Matthias Ulmer sieht buchhändlerische Vielfalt in Gefahr

"Wir müssen den Kleinen die Margen verbessern"

11. März 2021
von Börsenblatt

„Es hat keine Logik, den Großen mehr zu geben als den Kleinen“: In der Debatte um Rabattspreizungen nimmt der Verleger Matthias Ulmer die Verlage in die Pflicht. Jetzt sei die Zeit zum Handeln da.

Die Monate der Pandemie haben die Strukturen im Buchhandel durcheinandergewirbelt. Digitale Angebote gewinnen eine Dynamik, die man schon nicht mehr zu hoffen wagte. Gedruckte Bücher scheinen als krisenfester Phönix jedem Lockdown zu widerstehen. Unabhängige Buchhandlungen erfahren Solidarität und Zuspruch von ihren Kunden, worauf sie jahrelang im Kampf gegen das Internet vergeblich gewartet hatten. Kleine Buchhandlungen glänzen mit fantasievollen Marketingaktivitäten und widerlegen alle Urteile über Trägheit und Schläfrigkeit, die man über sie gefällt hatte. Das stationäre Sortiment gewinnt trotz Lockdowns Marktanteile zurück. Die Marketingpower der großen Ketten scheint in dieser Phase ein zu grobes Werkzeug gegenüber der lokalen Verankerung der Kleinen. Und der Börsenverein scheint das Thema Rabattspreizung offensiv angehen zu wollen. 

Wird nach dem Sturm eine Branche auferstehen, die durch ihre Vielfalt gestärkt dem Strukturwandel trotzt? Welche Prognosen kann man treffen? Ein Schlüsselbegriff für die Bewertung ist wohl die Liquidität. Wird der Strukturwandel durch eine Liquiditätskrise befördert oder sogar umgekehrt? 

Was Schulden wiegen

Ich denke, dass aktuelle Liquiditätsprobleme im Handel weniger aus der Corona-Krise resultieren, sondern ältere Quellen haben. Corona verstärkt auch hier das Gute und das Schlechte. Entscheidend ist die Verschuldung. Und diese ist umso höher, je jünger eine Buchhandlung beziehungsweise ihre Inneneinrichtung ist. Deshalb ist die Verschuldung tendenziell in den in jüngerer Zeit expandierenden Ketten größer als in alten, angestammten Sortimenten. Natürlich kann man einen Kaufpreis durch eine Beteiligung finanzieren oder einen Gläubiger mit Anteilen bezahlen. Aber auch die ­wollen über kurz oder lang Rendite haben, was die Finanzierungsmöglichkeiten dann langfristig belastet.  Verschuldungen, die aus hohen Investitionen der vergangenen Jahre oder zu hohen Mieten stammen, wiegen schwerer als die Verschuldung durch nicht abgeflossene Warenbestände. Das spricht dafür, dass Ketten stärker betroffen sind als unabhängige Sortimente.

Kleine Buchhandlungen scheinen sich auch agiler durch die Krise bewegen zu können. Da ist viel Selbstausbeutung dahinter. Positiv kann man das aber auch Engagement nennen, das mit der Sinngebung zusammenhängt. Es ist leichter, sich für eine kleine Buchhandlung zu zerreißen als für die Filiale einer Kette. Zusätzlich wird in dieser Krise den Ketten auch das zur Last, was sonst ihre Stärke ist: die Investitionen in gemeinsame Strukturen. Wenn man in guten Zeiten von den Synergien profitiert, dann wiegen in schlechten Zeiten die Kosten des Overheads und gemeinsamer Logistik, Software und ­Marketinginvestitionen schwer wie Blei. In Ketten können so Klumpenrisiken entstehen, die alle gemeinsam runterziehen.

Zusätzlich wissen wir alle nicht, wie sich die gesellschaftlichen Werte, das Lese- und Kaufverhalten, die Trends, die Ästhetik durch die Krise verändern. Vielleicht ist die topmoderne Gestaltung von vor der Krise ein befremdliches Statement danach. Traditionelle Werte, Substanz statt Schein bestimmen vielleicht den Konsum danach. Nimmt man all das zusammen, dann stehen die Chancen gut, dass die Krise die unabhängigen Buchhandlungen und damit die Vielfalt im Buchmarkt nicht hinwegfegt, sondern sie gestärkt aus dieser Zeit hervorgehen.

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