Interview: Fachausschüsse zur Situation der Branche

"Sprechen Sie mit uns!"

23. September 2022
von Torsten Casimir und Christina Schulte

Die Fachausschüsse im Börsenverein setzen sich dafür ein,dass die Belange der Branche gerade jetzt von der Politik gesehen werden. Ein Interview mit den drei Vorsitzenden – über Lobbyarbeit in Krisenzeiten und schwierige Kalkulationen für 2023.
 

Nadja Kneissler, Stefan Könemann und Christiane Schulz-Rother

Die Buchbranche ist relativ gut durch die Corona-Krise gekommen. Dafür trifft nun die Energiekrise den zentralen Rohstoff: das Papier. Werden alle Bücher wie geplant erscheinen können, Frau Kneissler – oder droht Ungemach im Weihnachtsgeschäft?
Nadja Kneissler: Die Entwicklung macht uns momentan große Sorgen. Die Produktion für das Weihnachts­geschäft ist zwar bei den großen Häusern weitestgehend durch, die meisten Bücher sind in Druck. Aber extrem hohe Remissionen im Frühjahr 2022 und um 30 bis 50 Prozent gestiegene Produk­tionskosten belasten uns. Insbesondere für die kleinen, unabhängigen Verlage, die zum Teil ihre finanziellen Reserven während der Corona-Jahre aufgebraucht haben, sind die fortgesetzten Preis­steigerungen in der Produktion und gleichzeitige Um­satz­rückgänge in diesem Jahr schon jetzt existenzgefährdend. – Bauchschmerzen bereitet uns Verlagen auch der Blick auf Frühjahr, Sommer und Herbst 2023. Denn es geht nicht nur um Papierpreise, sondern auch um zusätzlich steigende Kosten in der Druckindustrie und im Zwischenbuchhandel sowie um die steigenden Energiekosten, Mietkosten und Personalkosten im eigenen Unternehmen. Keiner kann prognostizieren, wie sich die Situation im Energiesektor entwickelt, ob es staatlich verordnete Einsparmaßnahmen geben wird, ob es zu Insolvenzen bei Zulieferern kommt und ob dies alles zu Produktionsengpässen bei Verlagen führt. Klar ist, dass wir schon jetzt bei der Kalkulation für 2023 je nach Genre mit um zehn bis 30 Prozent höheren Kosten rechnen. Das heißt, dass manche Titel selbst bei geplanter Preiserhöhung nicht mehr ­kostendeckend realisiert werden können. Das kann zu einer Einschränkung der Titelvielfalt und auch zu Insolvenzen führen. Um das zu vermeiden, appellieren wir gemeinsam mit der Papier-, Druck- und Zeitschriften­industrie nachdrücklich an die Politik, auch die Buchbranche bei allen Über­legungen zu Unterstützungsmaßnah­men mit auf der Agenda zu haben. Außerdem sind Förderungen für die Branche wie die Verlagsförderung, die im Koalitionsvertrag angekündigt ist, wichtiger denn je. Der Börsenverein diskutiert mit dem Kulturressort der Bundesregierung intensiv, wie eine solche Förderung ausgestaltet werden könnte. Dabei tauschen wir uns auch mit der Kurt Wolff Stiftung aus, um gemeinsam das für die Verlage ­Bestmögliche zu erreichen.

Nadja Kneissler (Delius Klasing), Vorsitzende des Ausschusses für Verlage

Wir stehen regelmäßig bei den politischen Entscheidern auf der Matte.

Nadja Kneissler, Delius Klasing

Nadja Kneissler

Von der Lobbyarbeit des Börsen­vereins, die Sie hier ansprechen, dringt wenig nach außen. Manche Ihrer Mitglieder wünschen sich, dass der Verband lauter auftritt.
Kneissler: Wir machen wirklich viel Lobbyarbeit, auch wenn wir nicht mit jedem Thema lautstark an die Öffentlichkeit gehen. Wir stehen regelmäßig bei den politischen Entscheidern auf der Matte, sprechen mit ihnen und schildern unsere Probleme. Allein, aber auch gemeinsam mit anderen Verbänden. Mit Birgit Reuß und ihrem Team vom Berliner Büro des Börsenvereins sind wir vor Ort bestens vertreten und vernetzt. Aber dass unsere Mitgliedschaft sich oft ein lauteres Auftreten des Verbands wünscht, ist durchaus nachvollziehbar. Wir als Vorstand haben verstanden, dass wir die Sorgen unserer Mitglieder nach außen klarer kommunizieren und auch öffentlich deutlicher Stellung beziehen müssen. 
Stefan Könemann: In unseren Ausschüssen sprechen wir regelmäßig 
über eine Reduktion der Mehrwert­steuer auf null Prozent in Deutschland bei vollem Vorsteuerabzug, wie es die EU jetzt grundsätzlich möglich macht. Der Verband ist sehr aktiv bei dieser Frage und legt gegenüber der Politik dar, dass andere Länder, wie etwa Frankreich, in dieser Frage schon weiter sind.
Kneissler: Wichtig ist für uns an dieser Stelle auch die Vernetzung mit internationalen Verbänden und Organisatio­nen. Man erhält dadurch viele Impulse und kann sich länderübergreifend austauschen. 
Christiane Schulz-Rother: Ich lade auch alle Mitglieder ein, sich an ihren Verband zu wenden, wenn sie Fragen oder Probleme haben. Dafür sind wir da. Sprechen Sie mit uns!

