Vor dem Hintergrund der JVM-Umfrage und des Podcasts hat das Börsenblatt in den vergangenen Wochen mit jungen und erfahrenen Verlagsmitarbeiter:innen über ihre Arbeitsbedingungen gesprochen – darunter auch solche, die der Branche in den vergangenen Jahren den Rücken gekehrt haben.
Sie haben offen von ihren Erfahrungen und Beobachtungen berichtet – wollten allerdings namentlich nicht genannt werden. Deutlich wurde in den Gesprächen: Es geht hier nicht um Einzelfälle. Das Problem ist struktureller Natur, so wie es auch Ludwig Lohmann in seinem Zitat beschreibt – und es betrifft in der Tat nicht nur junge Verlagsmitarbeitende.
Viele Beobachtungen lassen sich, wie oben beschrieben, auf andere Arbeitswelten jenseits der Buchbranche übertragen. Aber das Börsenblatt ist nun mal ein Fachmagazin für die Buchwelt und will Denkanstöße geben, die in diesem Fall auch mit der Zukunftsfähigkeit der Verlagsbranche zu tun haben.
Viele, die wir für diesen Artikel befragt haben, beschreiben die hohe Arbeitslast im Verlag als Normalfall. Insbesondere im Lektorat, wo sich das Berufsbild hin zum Projektmanager verschoben hat, scheint sich die klassische Lektoratsarbeit immer weiter in die Freizeit hinein zu verlagern – weil es tagsüber an Zeit und Ruhe fehlt.
Auch Befragte aus anderen Abteilungen wie Marketing und Presse berichten von wachsender Arbeitslast, etwa bei neuen Arbeitsfeldern wie dem Social-Media-Management: "Das ist ein Fass ohne Boden, wenn der Arbeitsumfang vom Management nicht strukturiert wird," berichtet eine Aussteigerin, die zuvor in einem renommierten Verlagshaus gearbeitet hat.
Die Fülle der Aufgaben, die permanente Überlastung ziehen gesundheitliche Probleme nach sich. Gesprächspartner berichten von klassischen Stress- und Burn-outsymptomen wie Tinnitus, Schwindel, Panikattacken, Schlafstörungen.
Eine Verlagsmitarbeiterin betont im Hintergrundgespräch, dass die meisten Kontakte in ihrem beruflichen Netzwerk mittlerweile mit körperlichen Stresssymptomen zu kämpfen hätten. Schon auf jungen Kolleg:innen laste ein "krasser Zeit- und Erfolgsdruck", der Arbeitsplan sei in den vorgeschriebenen Stunden "eigentlich nicht zu schaffen".
Verschärft werde die Lage durch das Gefühl – das in den Chefetagen gespiegelt wird –, man müsse sich glücklich schätzen, überhaupt in dieser Branche arbeiten zu dürfen. "Ich glaube, Arbeitgeber berufen sich noch sehr stark auf einen gewissen Ruf und eine Strahlkraft, die diese Branche wohl immer noch hat", so die befragte Mitarbeiterin. Häufig werde vorausgesetzt, den Job quasi zu seinem Leben, zu seiner Identität zu machen, berufliche Kontakte in Freundschaften zu verwandeln: Der Job sei keiner, den man nine to five ausüben könne.
Ein starkes Netzwerk aufzubauen – das wird auch vielen Erstsemestern in branchennahen Studiengängen nahegelegt, gemeinsam mit der Botschaft, wie schwer es sei, in der Buchbranche Fuß zu fassen. Herzblut, Idealismus, Leidenschaft: All das macht die Buchwelt und die Menschen, die darin arbeiten, zwar aus – sie begünstigen ungesunde Verhältnisse von Arbeit und Freizeit jedoch enorm, und Miete zahlen oder davon leben kann man eben auch nicht.