Zur Lage des Buchhandels in der Pandemie

"Eine neue Corona-Grammatik"

7. Januar 2021
von Sabine Cronau

In der Covid 19-Krise erlebt die Buchhandlung an der Ecke eine Renaissance. Was auch daran liegt, dass sie alles tut, um die Wünsche der Kundschaft zu erfüllen. Erst recht im Lockdown. Annäherung an ein Pandemie-Phänomen - und Teil 1 eines Essays zur Corona-Lage.

 

In der Corona-Krise hat der Buchhandel gezeigt, wie viel Energie in ihm steckt. Lernhilfen und Kinderliteratur, Kochbücher und Romane, Oster- und Weihnachtsgeschenke: Das alles gibt es auch mitten im Lockdown beim stationären Sortiment, das den Laden über Bestell-, Abhol- und Lieferservices buchstäblich am Laufen hält.

Die Onlineshops und die reibungslose Logistik, mit der sich fast eine Million Produkte per Mausklick über Nacht bestellen lassen – das ist das Pfund, mit dem die Branche wuchern kann. Während der Einzelhandel jetzt laut nach Digitalisierungshilfen ruft, Mode- und Schuhhäuser sich auf eigene Faust etwas unbeholfene E-Commerce-Lösungen zurechtschneidern, schalten Buchhandlungen ganz routiniert in den Online­modus, nicht zuletzt dank der White-Label-Shops der Barsortimente. Das hat Vorbildcharakter – und der Branche letztlich den Umsatz gerettet.

Über funktionierende Onlinewarenkörbe hinaus bieten Buchhandlungen allerdings noch diverse weitere Service­leistungen an, die der Kundschaft das Leseleben im Lockdown so angenehm wie möglich machen: Bei Bücher Wenner in Osnabrück sind über 20 Fahrradkuriere im Einsatz, um bestellte Bücher schnell und ökologisch ins Haus zu liefern, koordiniert von einer selbst ent­wickelten App. Bei der Buchhandlung Lesezeichen in Germering können sich Leser*innen via Facetime am Buchregal beraten lassen. Und bei der Buchhandlung Böhm in Eggenfelden steht seit Dezember ein Buchautomat vor der Ladentür – mit Bestsellern und Büchergutscheinen im Selfservice. Drei Beispiele, die deutlich machen, dass gute Kaufleute nicht nur zahlenaffin, sondern vor allem auch fantasiebegabt sein müssen.

 

Der Buchhandel zeigt in der Pandemie, was er drauf hat. Vor allem: Er redet auch drüber.

Kommunikation ist alles

Der Buchhandel hat in der Corona-Krise gezeigt, was er draufhat. Vor allem aber hat er zum ersten Mal auch darüber geredet – via Schaufensterplakat, Website, Facebook oder Instagram. Dass sich das Trommeln gelohnt hat, machten im Oktober Zahlen aus dem GfK Consumer Panel deutlich: 11,5 Millionen Verbrau­cher*innen haben während der Corona-Pandemie erstmals von den Bestellmöglichkeiten im Buchhandel gehört. Und eine Million Verbraucher*innen haben sich während der Corona-Pandemie zum ersten Mal beim stationären Buchhandel online oder telefonisch bestellte Bücher nach Hause liefern lassen oder in der Filiale abgeholt. Das verbleibende Neukunden-Potenzial durch solche Services beziffert die GfK auf zwei Millionen Menschen. Da geht also noch mehr.

 

Zahl der Stunde: 69,4 Prozent...

....Umsatzplus verbuchte der Sortimentsbuchhandel am 14. Dezember 2020 laut Media Control – kurz vor dem harten Lockdown und im Vergleich zum Stichtag des Vorjahrs. Das ­Datum dürfte als »Bücherhamstertag der Rekorde« in die Annalen der Branche eingehen. Aber bei solchen Festlegungen ist im Moment Vorsicht geboten. Wer weiß, was noch kommt ...

 

Support von der Stammkundschaft

Noch wichtiger als die Neukundschaft war im Corona-Jahr allerdings die Stammkundschaft, die den Slogan "Support your local bookdealer" wörtlich nahm – statt ihren (Lese-)Stoff im Lockdown bei Amazon zu bestellen. Letzteres wäre auch wenig aussichtsreich gewesen, weil der Onlinehändler in der akuten Krise kurzerhand die­jenigen Waren priorisierte, die das bes­sere Geschäft verhießen: Lebensmittel und Hygieneartikel, anders formuliert: ­Trockenhefe und Toilettenpapier.

Amazons Lieferpolitik spielte am Ende dem Buchhandel in die Hände. Gleichzeitig konnte das Sortiment im Corona-Jahr die Ernte für vorangegangene Investi­tionen in die Kundenbindung einfahren. Berater Andreas Meyer hat es in einem Börsenblatt-Beitrag vom Dezember 2020 so formuliert: "Die Loyalität der Kunden entstand nicht durch Corona, sondern davor."

Lesungen, Aktionen, intensive Beratung, ein individuelles Sortiment, das sich eben nicht nur auf A- und B-Lieferanten beschränkt – all das, was am Buchhandel gern mal als ineffizient und unwirtschaftlich kritisiert wird, hat sich in der Corona-Krise bezahlt gemacht. Und mit dafür gesorgt, dass die Branche zumindest das Pandemiejahr 2020 ohne allzu tiefe Blessuren übersteht (mehr zu Jahresbilanz hier).

"Ich bin absolut ohne Sorge um meine Firma": Das schrieb die Borgholzhausener Buchhändlerin Martina Bergmann im April-Lockdown hier auf Börsenblatt Online. Wer das damals eher für Chuzpe als für Realitätssinn hielt, wird im Moment von vielen unabhängigen Buchhandlungen eines Besseren belehrt.

