Schwedische Akademie hat entschieden

Literaturnobelpreis 2025 geht an László Krasznahorkai

9. Oktober 2025
Redaktion Börsenblatt

Als sich die Flügeltür des Blauen Salons öffnete und der ständige Sekretär der Schwedischen Akademie vor die Presse trat, waren alle Ohren gespitzt: "Den Literaturnobelpreis 2025 erhält der ungarische Autor László Krasznahorkai", verkündete Mats Malm. Update: Ein Statement von S. Fischer ist da.

 

László Krasznahorkai

Für visionäres Werk ausgezeichnet

Um 13 Uhr war es in Stockholm soweit, die Gespräche der versammelten Presse verstummten. Gespannte Stille. Im feierlichen Ambiente des Blauen Salons der Schwedischen Akademie trat deren ständiger Sekretär Mats Malm ans Mikrophon und gab den Namen des Literaturnobelpreisträgers 2025 bekannt: László Krasznahorkai. Den Livestream verfolgten in der Spitze über 27.000 Personen.

Damit wurde 23 Jahre nach der Auszeichnung von Imre Kertész wurde erneut ein ungarischer Autor mit dem Literaturnobelpreis geehrt.

László Krasznahorkai wird "für sein fesselndes und visionäres Werk, das inmitten apokalyptischen Schreckens die Kraft der Kunst bekräftigt" ausgezeichnet. Er sei ein großer epischer Schriftsteller in der mitteleuropäischen Tradition, die sich von Kafka bis Thomas Bernhard erstreckt und durch Absurdismus und groteske Übertreibungen gekennzeichnet ist. Aber er habe noch mehr zu bieten und blicke auch nach Osten, indem er einen kontemplativeren, fein abgestimmten Ton anschlägt, heißt es in der Begründung. Steve Sem-Sandberg, Mitglied der Schwedischen Akademie (Stuhl 14), stellte anschließend den Preisträger und insbesondere sein Werk näher vor, lobte ihn für seine "außergewöhnliche sprachliche Vitalität", für seinen "kraftvollen, musikalisch inspirierten epischer Stil", die "große lyrische Schönheit" seiner Werke.

"Ich bin absolut überrascht"

In einen Anruf des Nobelkomitees, der später am Tag auf X veröffentlicht wurde, sagte Krasznahorkai, der sich gerade in Frankfurt am Main aufhielt, in einer ersten Reaktion, er sei "absolut überrascht" den Literaturnobelpreis zu bekommen – aber "glücklich und stolz". Es freue ihn, in der Linie der bisherigen Preisträger und Preisträgerinnen zu stehen, dankt seinen Leser:innen. Lesen beflügele die Fantasie, das versuche er mit seinen Werken zu unterstützen. "Das Lesen von Büchern gibt uns mehr Kraft, diese sehr schwierigen Zeiten auf der Erde zu überstehen", so Krasznahorkai.  

 

László Krasznahorkai

Zum Preisträger:

Krasznahorkai wurde 1954 in Gyula (Ungarn) geboren, studierte zunächst Jura in Szeged und dann Ungarisch und Literatur in Budapest. Er begann in den späten Jahren der ungarischen Volksrepublik zu publizieren. Sein früher Ruhm im In- und Ausland ist eng verknüpft mit der filmischen Zusammenarbeit mit Béla Tarr (u. a. "Sátántangó" und "Die Werckmeister Harmonien" nach "Az ellenállás melankóliája"/"Die Melancholie des Widerstands"). Nach 1989 folgten Reisen und längere Aufenthalte in Deutschland (u. a. Berlin), New York, China und Japan. Seine Reisen durch Ostasien, insbesondere durch China und die Mongolei, haben mehrere seiner Werke stark beeinflusst. 1993 verschaffte ihm der SWR-Bestenliste-Preis für "Melancholie des Widerstands" viel Aufmerksamkeit. Krasznahorkai wurde mit dem National Book Award 2019 for Translated Literature ausgezeichnet. 2021 folgte der Österreichische Staatspreis für Europäische Literatur sowie 2024 der spanischen Literaturpreis Prix Formentor.

Zentrale Romane und Prosawerke sind "Satanstango", "Die Melancholie des Widerstands", "Krieg und Krieg", "Seiobo auf Erden", "Baron Wenckheim kehrt heim" sowie essayistische und kürzere Formen.

Seine Figuren sind oft gescheiterte Intellektuelle, Seher, Spinner, Heilsverkünder und Melancholiker. Räume sind entvölkerte Dörfer, provinzielle Städte, trostlose Ränder des Spätsozialismus – später auch Museen, Tempel, Metropolen. 

