Börsenblatt Young Excellence Award 2021

Franziska Pentz: Azubi und Chefin zugleich

20. Juli 2021
von Christina Busse

„Wenn nicht jetzt, wann dann?!“, nach diesem Motto hat Franziska Pentz Jahr ihrem Leben eine Wende gegeben und einen neuen Weg eingeschlagen – auf dem sie unerwartet schnell auf die Überholspur geriet und heute den spannenden Balanceakt zwischen ihren Rollen als Azubi und Chefin meistert. Sie ist für den Young Excellence Award 2021 nominiert.

Literaturwissenschaft sucht Praxiserfahrung

„Ich saß mit einer elenden Schreibblockade am Schreibtisch“, erzählt die 25-Jährige, die im Sommer 2020 kurz vor dem Abschluss ihres Studiums stand und ihre Masterarbeit über „Die Rolle afrikanischer Literatur in der Weltliteratur“ verfasste. Ein Thema, für das sie nach wie vor brennt. Was ist die so genannte Weltliteratur? Was prägt den Kanon? „Diskussionen über Literatur und Gesellschaft bereiten mir große Freude. Doch nach über sechs Jahren an der Uni merkte ich, dass ich die akademische Welt verlassen möchte, ich hatte eine Art ‚Theoriestau‘“, erklärt Pentz, die an der Universität Heidelberg Englische Literaturwissenschaft und Geschichte studierte. Sie wusste auf einmal: „Ich brauche Leute um mich rum, ich brauche mehr Austausch.“ – und stürzte sich ins Abenteuer.

Schon immer hatte sie den Traum von einer Buchhandlung mit kleinem Café im Kopf gehabt, bereits an eine Ausbildung im Buchhandel gedacht, sich dann aber direkt nach dem Abi für American Studies an der Uni Heidelberg entschieden. „Mutig, schnell entschlossen und genau richtig“, stellt sie rückblickend fest. In dem interdisziplinären, kulturwissenschaftlichen Studiengang konnte sie ihren beiden Leidenschaften – für Bücher und für die englische Sprache, geprägt durch einen High School-Aufenthalt im südlichen U.S.-Bundesstaat Mississippi – nachgehen. Sie setzte ihren Fokus auf Literaturgeschichte, den sie im Masterstudium weiter vertiefte. „Kurz vor Corona konnte ich dann noch einmal aus dem Alltag ausbrechen und für ein halbes Jahr mit dem Erasmus-Austauschprogramm in die Niederlande gehen“, erzählt Pentz. An der Rijksuniversiteit Groningen genoss sie neue Perspektiven auf die Literaturwissenschaft: „Es gab zum Beispiel Input von Dozentinnen aus Südafrika. Das war total spannend und wirklich Gold wert.“ Im März 2020 kam sie zurück, setzte sich im Corona-Lockdown in ihrem Elternhaus in Illertissen an die Masterarbeit.

Dabei wurde ihr immer deutlicher, dass die Zeit reif war für einen Aufbruch. „Mein Herzenswunsch war ein eigener Buchladen“, sagt Pentz. Da die gebürtige Schwäbin die Dinge gern strukturiert und von Grund auf angeht, stand für sie fest: „Ich will Fachwissen für meinen Job.“

Ausbildung mit Teilhaberkonzept

Was lag da näher, als der Gang in die Lieblingsbuchhandlung? In diesem Fall die Buchhandlung Aegis in Ulm, ganz in der Nähe ihres Heimatortes. Die „Leseoase mit einem sympathischen, jungen Team“, so Pentz, war im Jahr 2018 von Rasmus Schöll (34) übernommen worden. „Wir haben uns getroffen und es war sehr motivierend, dass er ein offenes Ohr für mein Anliegen hatte“, stellte Pentz erleichtert fest. So kam es, dass sie im September 2020 noch einmal als Azubi in der Buchhandlung Aegis ganz neu startete.

Auch für Schöll offenbar ein Glücksfall, denn er hatte schon vor längerer Zeit ein Teilhaberkonzept entwickelt, für das er einen zweiten Standort im Blick hatte. Ende Februar diesen Jahres, nach nur einem halben Jahr Zusammenarbeit, schlug er Pentz vor, in das Geschäft einzusteigen. „Ich war überrascht, als er mit der Idee um die Ecke kam“, gibt sie zu. Doch von Anfang an sei ihr klar gewesen, dass sie die Chance nutzen wolle. Der Plan, die Räume eines ehemaligen Cafés im Ulmer Stadtteil Söflingen – „mit vielen Familien, jungen Leuten, gebildeten Viellesern, aber seit rund sieben Jahren ohne Buchhandlung“ – zu beziehen, überzeugte sie an Anhieb. Seit März ist sie mit Schöll jeweils zur Hälfte an Aegis Söflingen beteiligt. Finanziert hat Pentz den Schritt in die Selbstständigkeit über ein Erbe ihres Großvaters, der in Illertissen ein Stahlbauunternehmen aufgebaut hat und das Erbe immer für ein Herzensprojekt seiner Enkelin vorgesehen hatte. „Er hat uns immer ermutigt zu tun, was wir möchten. Er hätte es gutgeheißen und ich habe den vollen Support meiner Verwandtschaft.“

