Tobias Groß: Dankesrede #yeaward 2025

"Der Mut von heute ist unsere Zukunft"

19. Oktober 2025
Redaktion Börsenblatt

Tobias Groß ist der Gewinner des Young Excellence Awards 2025. Der Ausbildungskoordinator der Thalia Buchhandlungen für Leipzig und Umgebung und ehemalige Nachwuchssprecher des Börsenvereins hielt bei der Verleihung der Auszeichnung am Messedonnerstag (16. Oktober) eine beeindruckende Rede, die wir hier im Wortlaut wiedergeben. Sein Wunsch an die Branche: Ein "Mutausbruch", der sich gegen Revanchismus und Rechtsextremismus stellt.  

Tobias Groß

Tobias Groß bei der Verleihung des #yeaward25 im Buchhändlerhaus in Frankfurt am Main (im Hintergrund auf der Leinwand: Pascal Mathéus, der zu den Nominierten des Jahrgang 2025 gehört)  

Wow. Jetzt stehe ich tatsächlich das erste Mal in meinem Leben alleine auf einer Bühne und erhalte die volle Aufmerksamkeit eines Publikums. Für mich ist das ein Novum. Nachdem ich in den vergangenen drei Jahren zwar immer wieder öffentlich aufgetreten bin, gefühlt auf allen Bühnen des Buchhandels war und ich mich zu bestimmten Themen auf Podien äußern durfte, stand ich seit meinem letzten Vortrag in der Uni nicht mehr allein im „Rampenlicht“.

Und ihr kennt mich. So eine Gelegenheit nutze ich nicht nur für Dankesworte. Selbstverständlich bedanke ich mich bei allen, die mich in den letzten Jahren begleitet haben, die an meiner Seite standen und denen ich diesen Erfolg auch zu verdanken habe. Ich danke vielmals meinen Eltern, für ihre bedingungslose Unterstützung, ihre bedingungslose Liebe. Und natürlich auch meinen Mit-Nominierten. Ihr alle leistet großartiges und gebt mir sehr viel Hoffnung für die Zukunft der Buchbranche. Danke, aus ganzem Herzen. Eure Unterstützung bedeutet mir echt die Welt. Aber heute Abend werde ich keine weitere Lobeshymne auf den Buchhandel singen und erzählen, warum es für mich die tollste Branche der Welt ist. 

Wie sieht die Zukunft derjenigen aus, die auf uns folgen werden?

Seit ich für den YEA nominiert bin und ich weiß, dass ich diesen erhalten werde, beschäftigt mich eine Sache ganz besonders. Es ist das erste Adjektiv im Titel, das Wörtchen jung. Aber nicht aus Eitelkeit oder einer Sorge darüber, ob ich mit meinen 35 Jahren noch das Prädikat „jung“ verdient habe und mich so fühlen darf. Nein. Natürlich darf ich das. Doch ich mache mir große Sorgen. Um die Zukunft - die Zukunft derjenigen, die auf uns folgen werden und deren aktuelle politische Entwicklung alarmierende Blüten treibt. 

Wie ihr wisst, habe ich in meinem Leben vor dem Buchhandel etwas gänzlich anderes gemacht. Ich hatte tatsächlich vor Lehrer zu werden. Nicht aus Verzweiflung ob mangelnder beruflicher Alternativen - wenn es danach gegangen wäre, hätte ich wahrscheinlich eher Jura oder BWL studiert - aber auch nicht aus voller Überzeugung - denn dann wäre ich Architekt geworden. Aber ich habe es schon immer gemocht Dinge zu erklären, Zusammenhänge aufzuzeigen und dafür zu sorgen, dass Andere weiterkommen. Das andere von dem, was ich mache, ebenfalls profitieren können. Von daher war es für mich nur folgerichtig, dass ich eines Tages vor Schüler:innen stehen werde und dafür verantwortlich bin, dass mein Unterricht sie voran bringen wird im Leben.