Die Krisenlage trifft alle Sparten mit unterschiedlichen Aspekten. Die Logis­tik leidet unter Personalnot und hohen Spritpreisen. Müssen Barsortimente und Verlagsauslieferungen künftig Abstriche beim Service machen, um über die Runden zu kommen, Herr Könemann?
Könemann: In Bezug auf das Weihnachtsgeschäft bin ich, genau wie Frau Kneissler, verhalten optimistisch. Die Verlagsauslieferungen sind gut gefüllt. Energieausfälle sollen nach Einschätzung der Experten, wenn sie denn kommen, erst im späteren Teil des Winters kommen. Besonders schlimm wäre das für Verlagsauslieferungen, die eigene Kraftwerke mit Gas betreiben. Wenn unsere Branche nicht als systemrelevant eingestuft würde, würden dort buchstäblich alle Räder stillstehen. Für all das eine genaue Prognose abzugeben, ist sehr schwierig. Ein Dilemma für uns als Barsortiment besteht darin, dass die Dienstleistung, die uns wirklich Geld kostet, unsere Kerndienstleistung ist: die schnelle Belieferung der Buchhandlungen. Da können wir nur schwer Abstriche machen. Eine Verringerung des Belieferungsrhythmus würde dazu führen, dass unsere Kunden an allen Ecken und Enden ihre Wettbewerbs­fähigkeit verlieren – auch und gerade gegenüber dem Onlinehandel. 

Und wie steht es mit den anderen Dienstleistungen der Barsortimente?
Könemann: Bezüglich unserer Nebendienstleistungen werden wir alles auf den Prüfstand stellen, vor allem aber die Remissionen. Bei den Remissionen leisten wir uns trotz stark steigender Transportkosten den Luxus, große Mengen an Büchern nicht nur hin-, sondern auch wieder zurückzutrans­portieren. Ein Irrsinn! Auch wenn Sie jetzt meinen, der Zwischenbuchhandel legt immer die gleiche Platte auf (lacht): In diesen Zeiten ist es natürlich doppelt ärgerlich, doppelt zu transportieren. Wie Sie wissen, werden derzeit besonders hohe Mengen remittiert. Dafür müssen wir günstigere Lösungen finden, wie eine Ausweitung der körperlosen Remission.


Sind Kooperationen im Zwischenbuchhandel das Gebot der Stunde, um Leistungen sicherzustellen und Gebührenerhöhungen zu vermeiden?
Könemann: Das Thema wird sicherlich in allen Unternehmen diskutiert. Umbreit und Libri haben sich beim Bücherwagendienst bereits zusammengetan. Wir haben gesehen, wie durch den Rückgang der Zahl der Buchhandlungen die Touren länger werden. Das führt zu Schwierigkeiten bei der Einhaltung der Zeitfenster. Der Wagen muss früher losfahren, hat dann möglicherweise nicht die gesamten Bestellungen an Bord, kommt eventuell in den Berufsverkehr und dann nicht mehr rein in die Fußgängerzonen. Je nachdem, wohin sich die Kosten entwickeln, wird man über all das nachdenken müssen. Aber in einer Branche, in der Groß- und Einzelhandel unter dünnen Margen leiden, haben wir wenig Gestaltungsspielraum.

Stefan Könemann (Könemann), stellvertretender Vorsitzender im Ausschuss für den Zwischenbuchhandel

Stefan Könemann

Wir versuchen immer wieder, die Produktivität zu steigern.

Auch der Personalmangel macht Ihnen zu schaffen. Wie gehen Sie damit um?
Könemann: Selbst in Gegenden, in denen früher Arbeitslosigkeit herrschte, ist der Arbeitsmarkt leer gefegt. Das gilt nicht nur für echte Fachkräfte, sondern auch für ungelernte Arbeitskräfte. Dazu verschärft der Mindestlohn die Situa­tion. Wenn schon ungelernte Mitarbeiter zwölf Euro pro Stunde verdienen, verlangen die gelernten Kräfte 15 oder 16 Euro und so weiter. Es entwickelt sich eine Kaskade nach oben plus Nacht- und Wochenend­zulagen. Wir versuchen immer wieder, die Produktivität zu steigern und Prozesse zu optimieren. Aber irgendwann ist auch hier das Ende erreicht.

Frau Schulz-Rother, der Buchhandel hat es ebenfalls gerade nicht leicht: hohe Heizkosten, Kund:innen, die beim Konsum auf die Bremse treten, steigende Mieten, sofern diese an die Inflationsrate gekoppelt sind. 
Wie wird sich die Situation im Buchhandel in den nächsten Monaten entwickeln?

