Interviews zum Jahreswechsel (6): Sebastian Wolter, Katapult

"Der Überfall auf die Ukraine war so unglaublich böse, dass wir helfen wollten"

13. Dezember 2022
von Matthias Glatthor

Sebastian Wolter ist Mit-Geschäftsführer vom Katapult Verlag in Greifswald. Katapult engagiert sich seit Monaten stark in der Ukrainehilfe, hat etwa Geflüchtete aufgenommen und ukrainische Journalist:innen eingestellt. Wie die Projekte bisher gelaufen sind und was der Verlag weiter plant, erfahren Sie in unserem sechsten Interview zum Jahreswechsel. 

Sebastian Wolter

Katapult hat sich früh stark in der Ukrainehilfe engagiert – wie wichtig war es für Katapult Haltung zu zeigen und aktiv zu helfen?

Wir haben nicht lange überlegt, sondern sofort reagiert. Wir konnten nicht einfach zugucken und nichts machen. Der Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar war so unglaublich böse, dass wir helfen wollten, so schnell es nur ging. Dafür haben wir ein Ukraine-Team gegründet und Journalist:innen in der Ukraine angestellt, um ihnen eine Stimme zu geben und sie finanziell zu unterstützen. In den ersten Wochen haben wir eine 24-Stunden-Berichterstattung gestemmt und mittlerweile selbst eine Ukraine-Redaktion in Greifswald.

Im April hatten sie angekündigt, das Erdgeschoss ihres Verlagsgebäudes in der alten Schule umzubauen, um bis zu 50 Geflüchtete dort aufzunehmen. Wie ist es damit weitergegangen?

Das haben wir ziemlich schnell umgesetzt und ein paar Räume im Erdgeschoss für Geflüchtete umgebaut. Wir haben zu Spenden aufgerufen und es wurden uns neben Geld auch Betten, Schränke, Fahrräder, Kinderkleidung und vieles mehr gespendet, so dass die Räume schnell bezugsfertig waren. Momentan leben elf Menschen bei uns.

Ein Teil Ihrer Mitarbeiter hat für die Einstellung der ukrainischen Journalist:innen auf Gehalt verzichtet. Ist das immer noch nötig?

Der Verzicht diente vor allem dazu, schnell die ukrainische Journalist:innen einstellen zu können, 20 Katapult-Mitarbeitende haben sich beteiligt und das eigene Gehalt zwischen 25% und 50% reduziert, ein Kollege sogar um 100%. Wir haben so schon im März eine Redaktion mit ukrainischen Kolleg:innen finanzieren können und weil so viel Unterstützung von außen kam, mussten wir das Gehalt nicht lange einkürzen. Unser Ukraine-Team steht dank neuer Abos wirtschaftlich mittlerweile auf eigenen Beinen.

Wie hat das Zusammenleben mit den Geflüchteten funktioniert? Konnten Sie Ihre Verlagsarbeit in gewohntem Maß weiterführen?

Das hat sehr gut funktioniert, warum auch nicht? Teilweise haben die Kinder der Geflüchteten in unserem Garten mit Mitarbeitenden gespielt.

Sie haben spezielle Buchprojekte etc. zum Thema Ukraine umgesetzt? Konnten Ihnen hier die neuen Kolleg:innen helfen? 

Wir haben gleich Anfang März an unserem Buch "100 Karten über die Ukraine und den Krieg" zu arbeiten begonnen, neben der Online- und Magazinredaktion haben da von Anfang an unsere ukrainischen Kolleg:innen in Greifswald und in der Ukraine mitgearbeitet.

Katapult hatte zunächst einen ukrainischen Liveblog eingerichtet - woran arbeiten ihre ukrainischen Journalist:innen aktuell?

Das Liveblog haben wir in den ersten Wochen betrieben, als die Ereignisse sich überschlugen und wir rund um die Uhr berichtet haben. Später hat die Frequenz abgenommen. Wir veröffentlichen jetzt auf www.katapult-ukraine.com auf Deutsch und Englisch sowie auf Telegram und Twitter mit je eigenen Kanälen für Katapult Ukraine. Eine Printausgabe von Katapult Ukraine erscheint spätestens Ende Dezember, mit Beiträgen auf Deutsch und Englisch. Gedruckt wird sie in Charkiw. Momentan arbeiten in unserer Greifswalder Redaktion drei Kolleginnen und Kollegen, in der Ukraine sind es derzeit 11 in verschiedenen Städten.

Sind Sie zufrieden mit dem, was sie mit allen Aktionen erreicht haben?

Ja, sehr. Unsere Liveberichterstattung war sehr erfolgreich, das haben auch nur wenige der großen Medien so konsequent durchgezogen wie wir. Ich hab oft gehört, dass Leute sich vor allem bei uns über den Krieg informiert haben. Unser Buch "100 Karten über die Ukraine und den Krieg" war mit Erscheinungstermin Anfang Juni eins der ersten aktuellen Bücher über die Ukraine auf dem Markt. Und in Greifswald haben wir einigen Familien Unterkunft bieten können, die sonst in einer Turnhalle hätten wohnen müssen.

Man hörte von internen Konflikten im Team über das Vorgehen? Wie sind Sie mit diesen umgegangen? Alles beigelegt inzwischen?

Ja, Konflikte gab es. Einerseits war es natürlich eine enorme Arbeitsbelastung, vor allem für unsere Online-Redaktion, andererseits hätten wir die Idee des Gehaltsverzichts besser kommunizieren müssen. Er war aber freiwillig, niemand wurde gezwungen, auf Geld zu verzichten. Für alle Probleme haben wir aber gute Lösungen gefunden.

Trotz schrecklichem Ukrainekrieg und ihrem Engagement für die Geflüchteten, wie konnten Sie und das Team den 'Kopf oben halten'? Was haben Sie dafür getan? Gab es auch Glücksmomente?

Natürlich hilft die massive positive Resonanz, die wir erfahren haben, zum Teil werden wir immer noch drauf angesprochen. Und es war schön zu sehen, wie viele Menschen und Unternehmen uns unterstützt haben, das tat gut. Wir haben aber auch eine psychologische Betreuung organisiert für die Mitarbeitenden, die Unterstützung brauchten.
Glücksmomente gab es einige, zum Beispiel als die ersten ukrainischen Kolleg:innen bei uns eingetroffen sind nach tagelanger Anreise. Oder als wir dann unser Buch in Händen halten konnten. Oder als die Kinder von Geflüchteten draußen in unserem Garten gespielt haben.

Wie wird es für ihrem Verlag mit dem Thema Ukraine weitergehen – was planen Sie für 2023?

Wir werden natürlich weiter aus der Ukraine berichten, Katapult  Ukraine wird weitere Magazine produzieren und die deutsch-, englisch- und ukrainischsprachige Community auf dem Laufenden halten. Auch über Kriegsberichterstattung hinaus.

Welche Herausforderungen sehen Sie allgemein auf Katapult zukommen im nächsten Jahr? Worauf freuen Sie sich?

Die gestiegenen Papier- und Druckpreise im Zusammenspiel mit Kaufzurückhaltung wegen Inflation, Energiepreisen und drohender Rezession sind auch für uns ein Problem. Ansonsten freuen wir uns aber auf unsere neuen Bücher, unser zweites Sommerfestival und alles, was sonst noch so kommt.