Interviews zum Jahreswechsel (11): Karsten Kredel

"Menschen machen Verlage, das ist die ganze Idee"

20. Dezember 2022
von Charline Vorherr

Im Sommer 2020 hat Karsten Kredel die verlegerische Geschäftsführung des Ullstein Verlags übernommen. Was ist sein persönliches Zwischenfazit bis heute und wie überzeugt er eigentlich so viele großartige Frauen für seinen Verlag? Das erzählt Karsten Kredel in unserem neusten Interview zum Jahreswechsel. 

Herr Kredel, im Sommer 2020 sind Sie bei Ullstein als verlegerischer Geschäftsführer und Nachfolger von Barbara Laugwitz gestartet. Können Sie schon ein persönliches Zwischenfazit ziehen?
Mir war es in den ersten beiden Jahren vor allem wichtig, für Ullstein, seine Menschen und seine Autor:innen da zu sein. Inmitten einer Pandemie als Verleger eines traditionsreichen Verlagshauses anzutreten, ist eine Herausforderung, und ich freue mich am allermeisten darüber, dass heute alle bei Ullstein miteinander im Gespräch darüber sind, wohin wir den Verlag gemeinsam steuern wollen.

Was waren die größten Herausforderungen und was waren Ihre größten Erfolge?
Wir verlegen ganz unterschiedliche Bücher bei Ullstein, so wie Menschen aus unterschiedlichen Bedürfnissen lesen – und wir verlegen sie auf unterschiedliche Weise, wir brauchen dafür unterschiedliche Fähigkeiten. Diese Unterschiede mit Selbstbewusstsein, Kompetenz, der Fähigkeit zur Differenzierung und gleicher Fürsorge zu vereinen, das macht diesen Verlag aus. Wir durften im vergangenen Jahr mit Stephan Malinowski den deutschen Sachbuchpreis feiern, zugleich haben wir Allegria, unser Label für Gesundheit und Lebenshilfe, neu konturiert. Wir konnten claassen wieder als Literaturverlag und Forever als Romance-Imprint mit großer Sichtbarkeit etablieren. Unsere erfolgreichen Autorinnen und Autoren haben eine enge Bindung an den Verlag, und wir haben viele ausstrahlungsstarke und wichtige neue Stimmen für uns gewonnen.

Wenn wir gute und manchmal neue Antworten auf diese Fragen finden wollen, dann müssen wir Menschen die Möglichkeit geben, mit Eigensinn zu gestalten.

Karsten Kredel

Seit Ihrem Eintritt ins Unternehmen wurden einige spannenden Personalien verkündet, u.a. Selma Wels, Ricarda Saul, Miryam Schellbach. Wie überzeugen und begeistern Sie die vielen großartigen Frauen für Ullstein?
Menschen machen Verlage, das ist die ganze Idee. Wir geben ihnen den Raum, etwas zu entwickeln, ihren Instinkten zu folgen – das, was wir großartig finden an ihnen, tatsächlich programmatisch wirksam werden zu lassen. Welche Stimmen sind heute relevant? Und wie erzählen wir den Menschen da draußen von den Büchern, die wir für relevant halten? Wenn wir gute und manchmal neue Antworten auf diese Fragen finden wollen, dann müssen wir Menschen die Möglichkeit geben, mit Eigensinn zu gestalten. Nur so können wir tolle, kreative Menschen zu uns locken (und es sind tatsächlich weit mehr als die drei genannten, auch im Marketing, im Vertrieb, in der Presse und anderen Abteilungen haben wir großartige neue Kolleg:innen) und zugleich diejenigen immer wieder neu für uns gewinnen, die schon bei uns sind. In den vergangenen zwei Jahren haben enorm viele jüngere Kolleg:innen bei Ullstein neue, verantwortungsvolle Positionen übernommen, darüber freue ich mich sehr.

Es sind Frauen, die unsere verlegerische Kreativität antreiben

Karsten Kredel

Im September wurde Ullstein von der „Brigitte“ als eines der besten Unternehmen für Frauen ausgezeichnet. Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie?
Das ist etwas, worauf wir sehr stolz sind, ebenso wie darauf, zum zweiten Mal in Folge als Top Company bei kununu ausgezeichnet worden zu sein. Doch vor allem ist es Ansporn dafür, noch besser zu werden, noch mehr Aufmerksamkeit für Möglichkeiten und Benachteiligungen zu entwickeln, Kolleg:innen noch stärker zu fördern und Flexibilität zu ermöglichen. Bei Ullstein arbeiten viele Frauen in leitenden Positionen, und es sind Frauen, die unsere verlegerische Kreativität antreiben – es ist deshalb selbstverständlich unser Anspruch, dass wir ein Unternehmen für Frauen sind.

Und zum Schluss: Welche Themen werden 2023 in der Branche  besonders diskutiert werden?
Ich vermute, dass wir weiter über Kosten sprechen werden und darüber, was ein Buch kosten darf. Und ich hoffe, dass wir gemeinsam Ideen und Initiativen entwickeln, um die Buchwelt diverser zu machen. Indem wir Bücher verlegen, nehmen wir immer auch gestaltend und wirksam an der Gegenwart teil, diese Rolle sollten wir noch bewusster wahrnehmen. Uns treibt auch die Frage um, wie wir in Verlagen in Zukunft zu einer Kultur des kreativen Austauschs inspirieren können, auch wenn wir – richtigerweise – weniger häufig tatsächlich in Büros und Fluren zusammenkommen; wenn wir nur das tun, was auf der Tagesordnung steht, werden wir irgendwann weniger gute Bücher machen.

Schließlich hoffe ich, dass im September 2023 viele über das Sommerfest des Literarischen Colloquiums Berlin sprechen werden, das Ullstein gemeinsam mit dem LCB ausrichten wird – wir freuen uns sehr darauf.