Schulz-Rother: Wir verzeichnen bekanntermaßen seit März eine Kaufzurückhaltung, verbunden mit einem spürbaren Umsatzrückgang in der Branche. Im Moment leben wir alle von der Hoffnung, dass die Menschen trotz Krise in die Buchhandlungen kommen und Bücher kaufen. Meiner Ansicht nach sind Bücher keine Luxusgüter, sondern werden weiterhin gebraucht. Insofern bin ich verhalten optimistisch, dass sich all das noch in einem Rahmen bewegt, den wir bewältigen können. Im Herbst gibt es einige starke Titel, ich hoffe, dass die Presse breit berichtet. Und die Buchmesse findet wieder in großem Stil statt. Nicht zuletzt sind wir Buchhändler:innen sehr ideenreich und können uns hoffentlich auf unsere treuen Kund:innen verlassen, die uns die letzten zweieinhalb Jahre die Stange gehalten haben. Allerdings kaufen wir vorsichtiger ein als üblich.

Auch der Buchhandel hat Probleme mit steigenden Personalkosten beziehungsweise damit, überhaupt Mitarbeiter:in­nen zu finden. Wie packen Sie das an?
Schulz-Rother: Das ist in der Tat sehr schwierig. Wir müssen einerseits mit weniger Personal auskommen, das andererseits teurer ist. Das führt schließlich dazu, dass es mit meiner Szenario-Planung, in der ich den Anstieg der Personalkosten, eine gleichzeitige Kaufzurückhaltung von rund zehn Prozent und dazu noch gestiegene Energie- und Logistikkosten abbilde, langsam kritisch wird. Diese Situation wird sich auch so schnell nicht ändern. In Berlin etwa hat die aktuelle Buchhandelsklasse gerade einmal fünf Schüler:innen. Das fehlende Personal führt auch dazu, dass wir weniger Veranstaltungen durchführen können. 20 Schulklassen beim Welttag des Buches durch den Laden zu schleusen – dazu werden wir irgendwann schlicht und einfach nicht mehr die Kapazitäten haben, wenn die Entwicklung so weitergeht. Gleiches gilt für Lesungen, hier müssen wir uns noch stärker mit dem Marketing der Verlage verzahnen. Auf diese Themen müssen wir in den Gremien des Verbands aufmerksam machen: was es eigentlich heißt, wenn der Buchhandel die vielen kulturellen Aspekte seiner Arbeit nicht mehr stemmen kann. Leseförderung, Kulturförderung – wir müssen gegenüber der Politik klar definieren, welche Unterstützung wir benötigen, um diese Leistungen weiter erbringen zu können. Viele ältere Buchhändler:innen überlegen sich vor diesem Gesamtbild, ob sie sich das wirklich noch vier oder fünf Jahre antun oder nicht doch jetzt schon schließen sollen – ohne einen oder eine Nachfolger:in zu finden. Das wiederum dünnt dann natürlich die Buchhandelslandschaft aus.
 

Christiane Schulz-Rother (u. a. Tegeler Bücherstube in Berlin), Vorsitzende des Ausschusses für den Sortimentsbuchhandel

Christiane Schulz-Rother

Fehlendes Personal führt dazu, dass wir weniger Veranstaltungen anbieten können.

Inwieweit würden deutlich steigende Bücherpreise helfen?
Kneissler: Es ist immer einfach zu sagen: Verlage, bitte rettet das gesamte System. Aber wir Verlage können das System nicht retten, weil wir abhängig sind von der Druck- und Papierindustrie. Natürlich können wir die Preise für Bücher erhöhen und tun das auch. Gleichzeitig müssen wir aber berücksichtigen, welchen Preis die Leser:innen zu zahlen bereit sind. Erhöhen wir die Preise zu sehr, bricht das ganze System in sich zusammen und es entsteht eine brisante Situation für die gesamte Branche.
Könemann: Wenn wir in einer Zeit leben, in der die Inflation so hoch ist wie jetzt, wo fast alle Preise steigen, sollten wir nicht eine Produktgruppe davon ausnehmen. Uns allen ist klar: Wenn der Endverbraucher in existenzielle Bedrängnis kommt, wird die Bereitschaft sinken, Geld auszugeben für Dinge, die nicht überlebensnotwendig sind. Aber an dieser Stelle sind wir noch nicht. Vielleicht greift der Verbraucher ja wie in anderen Krisen auch sogar verstärkt zum Buch, beispielsweise als Geschenk zu Weihnachten.
Schulz-Rother: Wenn man im Restaurant mittlerweile acht Euro für eine Flasche Wasser bezahlt, muss auch ein gutes Taschenbuch mindestens 14 Euro kosten. Die Kunden müssen lernen, dass auch Bücher teurer werden. Wenn ein gutes Bilderbuch zum Beispiel 18 Euro kostet, wie der neue »Regen­bogenfisch«, der eine hochwertige Ausstattung hat, in der es glitzert und blinkt, kann ich das den Kunden schon vermitteln.