Offener Brief der Karl-May-Gesellschaft

"Karl May verdient eine differenzierte Betrachtung"

26. August 2022
von Börsenblatt

In einem offenen Brief verteidigen die Karl-May-Gesellschaft und Karl-May-Stiftung den Abenteuer-Autor. Sie fordern eine differenzierte historische Betrachtung und kritisieren, dass sich die Kritik an „Der junge Häuptling Winnetou“, eine lose Adaption,  hauptsächlich an Karl May selbst orientiert. 

Karl May als Old Shatterhand

Dabei treffen die Organisationen vier zentrale Aussagen zum Umgang mit historischen Darstellungen anderer Kulturen.  

  1. Als Schriftsteller des 19. Jahrhunderts sei Karl May „unvermeidlich vom Habitus eines kolonialen Zeitalters geprägt“. So habe er sich beim Verfassen auf die „zeitgenössische Ethnographie exotischer Fluchtwelten“ bezogen, die gleichzeitig als „phantastische Bewährungsräume für ein literarisch überhöhtes Ich“ fungierten. Daher gebe es in Karl Mays Texten gängige ethnische Stereotypen und eine eurozentrische Perspektive dies kritisch aufzuarbeiten sei Aufgabe der Literaturwissenschaft.
  2. Diese zeitbedingte Weltsicht teile Karl May mit praktisch allen Autorinnen und Autoren der Vergangenheit. Gleichzeitig verteidigen die Autor:innen des Briefes „ihren“ Autor: „Die Besonderheit Karl Mays besteht darin, dass in seiner Darstellung des ‚Wilden Westens‘ von Anfang an die Sympathie des Erzählers der leidenden indigenen Bevölkerung gilt. Ihre Würde und ihre menschlichen Qualitäten verkörpern sich in Idealfiguren wie Winnetou, dem Häuptling der Apachen, und die tragische Vernichtung ihrer materiellen und kulturellen Existenz grundiert alle May'schen Nordamerika-Erzählungen.“
    Die Verachtung außereuropäischer Kulturen, rassistische Sprache und religiöse Intoleranz seien bei Karl May außerdem durchgehend Merkmale negativ gezeichneter Antagonisten. So habe der Autor als Erzieher zu Toleranz und Weltoffenheit gewirkt, so die Organisationen.
  3. Karl Mays literarisches Spätwerk, die Utopie einer von gegenseitigem Respekt getragenen Menschheitsverbrüderung, bleibe heute zu Unrecht hinter den populären Abenteuererzählungen zurück.
  4. „Der Ravensburger Verlag begründet seine Entscheidung mit der Beobachtung, dass eine auf Karl May basierende Darstellung des Apachenhäuptlings Winnetou die Gefühle anderer Menschen verletzt habe. Wenn dies der Fall ist, so werden Wunden nicht dadurch geheilt, dass man den Verursacher – oder stellvertretend für ihn eine historische Künstlerpersönlichkeit – kurzerhand ausradiert. Im Gegenteil bedarf eine wirksame und nachhaltige Therapie der expliziten Auseinandersetzung mit den Ursachen.“

In diesem Zusammenhang verdiene Karl May eine differenzierte Betrachtung, fordern die Karl-May-Gesellschaft und Karl-May-Stiftung. „Seine überaus einflussreiche Repräsentation außereuropäischer Kulturen ist selbst längst Teil der europäischen Kulturgeschichte und lehrreiches Exempel einer produktiven und autoreflexiven Begegnung mit Alterität. Gerade weil in seinen Texten Vorurteile vorausgesetzt, verbalisiert, bekämpft und überwunden werden, ist er keineswegs ‚überholt‘, sondern auch für das 21. Jahrhundert eine lohnende Lektüre.“

Der Stellungnahme hängt eine Petition an, die am Freitagmittag bereits 1300 Unterschriften zählt.