Prozess um Penguin Random House und Simon & Schuster

"Große Verlage picken Autoren von Indie-Listen"

19. August 2022
von Börsenblatt

Unabhängige Verlage als „Zulieferer“ von Autor:innen für die großen Verlage: Im Prozess um Penguin Random House und Simon & Schuster fiel immer wieder die Bezeichnung „Farmteams“, die Indie-Verlegerin Atwell mehr als nur herablassend findet.

Während des bislang dreiwöchigen Gerichtsprozesses um die Fusion von Penguin Random House und Simon & Schuster in Washington haben befragte Zeug:innen aus der Verlagsbranche unabhängige Verlage als "Farmteams" bezeichnet. Farmteams wurden vor rund 100 Jahren erfunden, um unerfahrene Baseballspieler auf ein höheres Niveau zu bringen, mit dem Ziel, dominantere Major-League-Baseballteams zu schaffen. Der Vergleich sei eine herablassende Sicht auf unabhängige Verlage und die Rolle, die sie in der Literaturlandschaft spielen, findet Margot Atwell im Nachrichtenportal „Literary Hub“.

Unabhängige konkurrieren mit Konzernen

„Ich betrachte das Buchverlagswesen nicht als Nullsummenspiel, aber im Gegensatz zum Baseball konkurrieren unabhängige Verlage mit großen Verlagskonzernen - um Autor:innen, um Mitarbeiter:innen und um die Aufmerksamkeit und das Geld der Leser:innen“, schreibt Margot Atwell, seit März 2022 Verlegerin von Feminist Press, einem 52 Jahre alten unabhängigen, gemeinnützigen, feministischen Verlag. „Baseballmannschaften der unteren Ligen konkurrieren gegen andere Mannschaften der unteren Ligen, aber unabhängige Verlage veröffentlichen Bücher in der gleichen Liga wie größere Verlage, in der Penguin Random House, Simon & Schuster, HarperCollins und andere bereits von beträchtlichen Größenvorteilen und Verhandlungsmacht mit Druckereien, Kunden und anderen profitieren - ein Vorteil, der durch diesen Zusammenschluss noch verstärkt würde.“

Kleine Verlage als Talentschmiede

Viele der Baseball-Farmteams seien immer wieder von ihren Pendants in der Major League finanziert worden und hätten offizielle Partnerschaften, die den Minor League-Teams Vorteile bringen. Im Verlagswesen hingegen bestünden die einzigen offiziellen Verbindungen zwischen unabhängigen Verlagen und Penguin Random House / Simon & Schuster in Form von Vertriebsvereinbarungen mit einigen unabhängigen Verlagen, die für die Vertriebsunternehmen von vornherein lukrativ seien. Die Bezeichnung unabhängiger Buchverlage als "Farmteams" impliziere, dass es sich um kleine Amateurverlage handele, die von geringerer Qualität seien als die großen Konzernverlage, die die Verlagslandschaft dominieren. „Es impliziert auch, dass unabhängige Verlage nur existieren, um rohe Talente auf das Niveau der großen vier oder fünf Verlage zu bringen - und zwar zu deren Vorteil.“

Große werben Autoren von Independents ab

Diese Unterstellung würde Atwell etwas weniger hart treffen, „wenn die Großverlage nicht auch so handeln würden. Ein Lektor eines unabhängigen Verlags erzählte mir, wie er auf einer Literaturkonferenz während einer Signierstunde am Stand eines unabhängigen Verlags beobachtete, wie ein Lektor eines renommierten Big-5-Verlags ihm Komplimente machte und versuchte, ein Treffen mit jenem Autor zu arrangieren, der sein Buch signierte, das der kleine Verlag gerade veröffentlicht hatte. Auch wenn dieses Beispiel besonders eklatant ist, habe ich den Eindruck, dass Großverlage oft auf den Listen von Kleinverlagen recherchieren.“ Indie-Presses als "Farm-Teams" zu bezeichnen, skizziere ein Bild von einer Welt, in der größer immer besser sei. „Es setzt Geld und Größe mit Wert gleich und impliziert, dass das meiste Geld zu verdienen und die Größe weiter zu vergrößern das ultimative Ziel des Schreibens und Verlegens ist.“

Christina Ward, Vizepräsidentin des unabhängigen Verlags Feral House mit Sitz in Washington, habe Atwell von Erfahrungen der Autor:innen berichtet: „Die meisten unserer Autoren, die zu einem großen Verlag wechselten, nachdem sie bei uns veröffentlicht hatten, kamen zu uns (oder einem anderen unabhängigen Verlag) zurück, weil die Erfahrung nicht ihren Erwartungen entsprach." Besonders ärgerlich sei, dass unabhängigen Verlagen oft das Geld fehle, um Autoren höhere Vorschüsse zu gewähren, schreibt Atwell, „weil wir bei experimentelleren und grenzüberschreitenden Werken Risiken eingehen - bei Büchern von Autor:innen, die BIPOC, transsexuell, queer, behindert, neuroatypisch, Immigranten oder auf andere Weise von der Mainstream-Gesellschaft und dem Mainstream-Verlagswesen marginalisiert sind. Wir veröffentlichen oft Werke, die weniger offensichtlich "kommerziell attraktiv" sind, um unsere Ziele zu erreichen und die literarische Landschaft zu bereichern. Dann nehmen die Big-5-Verlage diese Bereicherung wörtlich, indem sie talentierte und neu in Erscheinung tretende Autoren von den Indie-Listen herauspicken und sie mit mehr Geld, aber nicht immer mit mehr Unterstützung für ihre Arbeit gewinnen.“ Letztlich hofft Atwell, „dass die großen Verlage lernen werden, ihr eigenes Feld zu bestellen“.