Ausführlich wird sein Werk in einer Biobibliography auf der Website des Nobel Prize vorgestellt. Sein erster Roman "Sátántangó" (deutsch: "Satantango"), der 1985 veröffentlich wurde, sorgte in Ungarn für öffentliches Aufsehen und verhalf dem Autor zum Durchbruch, heißt es darin etwa. Der Roman schildere in eindringlichen Worten das Leben einer Gruppe mittelloser Bewohner einer verlassenen Kolchose auf dem ungarischen Land kurz vor dem Fall des Kommunismus. Stille und Vorfreude herrschen vor, bis der charismatische Irimiás und sein Kumpel Petrina, die alle für tot gehalten hatten, plötzlich auftauchen. Für die wartenden Bewohner scheinen sie Boten der Hoffnung oder des Jüngsten Gerichts zu sein. Das satanische Element, auf das der Titel des Buches anspielt, zeige sich in ihrer Sklavenmoral und in den Täuschungsmanövern des Betrügers Irimiás, die zwar wirksam, aber auch hinterlistig sind und fast alle in einen Knoten verwickeln. Alle Figuren des Romans warten auf ein Wunder, eine Hoffnung, die von Anfang an durch das Kafka-Motto am Anfang des Buches zunichte gemacht werde: "In diesem Fall werde ich das Ding verpassen, indem ich darauf warte." Der Roman wurde 1994 von dem Regisseur Béla Tarr verfilmt. Mit einer Laufzeit von 450 Minuten gilt er als einen der längsten jemals gedrehten Kinofilme. Er taucht regelmäßig in Listen der besten Filme aller Zeiten auf. 

Bibliografie der deutschen Ausgaben: 

Die Werke des Nobelpreisträgers László Krasznahorkai sind auf Deutsch bei S. Fischer erschienen. Lieferbar sind diese zehn Titel: 

  • "Im Wahn der Anderen" 
    Ü: Heike Flemming, S. Fischer, 2023, 256 S., 38 Euro 

  • "Herscht 07769: Florian Herschts Bach-Roman"
    Ü: Heike Flemming, S. Fischer, 2021, 416 S., 26 Euro 

  • "Baron Wenckheims Rückkehr" 
    Ü: Christina Viragh, S. Fischer, 2018, 496 S., 25 Euro 

  • "Der Gefangene von Urga" 
    Ü: Hans Skirecki, Fischer Taschenbuch, 2015, 208 S., 20 Euro 

  • "Die Welt voran" 
    Ü: Heike Flemming, S. Fischer, 2015, 416 S., 21,99 Euro 

  • "Seiobo auf Erden" 
    Ü: Heike Flemming, Fischer Taschenbuch, 2012, 464 S., 22 Euro 

  • "Melancholie des Widerstands" 
    Ü: Hans Skirecki, Fischer Taschenbuch, 2011, 452 S., 17 Euro 

  • "Satanstango" 
    Ü: Hans Skirecki, Fischer Taschenbuch, 2010, 320 S., 17 Euro 

  • "Im Norden ein Berg, im Süden ein See, im Westen Wege, im Osten ein Fluss"
    Ü: Christina Viragh, Fischer Taschenbuch, 2007, 154 S., 14,99 Euro 

  • "Krieg und Krieg" 
    Ü: Hans Skirecki, Fischer Taschenbuch, 2006, 320 S., 9,95 Euro 

Oliver Vogel

"Keiner hat die Welt so beschrieben wie László Krasznahorkai"

"… da verstummte plötzlich der Psalm, er schloss vor Schmerz und vor Schwindel die Augen und verstand, dass sie in Wahrheit nicht sahen, eher hörten, wie auch er von da an, und von da an alle drei schon blind und auf ewig, wie ruhig, lieblich und glucksend das Wasser ein paar Schritte von ihnen entfernt plätscherte in der auf dem Land lastenden gnadenlosen Nacht." (László Krasznahorkai)

Keiner habe die Welt so beschrieben wie László Krasznahorkai, nämlich so, wie sie vielen von uns möglicherweise gerade erscheine, schreibt Oliver Vogel, Verleger von S. Fischer, in einem Statement zum Literaturnobelpreis 2025 (vorangestellt ist das obige Zitat): "Er erzählt, was fehlt. Er erzählt, was fehlt, an Menschlichkeit, an Trost, an Glauben an das Heilende, auch in der Kunst. All das ist verlorengegangen im letzten Jahrhundert, und dieses Fehlen bemerken wir in unserer Gegenwart vielleicht so schmerzhaft, wie schon lange nicht mehr. Und gerade das, dass wir es merken, ist vielleicht der Trost, die leise Hoffnung, die uns bleibt – die jedenfalls das große Werk dieses großen Schriftstellers vorantreibt. Ein Werk, das von seiner Konsequenz getragen wird und von einer leidenschaftlichen Sorge.

Passt da das Wort Freude? Denn ja, es ist eine ungeheure Freude. Und was für eine ungeheure Freude das ist, dass László Krasznahorkai in diesem Jahr den Nobelpreis für Literatur bekommt."