Mein Herzenswunsch war ein eigener Buchladen

Franziska Pentz

Handarbeit am neuen Laden

Während im rund 140 Quadratmeter großen Laden in der Innenstadt der Schwerpunkt auf Literatur und Sachbuch liegt, steht in Söflingen das Kinder- und Jugendbuch im Vordergrund. In langen Nächten wurde die 65 Quadratmeter große Verkaufsfläche in gemeinsamer Arbeit renoviert, jede Wand selbst gestrichen und jedes Regal selbst aufgebaut. „Es hat sich gelohnt, ich fühle mich stark mit dem Laden verbunden“, sagt Pentz, die ihre Arbeitszeit jetzt nicht nur zwischen zwei Standorten, sondern auch zwischen ihren Rollen als Chefin und Azubi aufteilt. Wie sie diesen Spagat im Alltag schafft? „Es gestaltet sich leichter als gedacht, auch weil wir flache Hierarchien haben und im Team auf Augenhöhe arbeiten“, lautet ihre Antwort. Der Erfolg guter Zusammenarbeit beruhe zum großen Teil auf offenen Gesprächen und ehrlichem Feedback. Sie versuche außerdem, ihre zwei Jobs für sich selbst ganz strikt zu trennen. In der City-Buchhandlung, deren Alleininhaber Schöll weiterhin ist, ist sie die Auszubildende, die auch regelmäßig die Schulbank im 100 Kilometer entfernten Stuttgart drückt, sich kaufmännisches Wissen aneignet und sich der „Herausforderung Rechnungswesen“ stellt.

Der Start der neuen Buchhandlung im März war dann ein Musterbeispiel für die besonderen Hürden in der Pandemie-Situation: Zwei Tage nach Eröffnung kam der Lockdown. Doch das große Schaufenster schaffte Aufmerksamkeit und Click & Collect funktionierte. In Söflingen ist ein dreiköpfiges, Aegis-erfahrenes Team samt Filialleiterin Felicia Kolschefsky am Start. Pentz selbst ist an festen Wochentagen vor Ort und guckt auch abends fast immer rein. „Ich sehe auch sofort, wenn dort etwas anders oder schief steht, ich bin ordnungsliebend“, lacht Pentz. Während sie Arbeits- und Urlaubspläne, Social Media, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit verantwortet, ist Schöll für die Finanzen und Personalführung zuständig. „Wir sind beide die Chefs und Ansprechpartner“, sagt Pentz, die seit Oktober 2020 in Ulm lebt, sich selbst als heimat- und familienverbunden beschreibt und auch ihre Zukunft in der Region sieht.  

Vorfreude auf eigene Events

„Bis zum Ende meiner Lehre im Mai 2022 wird es auf jeden Fall noch mal happig“, so schätzt sie die Aufgaben, die auf sie zukommen ein, „danach pendelt es sich ein.“ Nachdem das Geschäft nun wieder regulär geöffnet ist, freut sich Pentz vor allem auch darüber, dass Events wieder anlaufen können. „Es ist meine Leidenschaft, Veranstaltungen zu planen“, hebt sie hervor. Bereits am Heidelberg Center for American Studies hat sie viermal die alljährlich stattfindende HCA Spring Academy, eine Konferenz für internationale Doktorand*innen, mitorganisiert. In ihrer neuen Rolle hat sie jetzt bereits an den Ulmer Kinderbuchtagen mitgewirkt, mit mehreren Schulklassen in der Buchhandlung über den Beruf Buchhändler*in gesprochen, außerdem sind Angebote für Kinder am Sonnabend nach Ladenschluss geplant und ein Lesekreis soll aufgebaut werden. Die Aegis Buchhandlung in der Innenstadt ist traditionell sehr engagiert: zwei Termine pro Woche sind hier Usus. „Ich freu mich richtig darauf, die Kundinnen und Kunden außerhalb des üblichen Rahmens zu sehen und mich mit ihnen auszutauschen“, betont Pentz, die im Sommer 2022 ihre Ausbildung abschließen wird und spätestens dann die große Eröffnungsfeier in Söflingen nachholen will. Mit Straßensperrung – so viel ist schon mal sicher.

Auf ein Wort:

Existenzgründung in der Pandemie: „In der Coronazeit und vor allem als junger Mensch mit wenig Buchhandelserfahrung ist es schon mutig, einen Laden zu eröffnen. Doch ich habe ganz viel Motivation und Elan und bin vor allem überzeugt davon, dass der inhabergeführte Buchhandel jünger werden muss. “

Jenseits des Atlantiks: „Meine Reisen haben mich schon fast durch die ganzen USA geführt, die Gesellschaftsstudien vor Ort machen immer Spaß. Mein Favorit ist die Hauptstadt Washington, wo die Geschichte des Landes spürbar ist und ich von Museum zu Museum tingele.“

Volkshochschule: „An der VHS Neu-Ulm leite ich derzeit den „English Conversation“-Kurs, im Herbst starte ich im Bereich „Frauenakademie“ der VHS Ulm als Dozentin für Literatur. Ich habe total Lust darauf, literaturgeschichtliche Themen voranzubringen.“

Zur Person:

Franziska Pentz, geboren 1995 im schwäbisch-bayerischen Illertissen, hat Englische Literatur in Heidelberg und Groningen (Niederlande) studiert. Im September 2020 hat sie ihre Ausbildung zur Buchhändlerin in der Aegis Buchhandlung in Ulm aufgenommen. Seit März 2021 ist sie Teilhaberin der neu gegründeten Aegis Buchhandlung in Ulm-Söflingen. Darüber hinaus ist sie an der VHS in Ulm und Neu-Ulm und als Dozentin tätig.

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