Doch es kam anders. Es war kein Unvermögen meinerseits oder der Ärger über das dreigliedrige, verkrustete und zersplitterte deutsche Schulsystem, das Ungleichheiten weiterhin befördert, anstatt sie abzubauen. Der Auslöser für meinen Entschluss, eher eine Promotion an der Uni anzustreben und somit eine akademische Laufbahn zu starten, war Einschüchterung. Durch Eltern. Durch zwei Väter, deren politische Gesinnung sehr schnell deutlich wurde und die mir mit ihren Worten offen Gewalt androhten. Warum? Weil ich in meinem Unterricht an einem Gymnasium in der Sächsischen Provinz die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel und die Öffnung der deutschen Grenzen im Sommer 2015 verteidigt habe. Ja sogar ethisch-philosophisch legitimiert habe.

Katz und Maus mit Nazis spielen

Ich bin ein Nachwendekind, in Erfurt, in Thüringen geboren und aufgewachsen. Ich weiß daher, wie es ist, wenn man nach dem Besuch eines alternativen Konzertes vor Nazis davonrennen muss und mit diesen Katz und Maus spielt - auch wenn die sogenannten „Baseballschlägerjahre“ schon weit zurücklagen, war das leider viel zu oft der Fall. Ich weiß auch, was es heißt, auf offener Straße als „Schwuchtel“ oder „Homo“ bezeichnet zu werden,  weil man lange Haare hatte, nicht besonders sportlich-muskulös war und daher auch nicht den gängigen optischen männlichen Vorstellungen entsprach. Und doch war diese Erfahrung im Sommer 2015 eine Zäsur. Zu diesem Zeitpunkt habe ich endgültig realisiert, dass etwas mächtig schiefläuft. Das unsere Gesellschaft eine gefährliche Entwicklung nimmt und die dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte wieder in greifbare Nähe rücken könnten.

Die Jugend in diesem Land driftet nach rechts

10 Jahre später ist meine Befürchtung bittere Realität geworden. Es sind nicht mehr die „Baseballschlägerjahre“, vielmehr befinden wir uns heute in den „TikTok-Schlägerjahren“, wie ich es neulich in den Kommentaren einer SPIEGEL-TV-Dokumentation über diese Zeit in den 1990ern gelesen habe. Und es ist wahr. Die Jugend in diesem Land driftet nach rechts. Besonders in den Gebieten, die meine eigentliche „Heimat“ waren und bis heute sind. Im Osten Deutschlands. Hier ist es wieder angesagt Glatze und sehr kurze Haare zu tragen, 30er-Jahre Scheitel im NS-Style. Springerstiefel werden wieder mit weißen Schnürsenkeln gebunden, die Bomberjacke feiert ein Comeback. Und diejenigen, die gegen queere Rechte und CSDs  in Bautzen oder Görlitz „protestieren“, die Politiker:innen beim Anbringen von Wahlplakaten angreifen und krankenhausreif schlagen, die sich offen gegen Diversität und die Gleichheit aller Menschen stellen, werden immer jünger. Immer leichter beeinflussbarer, intoleranter und nicht mehr bereit die Meinungen Andersdenkender zu akzeptieren.

Und genau das ist es, was mir riesengroße Sorgen bereitet. Denn ich glaube nicht daran, dass diejenigen eines Tages zur Vernunft kommen und erkennen werden, was für einen großen Mist sie gebaut haben und wie kleingeistig ihr Weltbild war. Das werden leider nur die wenigsten.