Eine Umfrage auf der Nobelpreis-Website will wissen, wer schon einmal etwas von Krasznahorkai gelesen hat. Von 13.060 teilnehmenden Personen bis Samstagvormittag antworteten 11 Prozent mit "Ja" und 89 Prozent mit "Nein".

Preisverleihung:

Das Preisgeld beträgt seit 2023 11 Millionen Schwedische Kronen (umgerechnet rund 1 Million Euro), eine Million mehr als in den Jahren davor. Die Auszeichnung wird am Nobelpreistag, den 10. Dezember, von Schwedens König Carl XVI. Gustaf in der Stockholmer Konzerthalle überreicht.

Wie wird der Literaturnobelpreis vergeben?

Schriftliche Vorschläge für den Preisträger, die Preisträgerin des Jahres müssen bis zum 31. Januar beim Nobel Committee der Schwedischen Akademie eingehen. Einem Vorschlag sollte eine Begründung beigefügt werden, muss aber nicht. Es ist nicht möglich, sich selbst als Kandidat oder Kandidatin vorzuschlagen, d. h. man kann sich nicht um den Nobelpreis bewerben. In der Regel gibt es jedes Jahr etwa 350 Vorschläge. Dem Nobel Committee 2025 gehören an: Anders Olsson (Vorsitzender), Ellen Mattson, Steve Sem-Sandberg, Anne Swärd und Ann-Katrin Palm sowie als assoziiertes Mitglied Mats Malm (Ständiger Sekretär der Schwedischen Akademie).

Im Frühjahr prüft das Nobel Committee die Vorschläge und legt der Schwedischen Akademie im April eine vorläufige Kandidatenliste mit etwa 20 bis 25 Namen zur Genehmigung vor. Vor der Sommerpause der Akademie wird die Liste durch das Nobelkomitee in der Regel auf etwa fünf Namen reduziert. Im September / Oktober trifft die Akademie dann ihre Wahl, die im Oktober bekannt gegeben wird. Damit die Wahl gültig ist, muss ein Kandidat / eine Kandidatin mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen der Schwedischen Akademie erhalten.

Die Schwedische Akademie hat 18 Mitglieder. Eine Position ist zur Zeit nicht besetzt (Stuhl 18 ist vakant). Zur Liste der Akademie-Mitglieder geht es: hier.

Zahlen zum Literaturnobelpreis:

  • 118 Auszeichnungen wurden von 1901 bis 2025 vergeben. Siebenmal gab es keinen Literaturnobelpreis: 1914, 1918, 1935, 1940–1943. 2018 wurde die Preisvergabe ausgesetzt, ein Jahr später dann aber nachgeholt.
  • 4 Mal gab es zwei Preisträger:innen: 1904 (Frédéric Mistral, José Echegaray y Eizaguirre), 1917 (Karl Adolph Gjellerup, Henrik Pontoppidan), 1966 (Shmuel Yosef Agnon, Nelly Sachs) und 1974 (Eyvind Johnson, Harry Martinson)
  • 122 Personen haben bis 2025 einen Literaturnobelpreis erhalten: Liste der Preisträger:innen
  • 41 Jahre alt war der bislang jüngste Preisträger: Rudyard Kipling, der 1907 ausgezeichnet wurde.
  • 87 (bei der Preisverleihung im Dezember: 88) Jahre alt war die bislang älteste Preisträgerin: Doris Lessing, die 2007 ausgezeichnet wurde.
  • 18 Frauen erhielten bislang erst den Literaturnobelpreis – als erste Selma Lagerlöf 1909. Auf sie folgten: Grazia Deledda (1926), Sigrid Undset (1928), Pearl Buck (1938), Gabriela Mistral (1945), Nelly Sachs (1966; geteilter Preis, die andere Hälfte ging an Shmuel Yosef Agnon), Nadine Gordimer (1991), Toni Morrison (1993), Wislawa Szymborska (1996), Elfriede Jelinek (2004), Doris Lessing (2007), Herta Müller (2009), Alice Munro (2013), Svetlana Alexievich (2015), Olga Tokarczuk (2018), Louise Glück (2020), Annie Ernaux (2022) und Han Kang (2024).
  • 2 Preisträger haben die Auszeichnung abgelehnt: Boris Pasternak 1958 ("Erst angenommen, dann von den Behörden seines Landes (Sowjetunion) veranlasst, den Preis abzulehnen") und Jean Paul Sartre 1964 (lehnte den Preis ab, weil er konsequent alle offiziellen Ehrungen abgelehnt hat).
  • 1931 ging der Preis posthum an Erik Axel Karlfeldt. Seit 1974 sehen die Statuten der Nobelstiftung vor, dass ein Nobelpreis nicht posthum verliehen werden kann, es sei denn, der Tod ist nach der Bekanntgabe des Nobelpreises eingetreten.

(Quelle: https://www.nobelprize.org)