Interviews zum Jahreswechsel (5): Nicole Seifert, #frauenzählen

"Es geht nun darum, Konsequenzen aus den Fakten zu ziehen"

12. Dezember 2022
von Sabine van Endert

Nicole Seifert ist Literaturwissenschaftlerin, Autorin und Übersetzerin – sowie Mitinitiatorin von #vorschauenzählen und Mitstreiterin von #frauenzählen. Was das Projekt bisher gebracht hat, wie es mit #frauenzählen weiter geht und was 2023 auf dem Arbeitszettel von Nicole Seifert steht, erfahren Sie in unserem fünften Interview zum Jahreswechsel. 

Nicole Seifert

Nicole Seifert

Wie steht es aktuell um die Frauen in der Literatur? Hat sich seit der Aktion #frauenzählen und Ihrem Buch etwas bewegt?

Ja, es gibt durchaus Grund zur Freude. Viele Verlage und Veranstalter sind sich der Problematik inzwischen bewusst und steuern aktiv gegen, indem sie ihr Programm diverser gestalten, in Vergessenheit geratene Autorinnen publizieren oder Veranstaltungen organisieren, in denen Autorinnen im Mittelpunkt stehen. Bleibt nur zu hoffen, dass das nicht nur als Trend wahrgenommen wird, sondern so weitergeht. 

Es ist etwas still um #frauenzählen geworden. Oder täuscht der Eindruck?

Nachdem die Fakten auf dem Tisch liegen und nicht mehr in Zweifel gezogen werden kann, dass es nach wie vor ein starkes Geschlechterungleichgewicht in vielen Bereichen des Literaturbetriebs gibt, geht es nun darum, Konsequenzen daraus zu ziehen. Es wird derzeit auf vielen Veranstaltungen und internationalen Konferenzen darüber diskutiert und nach Lösungen gesucht, etwa was die Verteilung von Preisen angeht, den Kanon oder auch die Drohungen und Angriffe, denen weibliche und queere Schreibende ausgesetzt sind. 

Wie geht es mit #frauenzählen weiter?

Es gibt Pläne, weitere Daten zu erheben, insbesondere mit Blick auf den Schulkanon - allein, es fehlen die Mittel. Wer das finanziell unterstützen möchte, kann sich sehr gern an Nina George wenden. Entscheidend ist daneben aber, dass die inhaltliche Diskussion weitergeführt wird. Zum Beispiel begegnet queere Literatur sehr ähnlichen Vorurteilen wie Literatur von Frauen. Die Reaktionen auf den diesjährigen Buchpreis haben allzu deutlich gemacht, auf welche Ressentiments und Vorurteile die Literatur von nichtbinären und trans Autor*innen stößt. Dass die vielbeschworene Qualität von Literatur rein gar nichts mit Geschlecht zu tun hat, wollen immer noch viele nicht wahrhaben.

2021 haben Sie das Buch „Frauenliteratur“ veröffentlicht. An welchem Projekt haben Sie 2022 hauptsächlich gearbeitet?

2022 habe ich an vielen Veranstaltungen teilgenommen, auf denen ich über Literatur von Autorinnen im Allgemeinen und im Besonderen gesprochen habe. Dann habe ich zwei Romane übersetzt, „Krawall und Kekse" von Shirley Jackson und „Summerwater" von Sarah Moss, und ich habe ein neues Buch begonnen. 

Und was steht 2023 auf Ihrem Arbeitszettel?

Allen voran zwei Dinge, auf die ich mich sehr freue. Im Herbst 2023 wird in einem großen Taschenbuchverlag eine Reihe mit vergessenen Autorinnen starten, herausgegeben von Magda Birkmann und mir. Das wird ganz toll. Und dann schreibe ich 2023 mein nächstes Buch fertig. Darin geht es um die Autorinnen der Gruppe 47, die in der Geschichte der Gruppe nie ausführlich miterzählt wurden. Den meisten fällt dazu deshalb überhaupt nur Ingeborg Bachmann ein, es waren aber viel mehr Autorinnen bei der Gruppe dabei, sehr spannende sogar.