Interviews zum Jahreswechsel (14): María José Gálvez

"Unsere Teilnahme in Frankfurt war ein Wendepunkt"

29. Dezember 2022
von Matthias Glatthor

Unter dem Motto "Sprühende Kreativität" hat Spanien einen bemerkenswerten Auftritt als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2022 hingelegt. Welche Bilanz ziehen die Organisatoren, welche Auswirkungen gab es für Spaniens Buchmarkt? Das erzählt María José Gálvez, General Director für Bücher und Leseförderung im spanischen Kulturministerium, in unserem neuesten Interview zum Jahreswechsel.

María José Gálvez

Zwei Monate nach der Frankfurter Buchmesse - was ist Ihre schönste Erinnerung an den Ehrengast-Auftritt?

Es war eine tolle Erfahrung. Ich persönlich war sehr angetan von der Teamarbeit: Jeder hat sein Bestes gegeben (von den Autoren über die Verleger bis hin zu den Architekten und allen anderen offiziellen Mitarbeiter) und ich bin sehr zufrieden mit der Antwort der Besucher: Unser Pavillon war die ganze Zeit über voll mit Lesern, Besuchern und Freunden...

Ist für die Teilnehmer der Buchmesse alles so gelaufen, wie Sie es sich erhofft haben?

Das Management unserer Akteure war eines unserer Hauptanliegen, denn wir brachten eine Delegation von fast 200 Personen (188) nach Frankfurt, hauptsächlich Autoren und Autorinnen, aber auch Verleger und Verlegerinnen sowie Übersetzer und Übersetzerinnen, und das bedeutete, dass es zu vielen Unwägbarkeiten kommen konnte. Aber dank der gemeinsamen Bemühungen der Mitarbeitenden der Dirección General del Libro y Fomento de la Lectura und der Acción Cultural Española verlief alles reibungslos. Viele Schriftsteller dankten uns für die gute Organisation und die Aufmerksamkeit, die wir ihnen entgegenbrachten.

Wie hat der Buchmarkt in Spanien selbst von dem Gastlandauftritt profitiert?

Obwohl sich die Frankfurter Buchmesse auf nur eine Woche konzentriert, war die Teilnahme Spaniens als Ehrengast seit 2019 ein "work in progress". Unser Ziel war es, das Schaufenster, das die Messe darstellt, zu nutzen, um unsere Kultur und insbesondere unsere Literatur bekannt zu machen, indem wir den Verkauf von Rechten fördern. Zu diesem Zweck haben wir große Anstrengungen unternommen, indem wir die vom Ministerium für Kultur und Sport gewährten Beihilfen für die Übersetzung spanischer literarischer Werke in Fremdsprachen um 45 Prozent erhöht und neue, auf fünf strategische Märkte ausgerichtete Stipendien geschaffen haben, die von Acción Cultural Española organisiert werden.

Im Bereich Deutsch erhielten 37 Prozent der 152 spanischen Titel, die in diesem Jahr in Deutschland, Österreich und der Schweiz veröffentlicht wurden, eine der beiden Förderungen. Und wir sind zuversichtlich, dass diese neuen Stimmen, die dank unserer Teilnahme in Frankfurt von Verlegern und Lesern entdeckt wurden, in den ausländischen Buchhandlungen angekommen sind und dort auch in Zukunft bleiben werden.

Ist die Zahl der Übersetzungen aus dem Spanischen ins Deutsche immer noch hoch? Was erhoffen Sie sich für 2023?

In den zwei Jahren vor unserer Teilnahme als Ehrengast ist das Interesse natürlich sehr gewachsen. Neben den Übersetzungsstipendien haben wir uns auch besonders bemüht, unsere Literatur bei deutschen Verlegern, Buchhändlern und Kulturjournalisten durch Treffen und Reisen bekannt zu machen. Und wie ich bereits sagte, sind wir zuversichtlich, dass die von uns geknüpften Verbindungen aufrechterhalten werden. Im Übrigen ist die Ausschreibung für 2022, die die Acción Cultural Española im Oktober gestartet hat, im Moment noch offen, und 2023 werden die Zuschüsse des Ministeriums erneut ausgeschrieben.

