Deutscher Buchpreis 2023

Tonio Schachingers "Echtzeitalter" hat den Deutschen Buchpreis gewonnen

16. Oktober 2023
von Börsenblatt

Nachdem die sechs Finalisten vorgestellt wurden, herrschte Hochspannung im Frankfurter Kaisersaal: Man hätte die berühmte Stecknadel fallen hören können. Dann brandete Jubel auf: Tonio Schachinger hat mit dem Roman "Echtzeitalter" den Deutschen Buchpreis 2023 gewonnen.

Tonio Schachinger erhält verdienten Applaus.

Die Begründung der Jury

Aufgeregte Stimmung im Kaisersaal des Frankfurter Römers: Welcher Roman wird es werden? Katharina Teutsch, Jurymitglied und Literaturkritikerin für "FAZ", "Zeit" und Deutschlandfunk, ging im Gespräch auf die einzelnen Shortlist-Romane, Tendenzen und die Arbeit der Jury ein, dann wurden die Shortlist-Titel noch einmal vorgestellt. und dann, in die Stille hinein, verkündete Börsenvereinsvorsteherin Karin Schmidt-Friderichs: "Der Deutsche Buchpreis 2023 geht an "Echtzeitalter" von Tonio Schachinger!"

Auf den ersten Blick sei das Buch ein Schulroman. "Auf den zweiten viel mehr als das: ein Gesellschaftsroman, der das Aufwachsen seines Helden Till an einer Wiener Eliteeinrichtung beschreibt, an der die künftigen Leistungsträger:innen mit reaktionärem Drill und bildungsbürgerlichen Idealen aufs Leben vorbereitet werden", so Schmidt-Friderichs. "Aus dieser repressiven Umgebung, verkörpert durch den mephistophelischen Lehrer Dolinar, flüchtet sich Till in die Welt des Gaming. Mit feinsinniger Ironie spiegelt Schachinger die politischen und sozialen Verhältnisse der Gegenwart: Aus gebildeten Zöglingen spricht die rohe Gewalt. Die Welt der Computerspiele bietet einen Ort der Fantasie und Freiheit. Auf erzählerisch herausragende und zeitgemäße Weise verhandelt der Text die Frage nach dem gesellschaftlichen Ort der Literatur."

Unüberhörbare Freudenschreie bei der Rowohlt-Crew, bevor Tonio Schachinger nach vorn ging. Er bedankte sich bei seiner Frau Margit Mössmer, "von der ich alles gelernt hab, was ich weiß im Leben, und deren heuer erschienen Roman ich Ihnen auch ans Herz lege", bei seiner Lektorin Katja Sämann, seiner Agentin Karin Graf, dem Rowohlt Verlag. "Es ist unerträglich zu sehen, was passiert auf dieser Welt", fügte er an, "es ist schwer, dass immer nur die sprechen sollen, die davon direkt betroffen sind – und ich selbst habe nichts dazu beizutragen außer zu hoffen", sagte Schachinger. Während die anderen schon in den feier-Modus wechselten, wurde der Gewinner im Anschluss sofort von Journalisten umlagert und ium kurze Interviews gebeten – eine Situation, die ihn in den kommenden Tagen auf der Frankfurter Buchmesse weiter begleiten wird.

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Persönliches Erleben kann nicht der Maßstab sein

Zuvor hatte Frankfurts Kulturdezernentin Ina Hartwig mit Blick auf den 75. Geburtstag der Frankfurter Buchmesse an die Bande zwischen Buchmesse und Stadt erinnert, "sie könnten kaum enger sein – und ich bin dankbar dafür", meinte Hartwig und ging zum Deutschen Buchpreis über. "Er zwingt uns jedes Jahr, darüber nachzudenken, welche Geschichten erzählt werden und wie sie erzählt werden“, so die Kulturdezernentin weiter und kam auf einen wichtigen Punkt zu sprechen: "Was mich verstört hat, ist, dass Autorinnen und Autoren das Recht abgesprochen wird, über etwas zu schreiben, was sie nicht persönlich erlebt haben." Nach großem Applaus an dieser Stelle im Kaisersaal konstatierte Hartwig: "Offenbar stehe ich damit nicht allein." Wenn das persönliche Erleben der Maßstab sein solle, "dann können wir die Literaturgeschichte einmotten."

 

Börsenblatt-Gespräch mit Tonio Schachinger

Börsenvereinsvorsteherin Karin Schmidt-Friderichs knüpfte an Hartwig an: "Mir macht es Sorge, dass Autor:innen heute davon ausgehen , dass so ein Buch wie die 'Satanischen Verse' von Salman Rushdie heute keinen Verlag mehr finden würde; mir macht es Sorge, dass Bücher mit queeren Themen in amerikanischen Bibliotheken verbannt werden." Schmidt-Friderichs hob "mit aller Deutlichkeit hervor, dass die Meinungsfreiheit die Grundlage der Demokratie" sei. "Gute Bücher verwirren und bewirken, dass Leser hinterher mit anderem Blick auf die Welt schauen", stellte die Vorsteherin das empathische Mitempfinden beim Lesen als unabdingbares Element von Literatur vor.

Die Termine des Gewinners/der Gewinnerin auf der Frankfurter Buchmesse

  • 18. Oktober um 11 Uhr: Preisträger:in-Lesung auf der ARD-Bühne
  • 20. Oktober um 14 Uhr: Preisträger:in und Verleger:in im Gespräch mit der Börsenblatt-Redaktion | Leseinsel unabhängiger Verlage (3.1 C105 )
  • 20.Oktober um 22 Uhr: Auftritt bei der ARD-Radiokulturnacht der Bücher im hr-Sendesaal