Digitalevents als Erlösmodell

„Ausschau halten nach Partnern“

11. Juni 2021
von Kai-Uwe Vogt

Bei Webinaren und Onlineevents haben Fachverlage Vorteile. Wie auch Publikumsverlage im Markt erfolgreichen mitmischen können, erklärt Literaturtest-Gründer Roland Große Holtforth im Interview.

Welche Rolle kommt Agenturen zu, wenn es darum geht, langfristige Geschäftsmodelle mit Webinaren oder Onlineseminaren aufzubauen? Und welche Bereiche sollte man oder kann man Freelancern überlassen?
Digitale Events sind ein ideales Feld für die Zusammenarbeit mit Agenturpartnern. Erstens lässt es sich relativ gut in verschiedene Aspekte gliedern, zweitens ist es für viele Verlage ein neues Terrain, in dem externe Unterstützung sinnvoller ist als ein Know-how-Transfer. Wo man gemeinsam langfristig Ziele verfolgen möchte, sollte die Zusammenarbeit bei der Definition von Zielen und Konzepten beginnen. Kurzfristiger und letztlich unabhängig davon lässt sich z. B. die technische Umsetzung auslagern. Hier können Agenturen als Full-Service-Partner ebenso ins Spiel kommen wie bei Einzelthemen, etwa Streaming oder Chat-Betreuung. Und auch ein schönes, bei uns gerade gefragtes Beispiel für eine punktuelle Unterstützung: die Schulung von Autor*innen in ihrer digitalen Präsenz.

Was empfehlen Sie Ihren Kunden: Möglichst viel outsorcen oder möglichst viel selbst machen?
Nach meiner ersten Antwort darf ich vielleicht sagen: Das kommt darauf an – nämlich auf ihre Ziele. Wenn ich als Verlag vor allem meinen Autor*innen mit digitalen Events eine neue Erlösquelle erschließen möchte, um sie noch stärker an mich zu binden, muss ich nicht unbedingt in ein eigenes Studio oder technisches Know-how investieren. Die Umsetzung kann ich guten Gewissens auslagern, und zwar am besten an einen Partner, bei dem ich weiß: Meine Autor*innen fühlen sich hier wohl. Aber wenn ich merken sollte: „Der Bereich läuft so gut, wir verdienen damit ja bald mehr als mit den Büchern!“ – dann wird das eigene Studio samt Filmteam unmittelbar wirtschaftlich sinnvoll – und sinnvoller als das Auslagern.

Was sind „Anfängerfehler“, die man besser anderen überlässt?
Konkret: die Bedeutung eines störungsfreien Tons zu unterschätzen. Generell: zu versuchen, in digitalen Events 1:1 abzubilden, was man in anlogen Veranstaltungen toll findet. Dem gegenüber mag das Publikum vielleicht in Teilen heute noch gnädig sein, aber auf Dauer wird es sich dort abwenden, wo die Kamera einfach auf Klassiker wie die zweistündige Wasserglaslesung gehalten wird – und dies allerspätestens nach fünf Minuten. Geringere Gesamtlänge, schneller wechselnde Situationen, mehr Interaktion, größere Nähe zu den Akteur*innen: Das sind nur einige der Qualitäten digitaler Formate, die es zu nutzen gilt. Und wenn man hier einmal angefangen hat, kreativ zu werden, spielt die Angst vor Anfängerfehlern schnell keine Rolle mehr.

Inwiefern lohnt es sich, über Kooperationen mit anderen Playern oder Marktteilnehmern nachzudenken?
Eines meiner absoluten Lieblingsthemen! Genauso wie ich mich mit Blick auf Dienstleister fragen sollte, was ich besser ihnen überlasse, sollte ich dauernd Ausschau halten nach sinnvollen Kooperationsmöglichkeiten – innerhalb und außerhalb der Buchbranche! Die Gründe dafür sind schlagend: Kostenersparnis und gezielte, ja mitunter exponentielle Reichweitensteigerung. Wenn ich z. B. die Monetarisierung von Videoformaten zum Thema Bergwandern für eine gute Idee hielte und über attraktive Inhalte verfügte: Ich würde sofort andere Buch- und Zeitschriftenverlage sowie ein paar führende Ausrüster ansprechen – und dann schauen, mit wem sich hier etwas Gescheites auf die Beine stellen lässt. Wenn man sich anschaut, welche Giganten in anderen Branchen strategische Allianzen schmieden, weil sie Investitionen alleine nicht stemmen können oder wollen, dann ist in unserer Branche noch eine Menge Luft nach oben.

Welche Geschäftsmodelle sind Ihnen in der Praxis bereits untergekommen?
Spontan denke ich natürlich zuerst an unseren eigenen Kongress, die future!publish, die wir im Januar 2021 erstmalig komplett digital durchgeführt haben – und dies sehr erfolgreich. Dann fällt mir auch gleich die Düsseldorfer Buchhandlung Bolland & Böttcher mit ihrer „Ladies‘ Night“ ein – mutig und mit großer Nähe zur eigenen Kundschaft ins Digitale übersetzt, inklusiv höchst analogem Sektfläschchen im Paketpreis. Bookstock von Hugendubel – tolles Konzept! HeldenstückeLIVE mit Oetinger als Plattformbetreiber macht Ernst mit der wichtigen Botschaft: „Kreativität muss auch bei digitalen Events einen Preis haben“. Medien wie Börsenblatt und digital publishing report haben je eigene mittlerweile etablierte Webinarkonzepte. Und last but not least natürlich buch@handel, unsere Kooperation mit dem BuchMarkt und wohl das Original im Bereich „Buchhandel trifft Verlage – digital“. Ich höre jetzt mal auf, aber es gibt hier wirklich schon sehr viel sehr Spannendes.

Sind Fachverlage in einer besseren Situation, was diese Themen angeht?
Eine generelle Antwort fällt mir hier schwer – zwingst Du mich zu einem Versuch, lautet sie: Ja und nein. Ja, denn Fachverlage haben insofern einen Vorsprung, als sie in ihren Prozessen sowie in ihrer Perspektive auf Inhalte oft schon so „digital“ sind, dass Videoformate aller Art entweder schon Teil ihrer Angebote sind oder es relativ schnell werden können. Nein, wenn man den Blick darauf richtet, was diesen Bereich in Zukunft sicher stark prägen dürfte: Emotionen, Figuren und Geschichten. Hier warten jenseits der Fachverlage wahre Schätze – aus inhaltlicher wie aus wirtschaftlicher Sicht – darauf, in neuen digitalen Formaten gehoben zu werden. Da kann es einfach nur gut für Verlage sein, auch hier kreativ etwas auf die Beine zu stellen.