Die Filialisten dagegen dürften jede Menge Sorgen haben: Geschäfte in Einkaufszentren und Fußgängerzonen der großen Städte haben stärker unter dem Lockdown gelitten als Läden in Stadt­vierteln und Kleinstädten. Media Control fasst dieses Gefälle für die erste Lockdown-Phase in Zahlen: Vom 23. März bis 19. April 2020 konnten die Kleinen immerhin die Hälfte ihrer gewohnten Umsätze retten, bei den größeren Buchhandlungen mit vier und mehr Filialen hingegen ­brachen die stationären Umsätze um 96,5 Prozent ein. (mehr dazu hier)

Die Bilanz für den zweiten Shutdown dürfte ähnlich ausfallen – schon mit dem "Lockdown light" im November ging die Kundenfrequenz in den Innenstädten empfindlich zurück.

Facebook-Dialog der Stunde

Ich fühle mich wie ein Apothekennachtschalter. 

Hiltrud Markett, Bücherecke in
Langenfeld, kurz vor Heiligabend in der Facebook-Gruppe »Buchhandelstreff«

Mir kam’s in den letzten Tagen eher so vor, als würde ich bei einem Pizzaservice arbeiten. 

Joachim Becker, Buchhandlung Stojan, Ahrensburg

Die Achillesferse

Es sind nicht die Großen mit ihren Skalierungseffekten, die im Corona-Jahr die beste Performance abliefern, sondern die Kleinen mit ihrer Individualität. Servicestärke ist ihr größter Pluspunkt in der Krise und zugleich ihre größte Achillesferse – denn sie kostet Geld: "Alle schwärmen von ihren White-Label-Shops und ihren Auslieferungen, und keiner guckt aufs Ergebnis", warnte der Erfurter Buchhändler Peter Peterknecht Ende Dezember 2020 in einer Börsenblatt-Umfrage. "Es wird vergessen, dass die Ware, die man aus dem Laden heraus verkauft, deutlich günstiger eingekauft wurde, als die Ware, die man über die Barsortimente verkauft." Der Jahresbetriebsvergleich 2020 wird zeigen, wie sich diese Entwicklung in der Breite auf das Betriebs­ergebnis im Buchhandel auswirkt.

Was kommt?

Noch ist nicht absehbar, wann der zweite Lockdown für den Einzelhandel endet. Fest steht jedoch, dass Corona den Buchhandel weiter verändert.

  • Call & Deliver: Kunden werden den Lieferkomfort nach der Krise nicht mehr missen wollen. Da kommt auf den Buchhandel also auch in Zukunft einiges an Mehrarbeit zu – oder der Mut zum Nein-Sagen.
  • Verödung der Innenstädte: Hier ergeben sich, bei allen Gefahren, auch Chancen. Teure Flächen in 1-a-Lage, die bei Filialisten schon auf der Rückbauliste standen, könnten durch sinkende Mieten infolge der Corona-Krise wieder finanzierbarer werden. Und wenn die Städte Leerstände und alte Karstadthäuser künftig durch kluge Standortpolitik mit Kunst und Kultur beleben, dann sind das im Zweifelsfall bessere Verbündete für den Buchhandel als internationale Ketten für Fast Fashion.
  • Zwischenbuchhandel: Unter der Fülle der Kleinsendungen geht die Branchenlogistik kostentechnisch in die Knie. Vielleicht setzt sich in diesem Jahr doch noch die Erkenntnis durch, dass Kooperation bei den Bücherwagendiensten sinnvoller ist als Konkurrenz.
  • Rabattspreizung: Zum Schwur dürfte es bei der diskutierten Nachschärfung von Paragraf 6.3 des Buchpreis­bindungs­gesetzes kommen. Hohe Rabatte belohnen die Großen. Wie passt das mit der Corona-Erfahrung zusammen, dass in der Krise vor allem die Kleinteiligkeit des unabhängigen Buchhandels Erfolgsgeschichten erzählt? Auch darauf muss die Branche eine ­gemeinsame Antwort finden.
  • Aushängeschilder: Corona trifft neben den Filialisten vor allem die Bahnhofs- und Universitätsbuch­handlungen mit voller Wucht. Alles zusammen heizt den Konzentrationsprozess an – und wird sich auf die Branchenstruktur und das Dauer­thema Sichtbarkeit auswirken.

"Wir haben gelernt, wie wichtig es ist, uns über Einzel- und Kollektivinteressen hinweg zu solidarisieren. Meine Maske schützt dich, deine Maske schützt mich. Das ist die neue Corona-Grammatik, die wir gerade lernen": Das sagt Aleida Assmann, Friedenspreisträgerin des Jahres 2018, in einem "Spiegel"-Interview zum Coronajahr 2020.

Für den Buchhandel wird im neuen Jahr viel davon abhängen, welche Grammatik die Buchbranche gerade lernt. Kurzum: Wie groß die Solidarität zwischen Groß und Klein, Buchhandel und Verlag zu guter Letzt tatsächlich ist – und ob die Leser*innen das Medium Buch auch dann noch feiern, wenn wieder die Zeit für andere Formen des Reisens und der Zerstreuung gekommen ist.

Anne Fiedler, Buchhändlerin
Mutige Existenzgründer*innen finden sich in der Corona-Krise auch im Buchhandel. Eine davon ist Anne Fiedler (36), die in Hannover die Kleefelder Buchhandlung von Beate Lenkeit (69) übernommen hat. Die Pandemie bestärkte Anne Fiedler in ihrem Entschluss: "Es hat sich gezeigt, dass die Menschen im Stadtteil die Buchhandlung unbedingt haben wollen."