Wie konnten wir in diese Lage geraten?
Ganz einfach: Wir verkaufen in unserer Branche unsere tollen Produkte seit Jahren unter Wert. Die Verkaufspreise sind über alle Genres und Erscheinungsformen insgesamt zu niedrig. Die Mehrheit der Verlage, vor allem im Publikums- und Massenmarkt, kommt seit über 20 Jahren ihrer Verantwortung für eine auskömmliche Gestaltung der Preisentwicklung nicht nach. Seit mehr als zwei Jahrzehnten, etwa seit der Einführung des Euros, gleicht die Steigerung des durchschnittlichen Buchverkaufspreises nicht einmal mehr die Inflation aus. Die Preis-Hoheit (und damit auch die Verantwortung für die gesamte Wertschöpfungskette!) liegt in einem Markt mit preisgebundenen Produkten nun einmal bei den Herstellern, also den Verlagen.
Dazu kommt, dass wir in unserer Branche die Qualität und die Hochwertigkeit unserer Produkte selbst nicht genug wertschätzen – im internationalen Vergleich sind Bücher in Deutschland viel zu billig, gemessen an ihrer herstellerischen und gestalterischen Qualität (gute Papiere, lackierte und geprägte Cover selbst bei günstigen Taschenbüchern, etc.).
Ein Titel, von dem ich als Verleger*in glaube, dass er am Markt nur eine Chance hat, wenn er billiger ist als der auf dem Stapel daneben, den sollte ich vielleicht gar nicht machen…
So, wie die meisten Verlage in der Preisgestaltung zu hasenfüßig waren und sind, ist ein Großteil der Buchhändler*innen zu zögerlich, über die Sortimentsgestaltung beim Einkauf den Druck auf die Lieferant*innen zu erhöhen. Es ist der einzige Hebel, den wir haben und den sollten wir konsequent nutzen, indem wir – jede und jeder für sich – klare Preisuntergrenzen für unsere Sortimente definieren.
Zum Teil liegt dieses Zögern auf Handelsseite an etwas, das ich die „Preis-Schere im Kopf“ nenne. In unserer gesamten Branche ist den wenigsten Menschen bewusst, dass unsere Produkte von Kund*innen eher als niedrigpreisig wahrgenommen werden (z.B. im Vergleich zu einer guten Flasche Wein, einem ansehnlichen Blumenstrauß, einem Kino-Abend oder zum Essen im Restaurant), gerade im Hinblick auf den Nutzen oder das Vergnügen, das ein Buch bietet oder im Bezug darauf, was es als Geschenk hermacht. Der Großteil unserer Kund*innen hat ein höheres Einkommen als wir, also auch eine ganz andere Preissensibilität. Dass eine Buchhändlerin, die 13 Euro pro Stunde verdient, bei einem HC-Unterhaltungsroman zu 28 Euro zuckt, ist verständlich – die meisten unserer KundInnen zucken da aber keineswegs.
Die Konditionenspreizung ist natürlich ebenfalls Teil dieses Problems, und sie trifft das unabhängige Sortiment umso härter, je weniger die Preise (und damit unser Anteil am Kuchen) wachsen.
Für eine bessere Auskömmlichkeit für das stationäre Sortiment müssen also:
- die Verkaufspreise über alle Genres und alle Erscheinungsformen deutlich steigen;
- die Barsortimente auch niedrigpreisige Artikel zu regulären Konditionen listen;
- die Kolleg*innen im Handel konsequent auf Titel verzichten, die selbst gesetzte Preisgrenzen unterschreiten;
- wir uns täglich bewusst machen, dass unsere Kund*innen Geld haben – und es gern bei uns ausgeben;
- wir alle uns wieder bewusst werden, mit was für tollen, hochwertigen, „ihr Geld werten“ Produkten wir täglich umgehen;
- mehr Verlage sich konsequenter gegen unbotmäßige Forderungen großer Player positionieren.
Die IG Unabhängiges Sortiment thematisiert diese Problematik seit Jahren – und zwar sowohl an die Adresse der Verlage als auch in Richtung unserer Mitglieder. Wir fühlen uns dabei oft als „Rufer in der Wüste“. Dennoch werden wir weiter jede Gelegenheit nutzen, alle Branchenteilnehmer*innen für dieses Thema zu sensibilisieren.