Werden eher belletristische Titel oder Sachbücher ins Deutsche gebracht?

Nimmt man die 152 Titel, die in diesem Jahr ins Deutsche übersetzt wurden, so waren mehr als 40 Prozent davon Romane, gegenüber etwas mehr als 15 Prozent Sachbücher. Ich möchte aber auch auf den enormen Erfolg unserer Kinder- und Jugendliteratur hinweisen, deren Anteil etwas höher ist als der von Essays.

Und wie sieht es andersherum aus: Wie viele deutsche Bücher werden ins Spanische übersetzt?

In Spanien sind rund 17 Prozent der jährlich erscheinenden Bücher Übersetzungen aus anderen Sprachen. Und Deutsch steht an vierter Stelle der Sprachen, aus denen wir am meisten übersetzen, nach Englisch, Französisch und Japanisch, aber noch vor Sprachen wie Italienisch.  

Gibt es eine weitere Zusammenarbeit mit der Frankfurter Buchmesse?

Spanien wird auch in Zukunft über den spanischen Verlegerverband auf der Messe vertreten sein, und wie ich bereits sagte, wird der letzte Aufruf zur Einreichung von Anträgen auf Zuschüsse, der speziell für unsere Teilnahme an der Frankfurter Buchmesse gestartet wurde, noch ein Stück weit bis 2023 laufen. Wir werden die Anstrengungen im Bereich der Übersetzungen im nächsten Haushalt für 2023 beibehalten. In diesem Sinne war unsere Teilnahme in Frankfurt ein Wendepunkt.

Wie hat sich denn der spanische Buchmarkt in den vergangenen Jahren entwickelt?

Im ersten Halbjahr 2022 wuchs der spanische Verlagsmarkt um 3,5 Prozent. Die Pandemie hatte zu einem deutlichen Anstieg der Buchverkäufe im Jahr 2020 (2,4 Prozent) geführt, obwohl die Buchhandlungen mehrere Monate lang geschlossen waren, und dieses Phänomen beschleunigte sich 2021: Im vergangenen Jahr verzeichnete der Verlagssektor mit 5,6 Prozent das bisher höchste Wachstum in diesem Jahrhundert und erzielte einen Umsatz von 2.576 Millionen Euro.

Was sind die größten Herausforderungen für den spanischen Buchmarkt – und wie können sie bewältigt werden?

Der Verlagssektor befindet sich in einem neuen produktiven Ökosystem, in dem Print und E-Book nebeneinander bestehen. Es haben sich neue Lesegewohnheiten herausgebildet, die durch die Digitalisierung von Inhalten und die intensive Nutzung des Internets und aller Arten von elektronischen Geräten mit Bildschirmen begünstigt werden. All dies zwingt die mit dem Buch und der Leseförderung verbundenen Institutionen und Branchen, in die Ausbildung zu investieren, um diesem Paradigmenwechsel in allen mit der Buchbranche verbundenen Berufsprofilen begegnen zu können.

Mit welchen Themen wird sich die spanische Buchbranche 2023 beschäftigen müssen?

Meiner Meinung nach werden diese Themen nicht nur in Spanien diskutiert werden, sondern die Buchbranche auf der ganzen Welt beschäftigt sich damit: Nachhaltigkeit (Logistik, Papier, Titel), Bibliodiversität, Urheberrecht, der Einfluss von KI im Verlagswesen...

Welche beruflichen Aufgaben warten auf Sie persönlich 2023?

Ich konzentriere mich im spanischen Kulturministerium auf die öffentliche Politik zur Förderung des Lesens (mit unserem Leseplan 2021–2024), auf die Stärkung und Förderung unserer Buchindustrie und auf die Förderung unserer Literatur: Schriftsteller, Übersetzer, Illustratoren...

(Das Interview wurde aus dem Englischen übersetzt)