Offener Brief an Bundesregierung

Netzwerk Autorenrechte fordert gesetzliche KI-Regulierung

21. November 2023
von Börsenblatt

In einem offenen Brief fordert das Netzwerk Autorenrechte die Bundesregierung auf, ihre Haltung zur (Nicht-)Regulierung von KI zu überdenken. Die Initiative kritisiert, dass Deutschland künftig auf eine "obligatorische Selbstregulierung" statt auf eine gesetzliche Regulierung setzen wolle.

Hintergrund des offenen Briefs ist die veränderte Position der deutschen Bundesregierung zur geplanten KI-Grundverordnung (AI Act). Schien es bisher Konsens zu sein, auf europäischer Ebene eine gesetzliche Regulierung künstlicher Intelligenz durchzusetzen, scheren jetzt Deutschland (mit Digitalminister Volker Wissing und Wirtschaftsminister Robert Habeck), Frankreich und Italien aus. An die Stelle der ursprünglich geplanten gesetzlichen Regulierung solle nun eine "obligatorische Selbstregulierung" treten, so das Netzwerk Autorenrechte unter Berufung auf das Internet-Nachrichtenportal Euractiv.

Von der Bundesregierung erwarten die insgesamt 16 im Netzwerk verbundenen Autoren- und Übersetzerverbände, "sich gegen massive schädliche Auswirkungen von unregulierten KI-Anwendungen, die auf Diebstahl basieren, zu positionieren, Deutschlands Bürger und Urheber vor Datenklau und Desinformation zu schützen und sich auf Werte wie Vertrauen, Demokratie und Gerechtigkeit zu besinnen".

 

Lesen Sie hier den offenen Brief im Wortlaut:

Sehr geehrter Bundeskanzler Olaf Scholz,
Sehr geehrter Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck,
Sehr geehrter Bundesminister für Digitales und Verkehr Volker Wissing,
sehr geehrte Repräsentanten Deutschlands in der EU:

Mit großer Bestürzung nehmen wir, die Mitglieder des Netzwerk Autorenrechte, das sämtliche Autoren und Übersetzer des Buchsektors aus 15 Verbänden der D-A-CH-Region repräsentiert, die neue Haltung Deutschlands zur geplanten KI-Grundverordnung zur Kenntnis, die den zuvor erreichten Konsens der EU-Mitgliedsstaaten zur gesetzlichen Regulierung von KI und insbesondere der Auskunftspflichten und Risikoverantwortung für Entwickler generativer Informatik unterläuft.

Laut den Berichten von Euractiv am 19.11.2023 will Deutschland unter der Meinungsführung des Digitalministeriums gemeinsam mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, und zusammen mit Frankreich und Italien statt einer gesetzlich verpflichtenden Regulierung auf „obligatorische Selbstregulierung“ drängen. Sanktionen für Sicherheitsverletzungen, wie etwa Urheberrechts- und Datenschutzverletzungen, mangelnde Kennzeichnung und Unterlaufen ethischer Standards, sind in dieser verstörend kultur- und bürgerfeindlichen Haltung der drei Länder nicht vorgesehen.

Herr Bundeskanzler, Herr Vizekanzler, Herr Bundesminister:
Wir appellieren an Sie, diese Haltung zugunsten vermeintlicher Wirtschaftsvorteile und zuungunsten nachhaltiger gesetzlicher Regeln aufzugeben. Ihre Haltung transportiert ein fatales Signal an alle Kulturschaffenden, an alle Bürgerinnen und Bürger: Dass Sie bereit sind, ausgerechnet jene technischen Unternehmen zu schützen, die sich für die Entwicklung ihrer Profite von Kulturwerken und Bürgerdaten illegitim bedienen – anstatt jene, ohne deren Arbeitsleistung und Privatdaten sämtliche Basismodelle und generativen Anwendungen gar nicht existierten.

Die Folgen Ihrer Haltung wären verheerend. Generative Informatik bedroht bereits jetzt zahlreiche Arbeitsplätze. Bereits jetzt haben sich zahlreiche schädigende „Geschäftsmodelle“ durch KI-Produkte, die sich in den Markt drängen, und eine Zunahme von Desinformation etabliert. Es wurde nachgewiesen, dass die Grundlagen für generative KI aus nicht rechtmäßig erworbenen Werken bestehen, deren Urheber dieser Nutzung weder zugestimmt haben noch darüber informiert wurden. Ohne gesetzliche Regelung beschleunigen generative Technologien die Ausweitung von Werks- und Datendiebstahl, sie vertiefen Diskriminierung, Informations-Verfälschung inklusive Reputationsschädigung, und leisten massiv der Klimaschädigung Vorschub. Je mehr generative Produkte gesetzlich dereguliert den Markt erreichen, desto irreparabler wird der gesamtgesellschaftliche Vertrauensverlust in Texte, Bilder und Informationen.

Wir appellieren an Sie, sich auf die Werte von Vertrauen, Demokratie und Gerechtigkeit zu besinnen. Wir stehen an der Schwelle einer Evolution, an einem der entscheidendsten Momente der künftigen Geschichte. Regulieren wir Maschinen, die sich von Menschen bedienen, um Menschen zu ersetzen – oder wählen wir die kurzsichtige Ideologie des Geldes.

Wir hoffen auf Ihr politisches Rückgrat, das Richtige zu tun.

Berlin, den 21. November 2023