Neue Börsenblattserie: Lesemotive und Umsatzentwicklung

Spannung im Schatten der Liebe

30. Januar 2024
von Sabine Cronau

Der Romance-Boom verdrängt den Krimi vom Büchertisch. Warum das mörderische Genre mehr Zuwendung verdient hat, zeigt eine Umsatzanalyse nach Lesemotiven – ein neuer Börsenblatt-Zahlenservice mit konkreten Handlungsempfehlungen für Verlage und Buchhandel. 

Gänsehautfaktor: Lesemotiv Nervenkitzeln, inszeniert bei der Buchhandlung Ludwig in Leipzig

"Die Kund:innen nehmen mehr Bücher mit. Von Januar bis April ist unser Belletristikumsatz um 15 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen": Dieses Fazit zog Anne v. Bestenbostel, Inhaberin der Buchhandlung Bestenbostel in Nordenham, 2023 im Börsenblatt – nach einer Testphase mit den Lese­motiven (mehr dazu hier).

Zehn LG-Buch-Mitglieder hatten den noch jungen Klassifikationsstandard für Bücher im vergangenen Jahr auf Praxistauglichkeit geprüft – und beobachtet, dass sich der Einsatz in barer Münze auszahlen kann. Ähnlich positive Rückmeldungen kamen aus der Buchhandlung Ludwig in Leipzig und einer Pilotgruppe des Buchhandelsverbunds Nordbuch (mehr dazu hier).

Was die Lesemotive können

Die Lesemotive beschäftigen sich mit den Bedürfnissen der Leser:innen, mit den unbewussten Beweggründen hinter dem Buchkauf. Wollen Kund:innen entspannen, Neues entdecken oder Nervenkitzel? Das bilden die insgesamt zehn Lesemotive ab, die als Ergänzung zu den Warengruppen und zur Thema-Klassifikation zu sehen sind (mehr dazu hier).

Entwickelt wurden sie von Börsenverein und MVB, um Abwanderer:innen wieder für Bücher zu begeistern und generell mehr Orientierung in der Titelvielfalt zu bieten – für erfolgreiche Kaufimpulse. Mittlerweile sind die Lesemotive im VLB, in VLB-TIX und im Marktforschungstool MC Metis von Media Control hinterlegt. 

In einer neuen, monatlichen Börsenblatt-Serie beleuchten Vertriebs­expertin Stephanie Lange und Jana Lippmann, Leiterin Marktforschung beim Börsenverein, welche Handlungsfelder sich für Buchhandel und Verlage aus der übergreifenden ­Analyse von Umsatzzahlen, Lesemotiven und Neuerscheinungen in einzelnen Genres ergeben. 

Gegensätzliche Bedürfnisse

Den Auftakt macht die Warengruppe 121: Krimi, Thriller, Spionage. Das Besondere an diesem Segment: Es wird von zwei gegensätzlichen Lesebedürfnissen dominiert:

  • Nervenkitzeln ist mit einem Umsatzanteil von 67,6 Prozent das wichtigste Lesemotiv.
  • Entspannen folgt mit einem Anteil von 29,6 Prozent auf Platz 2. Hier geht es um wohltemperierte Mordfälle, die unterhalten, nicht aufregen – gern gespickt mit Urlaubsflair. 

Die Umsätze im Spannungssegment bewegten sich 2023 nahezu auf Vorjahresniveau – während die Einnahmen in der gesamten Warengruppe Belletristik vor ­allem dank Romance-Boom um 7,7 Prozent nach oben schnellten.

Entspannende Cosy-Crime-­Titel haben in der Corona-Krise einen Siegeszug erlebt: 2019 lag der Umsatzanteil des Lesemotivs Entspannen im Krimisegment bei 19,7 Prozent, 2022 waren es schon 31,4 Prozent. Im vergangenen Jahr hat der Entspannungsfaktor nun wieder an Bedeutung verloren (mit einem Umsatzminus von 6,0 Prozent zu 2022), dafür wird Nervenkitzel wichtiger (plus 5,1 Prozent) – was auch dem »König des Nervenkitzels« zu verdanken ist – Sebastian Fitzek. 

Stephanie Lange

Im Krimi dominieren zwei gegensätzliche Lesemotive: Nervenkitzeln und Entspannen. Cover und Präsentation müssen jeweils dazu passen.

Stephanie Lange

Handlungsempfehlungen für Verlage

Obwohl das Lesemotiv Nerven­kitzeln in der Warengruppe 121 auf ein kräftiges Umsatzplus und viele Bestseller in den Krimi-Top-25 zurückblicken kann, waren die Verlage bei der Programmplanung mit Thrill eher zurückhaltend.

Das zeigen die Titelmeldungen ans VLB im Spannungssegment, die beim Lesemotiv Nervenkitzeln 2023 gegenüber dem Vorjahr um 1,8 Prozent zurückgingen. Mutiger waren die Verlage bei der Preisgestaltung: Der Durchschnittspreis verkaufter Krimis mit dem Lesemotiv Nervenkitzeln zog um 3,6 Prozent an, auf 15,25 Euro.

Daraus ergeben sich folgende Handlungsfelder für Verlage:

  • Die Positionierung der Titel sollte sich klar am jeweiligen Lesemotiv ausrichten, denn Sprache und Gestaltung sind in diesem Fall sehr unterschiedlich.
  • Bei Cosy Crime gibt es ein riesiges Angebot an Regional- und Urlaubskrimis, darunter einige Mogelpackungen – etwa wenn hinter einem lieblichen Provence-Cover ein beinharter Krimi lauert. 
  • Generell gilt: Entspannung hat sich als Lesemotiv im Krimi etabliert und Verlage sollten sich überlegen, wie sie das Genre auch jenseits des Regionalkrimis weiterentwickeln können.

Handlungsempfehlungen fürs Sortiment

Für den Buchhandel lassen sich folgende Handlungsfelder ableiten:

  • Krimi-Kund:innen sind oft Vielleser:innen, ein abwechslungs­reiches Angebot zahlt sich aus.
  • Die Bedeutung der Toptitel ist hoch, sie sollten verfügbar sein. Daneben gibt es eine große Titelvielfalt, die eine Ausrichtung auf die lokale Zielgruppe ermöglicht.
  • Buchhändler:innen sollten prüfen, ob sie dem Nervenkitzel adäquaten Platz im Laden einräumen und die inhaltlichen Unterschiede gut herausarbeiten (Psychothriller, Politthriller etc.).
  • Passen Fläche und Vielfalt für Cosy Crime zum Umsatzanteil?
  • Generell gilt: Um Platz für das florierende New-Adult-Segment zu schaffen, sollten lieber rückläufige Warengruppen weichen – statt des stabilen Krimis. 

KOSTENLOSER TESTZUGANG

  • Die Lesemotive sind seit Herbst 2023 in das Marktforschungstool MC Metis von Media Control integriert (mehr dazu hier).                 
  • Media Control bietet Kunden, die dieses Zusatztool noch nicht getestet haben, eine vierwöchige kostenlose Testphase an. 
  • Einfach eine E-Mail schicken an Deniz Ulucan, Leiter Buch & Marktforschung, d.ulucan@media-control.de

Ein Artikel von

Sabine Cronau

Jana Lippmann         

Stephanie Lange