Viele Menschen mit Macht haben die Jugend vergessen

Denn im Gegensatz zu den 1990er-Jahren gibt es mittlerweile eine Partei, die dieses Weltbild von gestern in die Parlamente trägt, die Revanchismus und Rechtsextremismus eine Bühne bietet und die Grenzen des Sagbaren immer weiter nach rechts verschiebt. Ja die sogar sehr bald in Regierungsverantwortung kommen könnte und in meinem Heimatbundesland bei der letzten Landtagswahl stärkste Kraft war. Deren Landeschef gerichtsfest als Faschist bezeichnet werden darf. Die einen realsatirisch anmutenden Protz in ihren Reihen hat, der uns erklären will, dass „echte Männer rechts sind.“ Warum folgen so viele - insbesondere männliche - junge Menschen diesen gefährlichen Personen? Warum ist die heutige junge Generation konservativer als alle anderen seit dem Ende der NS-Diktatur?

Viele Menschen mit Macht haben die Jugend vergessen. Haben sie während der Pandemie größtenteils allein gelassen und die Bedeutung Sozialer Netzwerke vollkommen unterschätzt. Die Neue Rechte weiß diese erfolgreich zu nutzen, die demokratische Mehrheit leider nicht. Das rächt sich bereits jetzt. Und es könnte verheerende Folgen für die Zukunft haben. Erste Auswirkungen sahen wir bereits in den Wahlergebnissen der letzten Landtags- und der Bundestagswahl, die Jugend wählte rechts. Nicht CDU/CSU, sondern die Blaufaschisten.

Es ist daher ein fatales Signal, dass eine so riesengroße Erfolgsgeschichte wie der KulturPass eingestellt und der Jugend wieder einmal das Gefühl vermittelt wird, dass sich niemand um sie kümmert. Das sie ignoriert wird und sich als Störfaktor in der Republik der Alten sieht. Statt jungen Menschen etwas zu geben und ihnen kulturell-aufklärerische Angebote zu machen, damit sie den blau-braunen Rattenfängern eben nicht ins Netz gehen, wird genau das Gegenteil gemacht. Es scheint, als wären die Verantwortlichen nur darauf aus, an den falschen Enden Kosten zu sparen. Doch an Kultur darf nicht gespart werden. Niemals. Sie ist die Keimzelle der Zivilisation, der Stützpfeiler unserer Demokratie. 

Rechtsorientierten Kampagnen nicht auf den Leim gehen

Ja, wir müssen mit den politischen Vertreter:innen zurechtkommen - aber abhängig dürfen wir uns nicht von diesen machen. Robert Habeck hat es auf dem Börsenvereins-Jubiläumskongress in Berlin bei seiner Rede klug formuliert: „[…] Es ist Ihr gutes Recht, doch widerstehen Sie dem Wunsch, eine staatliche Förderung für Ihre Branche zu fordern. […] Sie wissen nicht, wer diesen Staat führen wird.“ Er hat damit vollkommen Recht.

Die Fehler der Vergangenheit und die Anbiederung des Verbands an die nationalsozialistischen Machthaber in den 1930er-Jahren darf sich daher nicht noch einmal wiederholen. Wir dürfen uns auch heute nicht gemein mit den neuen Brandstiftern machen. Und uns auch nicht aus opportunistischen Gründen hinter irgendwelchen Deckmäntelchen verstecken und rechtsorientierten Kampagnen auf den Leim gehen, die immer wieder ein Ende der Meinungsfreiheit sehen und in den Öffentlich-Rechtlichen Medien die Vorboten einer aufkommenden links-grünen „Gesinnungsdiktatur“ vermuten. Ein altes Narrativ, eine ewig gestrige Taktik. Erschreckend, dass diese noch immer funktioniert. Mehr denn je.

Holt junge Leute in eure Unternehmen, die anders sind

Liebe Branchenmenschen. Stellt euch dagegen und seid mutig. Holt junge Leute in eure Unternehmen, die anders sind. Die Visionen haben. Die von einer besseren Zukunft träumen und nicht die Geister der Vergangenheit beschwören wollen. Die unbequem denken und deren Meinung vielleicht nicht die ökonomisch sicherste Variante ist. Die Haltung haben. Die einfach mutig sind. Die aus diesem Antrieb großartige Produkte machen. Und sich auch nicht davor scheuen, Missstände beim Namen zu nennen. Tatsächlich ist hier unsere Vorsteherin ein großes Vorbild für alle jungen Branchenangehörigen. Liebe Karin Schmidt-Friderichs, sie haben während ihrer Amtszeit in ihren Reden auf vieles von mir gesagte aufmerksam gemacht, die Branche und die Menschen außerhalb unserer Bubble immer wieder klug, pointiert und eindringlich aufgerüttelt. Sie verkörpern genau den Spirit, den unsere Branche, den wir als Zukunft des Buchhandels brauchen. Schließlich sind wir die Entscheider:innen von morgen.

