßen „à la Taschen“
  • eine Zusammenarbeit mit den Bücherwagendiensten, für den (logistisch oft aufwendigen) Verkauf auf regionalen Messen von der Fahrrad- bis zur Staudenbörse
  • die Nutzung bestehender Netze für den Ratgebervertrieb, etwa Arztpraxen, Beratungsstellen, Verbraucherzentralen.

AG 2: Wie werden sich Ratgeber perspektivisch verändern – und welche Rolle spielt dabei das Internet?

Zu diesem Thema, bei dem es um die (digitale) Weiterentwicklung und Vermarktung von Inhalten geht, präsentierten fünf Verlage ganz konkrete Beispiele aus den eigenen Häusern:

  • Hans W. Hohenester, Geschäftsführer des Schwaneberger Verlags, stellte die Datenbanklösungen vor, die sein Haus für Briefmarkensammler rund um die "Michel Kataloge" entwickelt hat. Dazu gehört die Möglichkeit, individuelle Sammelkataloge zu einem bestimmten Thema drucken zu lassen – oder Inhalte automatisiert zu übersetzen.
  • Christof Klocker, Editorial Director bei Gräfe und Unzer, präsentierte das frisch gestartete Gesundheitsportal „Vitalissimo“, das die Generation der Babyboomer mit Gratis-Inhalten und kostenpflichtigen Coachings fit halten will (mehr dazu hier im Interview).
  • Michael Zirn stellte die TOPP DIY Akademie vor, die der frechverlag im April als agiles Projekt ins Leben gerufen hat. 50 Online-Kurse mit 1.200 Kursteilnehmer*innen haben seitdem stattgefunden, zu Themen wie One Line-Zeichnen oder Makramee. Die Autor*innen halten die Kurse selber, frech stellt ihnen die Kamera-Technik zur Verfügung. Gäste bekommen ein Materialpaket und eine Videoaufzeichnung. „Wir versuchen, daraus ein Businessmodell zu entwickeln – aber spannend ist für uns auch die direkte Zielgruppenerfahrung“, so Zirn (mehr dazu hier im Interview).
  • Über die Wildbienen-Community von Ulmer informierte Antje Roth. Unter wildbienenwelt.de hat der Verlag eine Plattform aufgebaut, rund um Bienenarten, bienenfreundlichen Pflanzen und ökologische Gartengestaltung. Neben Image- und Autorenpflege gehe es auch darum, die „Themenführerschaft“ zu besetzen und bei entsprechenden Google-Anfragen ganz oben gelistet zu werden, so Roth. Über die Community werden aber auch Bücher und die Seminare der Ulmer-Akademie beworben.
  • Seine Produktfamilie rund um den „Lebensfreude-Kalender“ entwickelt der PAL Verlag konsequent weiter. Vor 10 Jahren ist dem Longseller zum Beispiel ein „Online-Adventskalender“ zur Seite gestellt worden – der 2020 wiederum als "Lebensfreude Adventskalender" den Weg zurück in die Printwelt gefunden hat und in diesem Jahr für den Kalenderpreis der Buchmesse nominiert ist (mehr dazu hier). Außerdem entwickelt PAL-Verleger Carlo Günther gerade eine „Lebensfreude“-App. Unter dem Motto „Entdecke, sammle und teile Deine Glückmomente“ soll sie mit Tipps, Musik, Podcasts und Videos zum Alltagsbegleiter auf dem Handy werden (mehr zur Digitalstrategie des PAL Verlags hier).

AG 3: Wie viel Marketing können und müssen sich Ratgeberverlage leisten?

Auch dazu gab es eine Arbeitsgruppe, die allerdings noch weitere Informationen zum Thema sammeln will. Angedacht ist eine Umfrage unter 10 Buchhandlungen und 10 Verlagen, die Erfahrungen mit klassischen Marketingmaßnahmen (etwa Anzeigen) und digitalen Instrumenten (Newsletter, Social Media) bündeln und gewichten soll.

Problem Rabattspreizung

Am Ende der Tagung referierte Börsenvereinsjustiziar Christian Sprang zum Streitthema Rabattspreizung. Er beantwortete individuelle Fragen, wies aber auch noch einmal darauf hin, wie wichtig es ist, dass sich möglichst viele Mitglieder an der laufenden Konditionen-Umfrage des Börsenvereins beteiligen (mehr dazu hier). Und dass sich Verlage wie Buchhandlungen im Konfliktfall an die neue Ombudsstelle zur Preisbindung wenden können, die bei den Preisbindungstreuhändern der Verlage eingerichtet worden ist (mehr dazu hier).