Karriere

Lesegenuss trotz Buchjob

30. März 2023
von Veronika Weiss

Haben Sie Ihr Hobby zum Beruf gemacht, aber die Lust daran verloren? Viele Menschen können diese Frage bejahen. Wie kann es gelingen, die private Lesefreude zu erhalten und von der Arbeit abzugrenzen?  

Vor ein paar Wochen habe ich ein Buch gelesen, dessen Titel ich hier nicht nennen möchte. Beziehungsweise habe ich damit angefangen. Es hat mich wahnsinnig gemacht, wie viele Fehler und Ungereimtheiten darin waren. Ich habe einen Rotstift zur Hand genommen und angefangen, alles anzustreichen, was ich schlecht fand, und das war eine Menge. Nach 20 Seiten Herumärgern habe ich mich endlich gefragt, was ich hier eigentlich tue. Und mir wurde klar: Ich beschwöre hier einige der negativsten Gefühle aus dem Arbeitsalltag herauf und lasse sie in meine Freizeit Einzug halten. Warum das? Was habe ich davon? Nichts. Ich bin zur Vernunft gekommen, habe dieses unsägliche Buch beiseitegelegt und seither nicht mehr angefasst. 

Beruflich lese ich quasi die ganze Zeit, wenn ich nicht schreibe. Das kennen Sie wahrscheinlich. Das Lesen mit einem bestimmten Fokus ist ein wichtiger Teil unserer Aufgabe, ob wir nun Autorin sind, Buchhändler, Vertreterin, Lektor, Agentin, Literaturkritiker oder sonst was. Wir haben eine unserer liebs­ten Freizeitbeschäftigungen aus der Hobbyecke rausgeholt und zu unserer Profession gemacht. Unsere Lesegewohnheiten verändern sich dadurch, bekommen einen gewissen Zweck und eine neue Kontur – und nehmen dann leider den umgekehrten Weg: zurück ins Privatleben.

Lustprinzip statt Pflichtgefühl

Was können wir dagegen tun? Wie den Profiblick abstellen? Nach meiner Erfahrung ist es hilfreich, von Anfang an anders vorzugehen als im Job: Bereits bei der Buchauswahl sollten Sie sich nicht die Frage stellen, was Sie lesen sollten, was sinnvoll und gewinnbringend wäre, was von Ihnen erwartet wird. Sondern fragen Sie sich: Auf welche Lektüre habe ich Lust? Es geht in der Rekrea­tionszeit schließlich um Ihr Wohlbefinden.

Wenn Sie dann einen Titel ganz nach Ihrem Bauchgefühl ausgewählt haben, kümmern Sie sich um das Wo. Setzen Sie sich auf keinen Fall an einen Tisch. Machen Sie es sich beim Lesen so gemütlich wie möglich. Steigen Sie in die Badewanne, türmen Sie Kissen auf die Couch und legen Sie sich hinein, gehen Sie mit einer Picknickdecke in den Park, lesen Sie mit Snacks und Heißgetränk oder in einer Hängematte. Hauptsache, Sie grenzen in diesen Momenten jegliches Bürogefühl aus, und das meint auch ein Homeoffice-Setting. Nehmen Sie statt des Bildschirms ein gedrucktes Buch zur Hand – oder umgekehrt den E-Reader, wenn Sie sonst hauptsächlich von Papier umgeben sind. Denn auch das haptische Erlebnis sollte ein ­anderes sein. 

Gelingt es Ihnen so, sich ganz zu entspannen und beim Aufschlagen tief durchzuatmen? Sehr gut. So verknüpfen Sie nach und nach Ihre Freizeitbücher mit dem Gefühl, Muße zu haben. Natürlich ist es immer erlaubt, eine Meinung zu einem Buch zu haben – geht ja nicht anders. Aber idealerweise lassen Sie Ihre innere kritische Profistimme beim Lesen verstummen. Wenn Sie den verpflichtungsfreien Modus mal erreicht haben, kippen Sie auch nicht mehr zurück. Es sei denn, das Buch ist so gar nicht nach Ihrem Geschmack. Mit solchen Werken sollten Sie sich in Ihrer Freizeit nicht herumschlagen, sondern sie: einfach zuschlagen.

UNSERE KOLUMNISTIN

Veronika Weiss (38) ist in Wien aufgewachsen und hat dort Germanistik und Musikwissenschaften studiert. Nach Praktikum und Elternzeitvertretung in der Verlagsgruppe HarperCollins (Cora Verlag) in Hamburg arbeitete sie dort als Lektorin. Seit 2021 ist sie frei als Texterin und Lektorin tätig. Im Börsenblatt schreibt Weiss unter anderem über Trends in der Arbeitskultur, Berufseinstieg und Work-life-Balance.