Wir Buchmenschen können uns aktiv gegen die diese schon nicht mehr beunruhigenden, sondern alarmierend-gefährlichen Tendenzen und Entwicklungen stellen. Wir können Programme auf die Beine stellen und Autor:innen verlegen, deren Denke bunt, vielfältig und offen ist. Wir können Bücher in unsere Buchhandlungen holen, die sich kritisch mit unserer Zeit auseinandersetzen und über neubraune - oder wohl besser neublaue - Taten und Taktiken aufklären. Diese Bücher bewerben und offensiv auslegen, ihren Verfasser:innen eine Bühne geben. Zusammen mit ihnen an Schulen gehen.

Es ist Zeit für einen Mutausbruch

Den Angehörigen der jungen Generation das Gefühl zu geben, dass sie uns eben nicht egal sind und wir ihnen vielmehr zutrauen, die Welt zum besseren zu verändern, das ist unsere Aufgabe. Wir müssen uns deshalb umso mehr gegen die Tendenzen unserer Zeit einzusetzen und deutlich Farbe bekennen. Und nicht den Kopf in den Sand stecken aus der Befürchtung heraus, dass eine einzelne Person nichts verändern kann.

Wie hat es die von mir hoch geschätzte Ökonomin und Transformationsforscherin Maja Göpel in ihrem großartigen Buch „Werte. Ein Kompass für die Zukunft.“ so treffend formuliert? „Die Zeit, in der es eine Option gewesen sein sollte, sich lieber nicht „politisch“ einmischen zu wollen, ist definitiv vorbei. […] Sich über diese Wirkung bewusst zu werden, ist auch der erste Schritt auf dem Weg zur Selbstwirksamkeit. Wir können nur verändern, was wir erkennen – und aus veränderten Alltagsstrukturen entstehen neue Möglichkeiten.“

Liebe Branche, es ist Zeit für dich Flagge zu zeigen. Es ist Zeit für einen Mutausbruch. Es ist Zeit für deinen Mutausbruch. Denn der Mut von heute, ist unsere Zukunft. 

Ich danke euch.

Börsenblatt Young Excellence Award

Das Börsenblatt vergibt den #yeaward zusammen mit den Unternehmen der Börsenvereinsgruppe: Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Frankfurter Buchmesse, Mediacampus Frankfurt und MVB an herausragende Persönlichkeiten aus allen Bereichen der Buchbranche.

2024 ging der Börsenblatt Young Excellence Award an Helen Daughtrey (@maedelsdielesen), die den Online-Buchclub "Mädels, die lesen." ins Leben gerufen hat. Sie folgt auf die Gründerin der Buchpicker-App Valerie Hentschel (@buchpicker). 2022 erhielt die Literaturvermittlerin, Podcasterin, Bloggerin und Buchhändlerin Anne Sauer (@fuxbooks) die meisten Stimmen. 2021 siegte Tino Schlench, der sich auf seinen Kanälen als Literaturblogger (@literaturpalast) und Podcaster auf die ostdeutschen und osteuropäischen Literaturen fokussiert. In den drei vorausgegangenen Wettbewerben dominierte der Buchhandel mit den Ausgezeichneten Vera Corsmeyer (2020), Florian Valerius (2019) und Nadine Nitsche (2018).  

Alle Informationen zum Wettbewerb unter: www.young-excellence-award.de