Fremdsprachige Literatur für Schüler:innen

"Der Trend geht immer mehr zu Young-Adult-Titeln"

23. Januar 2025
Susanna Wengeler

Viele Buchhandlungen haben ihr Angebot an fremdsprachiger Literatur erweitert. Das Interesse am Original beflügelt auch die Nachfrage nach annotierten Lektüren.

Die Abteilung für englischsprachige Bücher bei Hugendubel am Marienplatz in München.

Vor allem auf großen Buchhandelsflächen findet man inzwischen oft eine Abteilung, die sich "English Bookshop" nennt. Auch kleinere Buchhandlungen machen Regale für Literatur in Originalsprachen frei und New-Adult-Titel werden doppelt platziert: in der deutschen Übersetzung, sofern bereits vorhanden, und im Original. Englisch lesen ist nicht nur angesagt, es wird auch immer selbstverständlicher. Braucht es dann noch annotierte Lektüren von Fremdsprachenverlagen?

Brückenbauer zu Originalausgaben

Die einhellige Antwort auf eine Kurzumfrage bei verschiedenen Anbietern lautet: unbedingt! Die gestiegene Nachfrage nach englischsprachigen Originaltiteln wirke sich positiv auf das Lektüreprogramm aus, sagt Anne-Sophie Guirlet-Klotz, Redaktionsleiterin Fremdsprachen Schule bei Ernst Klett Sprachen – "denn wir stellen fest, dass das Lesen von Original­literatur in der Schule mittlerweile früher gefördert wird. Zum einen, weil es nun auch zum Curriculum gehört, zum anderen, weil die Schülerinnen und Schüler selbst Anregungen aus ihrem Alltag in den Unterricht mitbringen." Ein Eindruck, den Annegret Hauser-Teubner, Redaktionsleiterin Englisch Gymnasium Sek II Plus bei Cornelsen, bestätigt: Neben englischsprachigen Originaltiteln in der Cornelsen English Senior Library für die Oberstufe habe man insbesondere die Cornelsen English Library für jüngere Leser:innen ausgebaut: "Das Angebot wird sehr gut angenommen, obwohl – oder gerade, weil – das Leistungsniveau in Klassen teils sehr heterogen ist. Mit annotierten Lektüren haben Lehrkräfte die Gewissheit, dass alle Lernenden für die Unterrichtsarbeit auf dem gleichen Stand sind." Leistungsschwächere könnten die Annotationen nutzen, bisherige Lesemuffel fänden einen leichteren Einstieg, "und Leistungsstarke freuen sich, dass sie manche Annotationen nicht brauchen".

Wie differenziert der Weg zum Lesen von Originalen gestaltet werden kann, macht ein Blick ins Programm von Klett deutlich: Dort bietet man Jeff Kinneys "Diary of a Wimpy Kid" als annotierte Lektüre für die ­Sekundarstufe I an, in der noch wenig Originalliteratur gelesen wird. Viele Schüler:innen kennen "Gregs Tagebuch" in der deutschen Übersetzung; es ist ein Titel, der eher nach Freizeit denn nach Anstrengung klingt. Gegen Ende der Sekundarstufe I kommen Titel wie "The Absolutely True Diary of a Part-Time Indian" hinzu. "Im Übergang zur Sekundarstufe II wird das Lesen von Originalliteratur im Hinblick auf das Abitur intensiviert", so Anne-Sophie Guirlet-Klotz. Dabei würden zunehmend längere, ungekürzte Texte gewählt; "der Trend geht auch hier immer mehr zur Young-Adult-Literatur. Angie Thomasʼ 'The Hate U Give' ist in der 11. Klasse bereits ein Klassiker." Fürs Abitur werden anspruchsvollere belletristische Texte gelesen wie Dave Eggersʼ "The Circle" oder John Steinbecks "Of Mice and Men".
 

Angie Thomas oder John Steinbeck?

Die Definition eines fremdsprachigen Klassikers hat sich in Richtung Young Adult verschoben.

Weniger Klassiker, mehr Young Adult

Doch Klassiker wie Steinbeck haben inzwischen nicht mehr den Stellenwert von früher, wie Guirlet-Klotz beobachtet. "Shakespeare hält sich noch, vor allem, weil die Lektüre von einigen Lehrplänen gefordert wird, ist aber weniger relevant als früher", stellt Annegret Hauser-Teubner mit Blick auf die Oberstufe fest. Beim Klassiker-­Spezialisten Reclam betont Presse­referentin Andrea Friedel zwar, dass Klassiker "nach wie vor ein fester Bestandteil des Schulunterrichts" seien – aber auch sie verweist auf die Bedeutung von Young Adult, "weil es gut zum Schwerpunktthema Individuum und Gesellschaft passt, das sprachübergreifend schulisch relevant ist." Abseits der annotierten Lektüren in Reclams Roter Reihe starten die Stuttgarter in diesem Frühjahr mit den Reclam Originals eine neue Taschenbuchreihe mit Weltliteratur im Original: Den Auftakt bilden drei Romane von Jane Austen.

Die Bedeutung von "jugendgerechten Themen mit altersgerechten Protagonisten" hebt Marketing & Vertrieb-Geschäftsführerin ­Sylvia Tobias für das Hueber-Lektüren-Programm hervor. Bei Circon laufen Krimis und Kurzgeschichten gleichbleibend gut, wie Anke Fischer berichtet, Gesamtleiterin der Redaktion; einzig Titel auf C1- oder C2-Niveau habe man reduziert. Und Nikolas Hoenig, Head of Marketing, freut sich über den Erfolg bei den Pons-Langenscheidt-Lektüren mit "Krimis und kurzweiligen Geschichten, die kulturelle Eigenheiten aufgreifen". Mit neuen Titeln der Reihen Die drei !!! sowie Die drei ??? baut Pons das Segment für Kinder und Jugendliche aus – "wohingegen Langenscheidt die zweisprachigen Krimis für Erwachsene ergänzt", so Hoenig.

Attraktiv auch für Erwachsene

Denn nicht nur Kinder freuen sich über gelegentliche Hilfestellungen bei fremdsprachigen Texten und einen guten Themenmix. So funktionieren bei Reclam im Bereich der Erwachsenenbildung besonders gut. Titel, "die in der deutschen Übersetzung viel Aufmerksamkeit bekommen haben, eine Wohlfühl­atmosphäre schaffen oder einen Schutzraum bieten", erklärt Andrea Friebel und verweist auf Beispiele aus dem Italienischen wie Viola Ardones "Il treno del bambini" oder Giovanni Montanaros Wohlfühlbuch "Il libraio di Venezia". Auch die englischen Texte in der Roten Reihe liefen nach wie vor gut – nicht zuletzt blieben sie in der Regel unter den Preisen der Originaltitel, trotz hilfreicher Extras wie Glossar, Nachwort und Literaturhinweisen.

Lektüren sind also nicht nur für die Schule attraktiv. Annegret Hauser-­Teubner sieht sie ebenso für Erwachsene abseits des Unterrichts als "ein tolles, sprachlich und (inter-)kulturell niedrigschwelliges Angebot". Selbst anspruchsvolle Texte würden so zugänglich und erweiterten den Horizont ebenso wie die fremdsprachliche Kompetenz. "Es kann sich lohnen, Kundinnen und Kunden als ­Alternative zur englischen Originalausgabe das Service­angebot der annotierten Version nahezubringen."